# taz.de -- Oliver Roggisch über deutschen Handball: „Der Hintergrund spielt… | |
> Der DHB-Teammanager wehrt sich gegen die AfD und heißt Migranten im | |
> Handball willkommen. Über die TV-Übermacht des Fußballs beschwert er sich | |
> nicht. | |
Bild: Wer das deutsche Trikot trägt, ist egal, findet Oliver Roggisch. Derzeit… | |
taz: Herr Roggisch, fehlt den deutschen Handballern ein Jérôme Boateng? | |
Oliver Roggisch: Sie wollen sicher auf die Thesen von [1][Herrn Eilenberger | |
in der Zeit] hinaus. Diesen Text haben wir im Februar alle gelesen. | |
Darin hat er den Handballsport hierzulande als „kartoffeldeutsch“ | |
bezeichnet, weil Spieler mit Migrationshintergrund im Nationalteam fehlen. | |
Bei der Fußballnationalmannschaft ist das anders. Haben Sie eine Erklärung? | |
In anderen Ländern spielt der Handball einfach keine Rolle. Wir in | |
Deutschland spielen kaum Cricket, obwohl das woanders unheimlich populär | |
ist. Wenn nun Menschen zu uns kommen, die in ihrem Heimatland vor allem | |
Fußball gespielt haben, dann sagen die: Klar, wir spielen auch in | |
Deutschland Fußball. | |
Das erklärt aber nicht, dass Menschen, die einen Migrationshintergrund | |
haben und hier geboren sind, im Nationalteam gänzlich fehlen. | |
Fußball ist einfach omnipräsent. Der zieht die meisten Kinder weg. Die | |
anderen Sportarten müssen den Rest aufteilen. Da gibt’s Basketball, | |
Volleyball und und und. Plus viele andere schöne Dinge. Deswegen finde ich | |
Herrn Eilenbergers These sehr, sehr seltsam. Zudem sind wir längst dabei, | |
verstärkt auf Kinder und Jugendliche aller Nationalitäten zuzugehen. | |
Wie sieht das konkret aus? | |
Das geht vor allem über die Schulen. Wir sind mit Startrainings und | |
Grundschulaktionstagen präsent, erreichen so auch viele Schülerinnen und | |
Schüler mit Migrationshintergrund. | |
Künftig sehen wir also auch beim Handball Boatengs? | |
Spielern mit einem deutschen Pass stehen alle Türen offen. Der Hintergrund | |
spielt keine Rolle. Derzeit gibt es leider keine entsprechenden Spieler im | |
DHB-Team. Daran muss man arbeiten, keine Frage. | |
„Wenn Fußball Merkel ist, ist Handball Petry.“ Wie finden Sie diesen Satz, | |
ebenfalls aus der Zeit? | |
Darüber möchten wir eigentlich überhaupt nicht nachdenken, weil wir von der | |
AfD meilenweit weg sind. Deswegen war es für uns unglaublich schwer zu | |
verstehen, wie man auf dieses Thema überhaupt kommt. | |
Auch von „völkisch-homogen“ war die Rede. | |
Als ich das las, musste ich aufhören, weil es mir kalt den Rücken runter | |
lief. Ich finde es schwierig, sich dazu überhaupt verteidigen zu müssen, | |
weil wir davon weit weg sind. Gar nichts zu sagen, geht aber natürlich auch | |
nicht. | |
Und was sagen Sie nun? | |
Dass wir unglaublich weltoffen sind. Und nochmal: Gäbe es Spieler mit | |
Migrationshintergrund, die Talent für die Nationalmannschaft mitbringen, | |
würden die spielen. Vielleicht sollten sich einige mal unsere | |
Frauen-Nationalmannschaft und die jüngeren Jahrgänge anschauen: Da gibt es | |
Spielerinnen mit Migrationshintergrund – und die Handballbundesliga der | |
Männer steht für internationales Miteinander. | |
Wie beurteilen Sie das Team von Katar inzwischen? Die Spieler dort werden | |
ja aus aller Welt mit Ölmillionen angelockt. | |
Ich mache Katar wegen seiner „Internationalmannschaft“ keinen Vorwurf. Im | |
Handball sind die Regeln so, dass Spieler beliebig oft zwischen den Ländern | |
wechseln können. Deutschland hat früher ebenfalls von dieser Regelung | |
profitiert, wenn ich an die nuller Jahre mit Oleg Velyky oder Andrej | |
