# taz.de -- Paralympics-Sportler über Querschnittslähmung: "Lernen, was einem… | |
> Seit einem Unfall vor 17 Jahren ist Robert Prem querschnittgelähmt. Der | |
> Paralympics-Goldgewinner darüber, wie es ist, plötzlich auf Hilfe | |
> angewiesen zu sein. | |
Bild: Plötzlich querschnittsgelähmt - ein Schicksalsschlag, mit dem Prem lang… | |
In der Nacht zum 11. Juli 1991 stieg Robert Prem, heute 51, auf das Brett | |
vor dem geöffneten Fenster. Die Nacht war heiß und Prem wollte neben dem | |
Fenster noch das Oberlicht darüber öffnen. Er stürzte in den Innenhof und | |
war querschnittsgelähmt. | |
Bei den diesjährigen Paralympics im chinesischen Qingdao gewann er Gold im | |
Sonar-Segeln. Er war eben schon immer extrem - sagen seine Freunde. Er | |
sagt, Kraft entwickelt er aus dem Gefühl, noch einmal ein Leben geschenkt | |
bekommen zu haben. | |
Robert Prem: Nach dem Erfolg kam gleich auch die Erinnerung an die | |
schlimmsten Zeiten in meinem Leben. Also an den Unfall selber erinnere ich | |
mich nicht. Das Erste, an was ich mich erinnere, war das Gesicht meiner | |
Exfreundin, als sie vor meinem Bett auf der Intensivstation stand. Da | |
wusste ich, es ist was wirklich Schlimmes passiert. Und noch diese ekligen | |
Zitronensticks, mit denen sie einem den Mund einstreichen, wenn man Durst | |
hat. Dann auf der Normalstation merkte ich, dass mit meinen Beinen etwas | |
nicht stimmte. Die lagen so leicht erhöht, dick bandagiert vor mir und | |
fühlten sich an, als wären sie in Beton gegossen. Mehr fühlte ich nicht und | |
bewegen konnte ich sie auch nicht. | |
Prem wurde 1957 in München geboren, hat als Teenager für die | |
Jugendmannschaft des FC Bayern Fußball gespielt. Er war Schauspieler, hat | |
in Wien gelebt, in einer Szene-Diskothek gearbeitet. Sein Leben war | |
unbeschwert | |
Wann weiß man, dass man querschnittsgelähmt ist? Ich hab zu der Zeit diesen | |
Gedanken völlig verdrängt. Die Ärzte haben immer noch gehofft, dass sich | |
durch die OP am Rückenmark alles wieder einrenkt, aber nach drei Wochen | |
haben sie mich dann doch in die Querschnittsabteilung eines anderen | |
Krankenhauses hier in Berlin verlegt. Da hatte mir immer noch niemand | |
gesagt, dass ich ein Querschnitt bin. Sie haben gesagt, dass sie zu wenig | |
Personal hätten, um jemanden wie mich adäquat zu betreuen; ich hatte mich | |
zu der Zeit schon wundgelegen. Aber es gäbe da eine Spezialstation und ich | |
sollte nicht erschrecken, es gibt da sehr viel schlimmere Fälle als mich, | |
aber man kann sich da besser um mich kümmern. Erst beim Aufnahmegespräch | |
hat mir der Oberarzt gesagt, dass ich querschnittgelähmt bin. Irgendwann | |
ist er dann ganz diskret rausgegangen und ich habe geheult. Das wars. | |
Angekommen. Man hat da keine großartige Wahl. Entweder man arrangiert sich | |
mit den Gegebenheiten und fängt noch mal von vorne an, oder man zerbricht. | |
Auf der Querschnittsstation herrscht manchmal auch ein relativ rigider | |
Umgangston, und das ist gut so. Nach drei Tagen Trauer hat mich ein Pfleger | |
genötigt, aus dem Bett zu kommen und mich auf einer Fahrtrage in den | |
Gemeinschaftsraum zu bewegen. Da liegt man dann auf dem Bauch, auf einem | |
Ding mit vier Rädern, weil auf seinem Hintern darf man nicht sitzen, weil | |
der wundgelegen ist. So soll man dann im Gemeinschaftsraum essen. Auf dem | |
Zimmer im Bett gab es einfach kein Essen mehr. So einfach ist das. Jetzt | |
habe ich vor Wut geheult und hätte nur noch um mich schlagen können. Aber | |
irgendwann ging es dann. | |
Nach zwei Jahren in Wien entschloss sich Prem 1982, nach Berlin zu ziehen | |
und eine private Schauspielschule zu besuchen. Er begann in Kneipen zu | |
arbeiten, in einem Restaurant und später in einem Weinladen. | |
Vor meinem Unfall habe ich geglaubt, dass die Welt sich ohne mich gar nicht | |
drehen könnte, und so habe ich mich auch durchs Leben bewegt. Ich war der | |
Beste, der Schönste und der Größte. Was für ein Wahnsinn. Dann liegt man | |
plötzlich in einem Krankenhaus und ist auf die Hilfe von Leuten angewiesen, | |
die man vorher nicht einmal mit dem Arsch angeschaut hätte. Man lernt | |
wieder "bitte" zu sagen. | |
Nach dem Unfall hat er den Gedanken an eine Schauspielkarriere aufgegeben. | |
Der Weinladen ging während seiner Zeit im Krankenhaus pleite. | |
Für mich war es wichtig, wieder zu lernen, was einem eigentlich wichtig | |
ist. Es findet gezwungenermaßen eine Bestandsaufnahme, eine innere Einkehr | |
statt. Deshalb haben solche Tiefpunkte auch etwas Heilsames, man kommt | |
wieder aufs Wesentliche und stellt sich die Frage "Was brauchst du | |
