# taz.de -- Völkisch homogener Handball?: Keilerei um Kernfragen | |
> Der Handball, zu weiß, zu deutsch, zu kartoffelig. Wie eine Sportart | |
> unter Verdacht geraten ist und was die Basis zu den Vorwürfen sagt. | |
Bild: Die Handball-Nationalmannschaft – so deutsch wie Petry-Deutschland? | |
BERLIN taz | Ein Morgen im Berliner Osten. Dampfiger Nebel liegt über dem | |
Sportforum. In der Handballhalle wummert es aber schon im Rhythmus heftiger | |
Betriebsamkeit. Bälle donnern aufs Parkett, sie klatschen an Wände und | |
Pfosten. Der Nachwuchs der Berliner Füchse trainiert. | |
Die Jungs sehen nicht müde aus. Die Einheit wird so intensiv durchgezogen, | |
als hätten die Burschen, 16, 17 Jahre alt, zwei Kannen Kaffee zum Frühstück | |
getrunken, damit sie schon vor acht eine formidable Handballkeilerei | |
veranstalten können. Sie bereiten sich aufs Finale vor. Die B-Jugend der | |
Füchse gegen Flensburg-Handewitt. Am Sonnabend steigt das Hinspiel, in | |
einer Woche das Rückspiel. | |
Sie werden wahrscheinlich gewinnen, weil die „Jungfüchse“, wie sie sich | |
nennen, in den vergangenen Jahren eigentlich alles gewonnen haben. Oder | |
bildhaft gesprochen: alles weggebissen. Ein kleiner Mann an der Seitenlinie | |
treibt sie an. Bob Hanning. Vizepräsident des deutschen Handball-Verbandes | |
und Leitfuchs. Er lebt, er atmet diesen Sport. Das Finale, sagt er, sei | |
nicht so wahnsinnig wichtig, „eher ein Abfallprodukt“ der guten Arbeit. | |
Wichtiger ist die Ausbildung von Profis für die Handballbundesliga. | |
Die Profis in Ausbildung geben alles. Ein Torhüter muss auf der einen Seite | |
seines Kastens einen Tennisball abwehren, um sogleich auf die andere Seite | |
zu schnellen wie ein Springteufel. Dort pariert er einen harzverschmierten | |
Handball. Das macht er zwanzigmal, dreißigmal. | |
Dann denkt sich der Assistenztrainer neue Schikanen aus. Die Feldspieler | |
werden derweil beim Drei-gegen-drei getriezt. Wenn etwas nicht so richtig | |
läuft, schreit Hanning: „Hey, gib bitte 100 Prozent, spiel den Ball | |
parallel und hör mit der Scheiße auf.“ Oder er sagt: „Beweg dich, du faul… | |
Sack.“ Die Spieler straffen sich und machen weiter. | |
Die Füchse verlangen von ihren Talenten, dass sie sich „ein- und | |
unterordnen“, dass sie beim Sport und in der Schule gut sind, dass sie | |
Manieren haben und keine Angst davor, „aus der Komfortzone“, wie Hanning | |
sagt, herauszugehen. Andere Jugendliche rebellieren in dem Alter, diese | |
hier fokussieren sich. Sie sollen nett zu anderen und hart zu sich selbst | |
sein, Teamplayer und Individualisten. | |
## Frauke-Petry-Sportart? | |
Die Jungs wissen, dass sie es schaffen können. Aber die Entschädigung für | |
ihre Entbehrungen wird niemals so groß sein wie im Fußball. Handball ist | |
nur die Nummer drei oder vier in Sportdeutschland. Und als wäre das nicht | |
schon genug, mussten sich die deutschen Handballer in den vergangenen | |
Monaten anhören, sie seien eine Sportart für Superspießer. Handball sei | |
irgendwie rechts, repräsentiere „Petry-Deutschland“, weil die | |
Nationalspieler so „völkisch homogen“ daherkämen. | |
An der Spitze der Kritiker steht der Publizist Wolfram Eilenberger. Er ist | |
Chefredakteur des Philosophie Magazins und nicht selten in Talkshows zu | |
sehen. In einem [1][Beitrag für die Zeit] hat er den Handballfreunden, die | |
sich nach dem überraschenden EM-Titel im Februar noch im Freudentaumel | |
befanden, die Leviten gelesen. | |
Unter dem Titel „Alternative für Deutschland“ schrieb er, Handball sei | |
„ehrlicher Sport von ehrlichen Männern für ehrliche Bürger, herzhaft, | |
blutnah, widerständig“. Er entdeckte im Nationalteam „keinen einzigen | |
Spieler mit dunkler Hautfarbe oder auch nur südländischem Teint. Es handelt | |
sich um eine Mannschaft ohne jeglichen Migrationshintergrund.“ Dieser Sport | |
sei „sozialdynamisch irgendwo vor drei Jahrzehnten stecken geblieben“, | |
schloss er seine Polemik. | |
Seine Kritik hat er neulich in einem Radiointerview mit dem Deutschlandfunk | |
erneuert. Nationalmannschaften, legte er dar, „sind in Volkssportarten | |
heutzutage in besonderer Weise Repräsentanten des Volkskörpers. Das heißt, | |
sie sind normativ aufgeladen, sie geben uns ein sehr sichtbares Bild | |
dessen, was die Gesellschaft als Ganzes ist oder sein kann.“ | |
In dieser Hinsicht agiere der Fußball mustergültig, Fußball sei | |
„Merkel-Deutschland“, Handball aber genauso wie Rudern oder Fechten hinten | |
dran. Der Vorwurf: AfD-Mief. Nicht auf der Höhe der Zeit. Zu weiß, zu | |