Klimovets denke. Wir dürfen uns nicht beschweren. | |
Wobei in Katar diese Regel doch sehr extrem ausgenutzt wird, oder? | |
Ich glaube schon, dass es Überhand nimmt. Wollen wir diesen Weg? Dass | |
Spieler für Geld dreimal die Nationalität wechseln in ihrer Karriere. Für | |
mich wäre das undenkbar gewesen. Aber: Jeder muss für sich selbst | |
entscheiden. Die Regeln geben dies nun mal her; wer sie nutzt, sollte dafür | |
nicht verurteilt werden. | |
Katar ist Mitfavorit beim Olympiaturnier von Rio. Wer noch? | |
Frankreich, Dänemark und Kroatien sind ganz heiße Kandidaten auf die | |
Goldmedaille. | |
Und Deutschland, immerhin jüngst Europameister? | |
Ich zähle uns und vier, fünf andere Teams zum erweiterten Kreis. An einem | |
guten Tag können wir jeden schlagen. Das ist das Ziel. Immer funktioniert | |
das natürlich nicht. | |
Fehlt den Deutschen ein Superstar wie der Franzose Nikola Karabatić oder | |
Dänemarks Mikkel Hansen? | |
Tatsächlich stellt sich zunächst mal die Frage: Was ist ein Superstar? | |
Einer, der gut Handball spielen kann? Oder einer, der gut spielen kann und | |
sich gut vermarktet? | |
Bitte beantworten Sie zuerst die Vermarktungsfrage. | |
Es gibt fraglos sehr gute Handballer, die keine Lust haben, sich zu einem | |
Superstar aufbauen zu lassen; die kein Instagram, Twitter, Facebook oder | |
was auch immer haben. Trotzdem sollte man das im Blick haben, es gehört | |
einfach dazu. Wir brauchen Leute wie Karabatić, die das ganze Theater | |
mitspielen. Er ist in Frankreich für den Handball ein Zugpferd, weltweit | |
aber genauso. | |
Tatsächlich wird mit deutschen Handballern immer noch Stefan Kretzschmar | |
verbunden, der 2004 zurücktrat. Wer probiert sich aktuell als Nachfolger? | |
Im Moment deckt Andreas Wolff diesen medialen Part ganz gut ab. Andere | |
könnten das von ihrer Klasse her vielleicht auch, aber das ist immer eine | |
Typfrage. | |
Fehlen solche Typen vielleicht auch in Großstadtvereinen, damit der | |
Handball dort erfolgreich sein kann? Ein Spitzenverein wie der HSV Hamburg | |
ist pleite gegangen. | |
Ich kenne die Interna nicht. Und es ist auch nicht mein Job, dies zu | |
beurteilen. | |
Ganz grundsätzlich können Sie die Szene aber sicher einschätzen. | |
Klubs müssen Risiken eingehen, wenn sie sportlich erfolgreich sein wollen. | |
Es kommt dann vor, dass der Etat eben nicht am ersten Tag gedeckt ist; und | |
Spieler werden verpflichtet, obwohl das Geld fehlt. | |
Ist das nicht etwas blauäugig kalkuliert? | |
Oft springt ein Sponsor kurzfristig auf. Und gerade in Hamburg stehen | |
eigentlich genug potenzielle Geldgeber bereit. Was da nicht funktioniert | |
hat, weiß ich nicht. | |
Vielleicht weil Handball immer noch ein provinzieller Sport ist? | |
Dieses Image hatte er zu meiner Zeit teilweise noch, keine Frage. Ich komme | |
ja selbst aus dem Handballerdorf Schutterwald (7.000 Einwohner, bei | |
Offenburg, Baden-Württemberg, d. Red.). Aber der Handball ist aus den | |
Dörfern rausgekommen, was übrigens auch dringend notwendig war. Es gab ein | |
zunehmendes Zuschauerinteresse, das Ganze musste wachsen. | |
Was müssen die Handballverbände noch von ihren Fußballkollegen lernen? | |
Der Fußball ist ganz klar breiter aufgestellt, alles Faktor 50. Konkret | |
müssten wir mehr in Marketingstrategien investieren, was wiederum höhere | |
Kosten verursacht und ein höheres Risiko. Allerdings haben wir eine | |
unglaublich geile Sportart, davon müssen die Sponsoren überzeugt werden. | |
Auf den Trikots der Handballspieler prangen meist allerdings schon mehr | |
Werbelogos als auf denen der Fußballer. | |