wirklich?", aber leicht ist das nicht. Ich war fast ein Dreivierteljahr im | |
Krankenhaus. Danach habe ich jahrelang alles ausprobiert, was irgendwie | |
Heilung oder zumindest eine Verbesserung meiner Situation versprochen hat. | |
Reittherapie, Laufband, Heiler, Schamanen, Akupunktur, Qigong, | |
Spezialmassagen, und sogar mit Urinkur habe ich es versucht. Du würdest | |
Scheiße fressen, wenn du glaubst, dass es dich heilt. | |
Vor sechs Jahren wurde Prem eine Umschulung bewilligt. Nun ist er | |
Bürokaufmann und arbeitet im Sekretariat einer Schule in Berlin. | |
Der Sport hilft. Er stellt eine neue Normalität her, in der man sich gut | |
bewegen kann. Man muss niemandem erklären, warum der Gang zur Toilette | |
etwas länger dauert oder dass man nicht ansteckend ist, nur weil man im | |
Rollstuhl sitzt. Man kann reden über Dinge, die einen bewegen, oder man | |
haut dem anderen einfach nur die Bälle um die Ohren und tobt sich aus, was | |
manchmal auch ganz reinigend ist. | |
Bei der Umschulung lernte Prem einen Segler kennen. Er ermunterte ihn immer | |
wieder, mal mit zum Training zu kommen, und den Segelschein zu machen. | |
Badminton hat den Vorteil, dass es von fast allen Rollstuhlfahrern mit | |
relativ wenig Aufwand gespielt werden kann. Ich denke, dass Badminton auch | |
sehr gut für die allgemeine Fitness ist. Ich bin zum Beispiel weniger | |
krank, seit ich regelmäßig spiele, und jeder kann das so gut ausüben, wie | |
es eben für sie oder ihn möglich ist. Beim Segeln ist das etwas schwieriger | |
und aufwendiger, je nach Grad der Behinderung. Beim Segeln in einem | |
Dreimannboot muss das Team funktionieren. Da gibt es kein Entrinnen. Beim | |
Badminton kann man Leuten, mit denen man nicht so gut klarkommt, noch aus | |
dem Weg gehen. Beim Segeln nicht. Man kann die Abläufe, und zwar jeden | |
Handgriff, immer wieder aufeinander abstimmen und üben. Aber letztlich muss | |
es einfach menschlich passen. Sonst wird es nix. | |
Prem spielt zweimal in der Woche Badminton. Zum Sport verwendet er einen | |
speziellen Rollstuhl. | |
Segeln ist eine Teamsportart. Jens, unser Skipper, hat beim Empfang der | |
"Goldjungs" im Yachtclub Berlin-Grünau eine kleine Rede gehalten und | |
gesagt, dass die Goldmedaille eigentlich allen gehört. Das hört sich | |
pathetischer an, als es ist. Der Yachtclub engagiert sich seit Jahren fürs | |
paralympische Segeln. Da gibt es Hafenmeister, die unser Boot ins und aus | |
dem Wasser kranen, da ist unser glatzköpfiger Bootsmann, der das Boot dann | |
poliert, und, und, und. Ohne dieses Engagement im Umfeld geht gar nichts. | |
Vor dem Hintergrund ist die Aussage von Jens eher eine sachliche | |
Standortbestimmung. Deshalb denke ich auch, die Goldmedaille sollte man | |
nicht so persönlich nehmen - was auch meint, sich selber dabei nicht zu | |
wichtig zu nehmen. Es ist ein großes Geschenk, das erleben zu dürfen, | |
wirklich großartig, aber trotzdem Vorsicht! Der Eindruck, dass man sich | |
selbst nicht so wichtig nehmen sollte, ist schon ziemlich bald nach meiner | |
Nominierung entstanden. Die Freude und Begeisterung, die mir da | |
entgegenschlug, war sensationell, damit hatte ich nicht gerechnet. Da ich | |
ja relativ kurzfristig nachnominiert wurde, stand ich nun da und hatte | |
ordentlich Schiss, das nicht zu packen. Bis fünf Wochen vor den Paralympics | |
war ich ein gut trainierter Freizeitsportler. Jetzt musste ich ran, und | |
zwar im Ernst. Als die Berufung kam, wurde von Gesine Reichl, unserer | |
Physiotherapeuthin, ein spezieller Trainingsplan für mich erstellt. Das | |
hieß jeden Tag mindestens zehn Kilometer Handybike fahren und Krafttraining | |
leisten. Ohne das Verständnis meines Arbeitgebers und meiner Kollegen hätte | |
ich das nicht geschafft. | |
Am Wochenende fährt er in den Südosten Berlins, nach Grünau - zu seinem | |
Verein. Ein Wochenende Segeltraining, meint er, ist wie eine Woche Urlaub. | |
Auf dem Wasser kann er sich entspannen. | |
Mein ehemaliger Großschoter, Peter Münter, hat mir nach meiner Nominierung | |
gesagt: "Und pass auf - wenn ihr eine Medaille gewinnt, verändert sich dein | |
ganzes Leben." Ich staune immer wieder, wie sehr die Freude und | |
Begeisterung, die vorher da war, auch jetzt da ist. Das ist wirklich irre. | |
Es verändert sich vieles, und ich bin da aber gerade noch mittendrin in | |
dieser Entwicklung. Aber es fühlt sich gut an. | |
Heute wird der Titel "Sportler des Jahres" an Behindertensportler vergeben. | |
Prem und seine Teamkollegen haben in diesem Jahr gute Chancen. | |
10 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
Robert Prem | |
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