# taz.de -- Inklusion im Sport: Handball mit Handicap | |
> Handball als Sport für geistig Behinderte? Wie das gehen kann, zeigt die | |
> Hamburger Initiative Freiwurf, bei der behinderte und nicht-behinderte | |
> Menschen zusammenspielen. | |
Bild: Hart am Mann: taz-Autor Birk im Zweikampf mit Florian. | |
HAMBURG taz | Mein Probetraining bei der Initiative Freiwurf Hamburg | |
beginnt wie zu aktiven Handballzeiten. In der Umkleidekabine ist es voll | |
und laut und die Halle am Hamburger Münzberg riecht nach Sportunterricht. | |
Vor den eigentlichen Aufwärmen-Spielchen schickt mich Trainer Martin Wild | |
noch ein paar Runden laufen: Trainingsalltag, wie er überall stattfindet. | |
Nur einen Unterschied gibt es. Die meisten der knapp 30 Handballer, die bei | |
dem Kooperationsprojekt des AMTV Hamburg und des SV Eidelstedt jeden | |
Samstag zusammen trainieren, haben eine geistige Behinderung. Die | |
Behinderungen reichen vom Down-Syndrom über psychische Erkrankungen bis hin | |
zu Lernbehinderungen. | |
Handball als Behindertensport? Darüber sind die meisten erst einmal | |
verwundert. Immerhin gilt der schnelle Mannschaftssport als sehr | |
körperbetont, auch die Bewegungsabläufe und Regeln sind komplex. Für die | |
Menschen mit Behinderung heißt das: Sie haben mitunter Schwierigkeiten beim | |
Fangen und Werfen der Bälle oder tun sich schwer, die Regeln zu | |
verinnerlichen. Trainer Martin Wild sagt, am Anfang sei er skeptisch | |
gewesen, Handball als Behindertensport zu betreiben. „Heute, knapp zwei | |
Jahre später, weiß ich, dass dieser Ansatz gut funktioniert.“ | |
Der Ansatz der Initiative Freiwurf Hamburg ist, behinderte und | |
nicht-behinderte Menschen in einem Team zusammenspielen zu lassen. Dabei | |
sollen die Sportler „gleichermaßen gefordert werden und Spaß am Spiel | |
haben“, sagt Mitorganisatorin Katharina Pohle vom Special Olympics Verband. | |
„Dieser Inklusionsgrundsatz wird in manchen Sportarten schon länger und | |
inzwischen auch sehr gut umgesetzt.“ | |
Beispiele dafür sind das Schwimmen und die Leichtathletik, aber auch das | |
Segeln und Tennis. Komplizierter wird es bei Mannschaftssportarten wie | |
Fußball, Basketball oder Handball. „Hier stecken wir noch in der | |
Probephase. Es gibt bisher keine richtigen Regelwerke, aber wir wissen dank | |
einiger Turniere und Trainings, dass die Idee wunderbar funktioniert.“ In | |
Hamburg werden die beiden Trainingsgruppen zum Beispiel durch C-Jugendliche | |
der Vereine und Betreuern aus den Behinderteneinrichtungen ergänzt. | |
Sie alle holt Trainer Martin Wild mit einem lauten Klatschen zusammen. Nun | |
stehen das Warmwerfen der Torleute und ein paar Angriff-Abwehr-Übungen auf | |
dem Programm. Ich nehme als Torwart teil und werde mit Handschlag von | |
meinem neuen Kollegen Volker begrüßt. | |
Die ersten beiden Bälle auf mein Tor sind sehr schwach geworfen und lassen | |
sich locker fangen. Doch schon die Würfe von Sven und Patrick sind eine | |
Herausforderung. „Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit nehmen wir | |
bewusst in Kauf“, sagt Trainer Wild. | |
Auch nach Alter oder Geschlecht wird anders als im normalen Spielbetrieb | |
bei Freiwurf Hamburg nicht getrennt. So gehören zum Kern des Teams nicht | |
nur ein halbes Dutzend Mädchen, sondern die Altersspanne reicht auch von 12 | |
bis knapp über 60 Jahre. | |
Die Trainer müssen diese Heterogenität unter einen Hut bringen, und das | |
bedeutet: Unermüdlich geben sie taktische Tipps, weisen auf die Regeln hin, | |
sprechen mit jedem Einzelnen über Verbesserungsmöglichkeit und mahnen zur | |
Konzentration. Mit Erfolg – von Trainingsfaulheit ist bei den Spielern | |
keine Spur, nach dem Wurf läuft jeder zurück auf seine Position und selbst | |
bei der Mannschaftseinteilung für das Trainingsspiel gibt es kein Murren. | |
Sven schnappt sich die Pfeife und bittet die Teams zum Mittelkreis. „Ich | |
möchte ein faires und gutes Spiel sehen“, sagt er. Es gelten die normalen | |
Handball-Regeln. Bei Turnieren gibt es mitunter Ausnahmen: Dann zählt das | |
Tor eines behinderten Spielers drei Punkte, das eines nicht-behinderten | |
Spielers einen Punkt. | |
Meine erste Skepsis gegenüber Handball als Behindertensport ist inzwischen | |
auf ein Minimum geschrumpft. Die 30 Sportler treten wie eine richtige | |
Mannschaft auf, die freundschaftlich miteinander umgeht, sich gegenseitig | |
anfeuert und sich sogar selbst organisiert. Auch aus sportlicher Sicht wird | |
hier erkennbar Handball gespielt – auch wenn meine Mannschaft die | |
Deckungsaufgaben etwas schleifen lässt. Ein Fehler, den Lisa gleich zwei | |
Mal bitter bestraft. Gegen ihre ersten beiden Würfe von Außen bleibe ich | |
chancenlos. 4:4 endet das zehnminütige Trainingsspiel. | |
Bisher treten die Spieler fast nur im Training gegeneinander an, von | |
regelmäßigen Wettkämpfen oder gar einem Ligabetrieb ist man noch Lichtjahre | |
entfernt. Trotz der Popularität des Handballs in Norddeutschland ist das | |
Hamburger Projekt das einzige weit und breit. Lediglich ein paar lockere | |
Interessensbekundungen von Nachbarvereinen kann man bisher verzeichnen. | |
„Bei den letzten Turnieren haben wir diesen Unterschied klar gespürt. Die | |
Teams aus Sachsen oder Süddeutschland sind den Spielbetrieb viel mehr | |
gewöhnt und uns spielerisch um einiges voraus.“ | |
Doch um noch mehr Turniere bestreiten zu können, fehlt es nicht nur an | |
Gegnern in der Region, sondern auch an Zeit und Geld. Handball gilt nämlich | |
offiziell nicht als Reha-Sport und wird deshalb vom Bund nicht gefördert. | |
Sämtliche Kosten für Reisen oder Trikots werden durch Spenden abgedeckt und | |
die Betreuung bei Fahrten übernehmen die Eltern. | |
30 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Birk Grüling | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Rollstuhlfahrer | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
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