Mag sein, aber nicht die Logos der ganz großen Weltfirmen. Die investieren | |
lieber in Fußball. Da ist die TV-Aufmerksamkeit höher. Uns fehlt die | |
TV-Präsenz leider. | |
Tut es sehr weh, dass das ZDF ein Spiel zwischen den B-Mannschaften von | |
Bayern und Manchester City zur besten Sendezeit ausstrahlt, während | |
Handballer höchstens bei Großereignissen wahrgenommen werden? | |
Ich will nicht jammern. Fakt ist: Wir können nur wachsen, wenn wir große | |
Sponsoren bekommen. Deshalb brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen ARD | |
und ZDF. Sky macht beispielsweise schon einen Riesenjob in der Champions | |
League – nur hat sich in Deutschland die Pay-TV-Angebot leider noch nicht | |
so durchgesetzt wie es etwa in Amerika der Fall ist. Und zum Fußball: Da | |
stimmt die Quote halt auch bei Spielen, die völlig bedeutungslos sind. | |
In einer Sache ist Handball aber weiter als Fußball. | |
Ich bin gespannt. | |
Die beiden französischen Schwestern Charlotte und Julie Bonaventura pfiffen | |
in London 2012 auch Männerspiele. Das fußballerische Schiedsrichterwesen | |
ist hingegen, was jedenfalls die Männerspiele betrifft, selbst 2016 noch | |
100-prozentig maskulin. Welche Erfahrungen haben Sie schon mit | |
Schiedsrichterinnen gemacht? | |
In dieser Bundesligasaison tatsächlich keine, da haben keine Frauen | |
gepfiffen, soweit ich weiß. Zu meinen Zeiten als aktiver Spieler hatten wir | |
hin und wieder aber eine Unparteiische. | |
Und wer pfeift nun besser, Frauen oder Männer? | |
Da gibt’s keine Unterschiede. Im Endeffekt ist das ja dieselbe Diskussion | |
wie bei der Migrationsdebatte. Ich finde, dass die besten auf der Platte | |
stehen müssen, ob das dann Frauen oder Männer sind, ist vollkommen egal. | |
Nur würde einer Schiedsrichterin wohl der „Makel“ anhaften, dass sie eben | |
eine Frau ist. Speziell bei Fehlentscheidungen, oder? | |
Ich glaube eher, dass Frauen Vorteile haben können. | |
Inwiefern? | |
Die Spieler verhalten sich zivilisierter, wenn eine Frau statt eines Mannes | |
pfeift. Es wird weniger gemeckert; auch strittige Entscheidungen werden | |
eher mal akzeptiert. | |
Sie starten am Sonntag gegen Schweden in der Gruppe B. Der Eindruck, dass | |
die A-Gruppe, u.a. mit Frankreich und Dänemark stärker besetzt ist, täuscht | |
nicht, oder? | |
Wir hätten es schlimmer erwischen können, stimmt. Aber Schweden ist | |
beispielsweise auch keine Mannschaft, die wir im Vorbeigehen schlagen. | |
Außerdem weiß jeder: Willst du ins Finale, musst du eh alle schlagen | |
können. | |
Wie hat Trainer Dagur Sigurdsson die Mannschaft darauf vorbereitet? | |
Er und sein Trainerteam investieren unglaublich viel in die | |
Video-Vorbereitung. Das Vermitteln von Inhalten klappt, da findet Dagur | |
immer die richtigen Worte Das gilt auch für Spielphasen, in denen es mal | |
weniger gut läuft. Und auch bei Niederlagen. Seine Ansprachen sind | |
sensationell. Kurzum: Er ist der absolut richtige Trainer für diese | |
Mannschaft. Ich wünsche mir, dass er noch lange, lange dabei ist. | |
Sein Vertrag läuft 2017 aus – mit Option, bis 2020 zu verlängern. Hat der | |
Bundestrainer schon Signale ausgesandt? | |
Dagur ist kein Typ, der über sowas ständig reden muss. Er weiß, er hat die | |
Rückendeckung des Verbands und des Teams. Ich sehe keinen Grund, frühzeitig | |
irgendwelche Gespräche anzuleiern. Wir sind da alle sehr entspannt. | |
6 Aug 2016 | |
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[1] http://www.zeit.de/sport/2016-02/handball-deutschland-europameister-alterna… | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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