deutsch, zu kartoffelig. | |
Die Handballgemeinde war außer sich. Die Thesenschmiedekunst des | |
Akademikers wurde hart attackiert, der Shitstorm in den Netzwerken war | |
erheblich. Vielen Fans ging die Attacke von Eilenberger, der selbst ein | |
erklärter Fußballfreund mit DFB-Trainerlizenz ist, viel zu weit: Fehlte nur | |
noch der Vorwurf, der traditionell in der Provinz verankerte Handball sei | |
voll von Nazis und Rassisten. Die hitzige gesellschaftliche Debatte dieser | |
Tage hatte den Handball erreicht. Und der reagierte vielleicht auch | |
deswegen so gereizt, weil er sich der eigenen Versäumnisse bewusst war. | |
## Gekränkte Handballer | |
Bob Hanning ist auf Eilenberger nicht gut zu sprechen. „Es gibt Menschen, | |
mit denen kann ich nichts anfangen, jeder disqualifiziert sich, so gut er | |
kann“, sagt er ein wenig pikiert. Man merkt ihm, der vor elf Jahren vom | |
CDU-Politiker Frank Steffel nach Berlin geholt worden war, die Kränkung an. | |
Die Bundesliga ist bunt, ganz viele Nationalitäten, sagt er und zeigt auf | |
die vielen europäischen Fahnen an der Hallendecke. Aber wenn man zu den | |
Jungs schaut, die hier trainieren, dann sieht man nur weiße Spieler. | |
Womöglich alles „Kartoffeldeutsche“? | |
Nein. Zwei Slowenen sind dabei, ein Bosnier. In der Füchse-Jugend heißen | |
die Spieler Narita, Don Pablo oder Sahar. Nachwuchsspieler aus Israel, der | |
Schweiz, Spanien oder Norwegen haben hier trainiert, zwei sind schwarz. | |
„Das tut auch unserer Kultur gut, andere Kulturen zu verstehen“, sagt | |
Hanning. | |
Ein „internationales Team von Talenten“ wie es sich viele Fußballvereine | |
zusammenkaufen oder die Öldynastie Katar mit ihrem Handballteam, will er | |
aber nicht. Die Jungs kommen meist aus Berlin, von den Preußen, aus Rudow | |
oder Schöneberg. | |
## Andere Lebensrealität | |
Enes Keskic hat in der Berliner Siemensstadt mit Handball angefangen. Er | |
ist in der E-Jugend ein Handball-Fuchs geworden, vor ein paar Jahren. „Der | |
Sport passt zu mir, er ist anstrengend, da kann man sich austoben“, sagt | |
er. Seine Eltern kommen aus Bosnien. Der Großvater war ein sogenannter | |
Gastarbeiter und hat die Familie nachgeholt. | |
Keskic, 16, möchte Nationalspieler werden – von Bosnien. Da hat er bessere | |
Chancen als bei den Deutschen, vermutet er. Und deswegen möchte er sich | |
jetzt noch schnell den bosnischen Pass besorgen, damit er bei der | |
Junioren-Europameisterschaft im August in Georgien für den Balkanstaat | |
spielen kann. | |
Er findet, dass es mehr „internationale Spieler“ im Handball gebe als bei | |
den Nachwuchsfußballern von Hertha BSC. Die sieht er immer auf dem | |
Sportgymnasium, und ja, da seien die „ausländischen Wurzeln“ | |
offensichtlicher, aber die wollten eben alle für Deutschland spielen. | |
Er kann mit den Eilenberger-Thesen wenig anfangen. Sie gehen an seiner | |
Lebenswirklichkeit vorbei. Ihm geht es darum, seinen anstrengenden Tag gut | |
über die Runden zu bringen. Nach dem Morgentraining sitzt der Flügelspieler | |
wie so oft noch bis 16 Uhr in der Schule. Danach wird wieder geschwitzt in | |
der Halle. | |
„Es gab schon viele Momente, wo ich dachte, alles ist scheiße, aber gerade | |
dann muss man weitermachen, damit es sich irgendwann auszahlt.“ Enes Keskic | |
gehört wie viele seiner Sportkameraden zu den Frühreifen, seine Gedanken | |
sind so gut geordnet wie die Sachen im Spind eines Soldaten. Seine | |
Zugewandtheit ist verblüffend für einen so jungen Spieler. | |
Er verabschiedet sich äußerst freundlich von dem Gast aus der Redaktion, | |
und seine Mitspieler tun das auch – mit dem Handballergruß: Faust auf | |
Faust. Bob Hanning freut sich über diese Szene, illustriert sie doch, dass | |
seine Jungs verstanden haben, worum es ihm geht. „Ja“, sagt er mit einem | |
Grinsen, „aus der Nummer kommen Sie jetzt nicht mehr raus.“ | |
## Der Verband muss aktiv werden | |
Hanning weiß natürlich, dass der Handballbund mehr tun muss, um in | |
migrantische Milieus vorzudringen. Eilenberger habe inhaltlich durchaus | |
recht, „aber wie er es gesagt hat, das geht nicht“. Wenn man sich umhört, | |
dann ist Eilenbergers Vorwurf vor allem deswegen ungerecht, weil die | |
Handballvereine niemanden bewusst ausgeschlossen haben, Türken aus | |
Kreuzberg oder Libanesen aus Neukölln kommen gar nicht erst in den Hallen | |
an. | |
Das liegt an der Dominanz des Fußballs. Der stellt alles in den Schatten. | |
Kurz: Die Migranten wandern lieber in den Fußball ein als in den Handball. | |
Fußball ist auch in der Türkei, Syrien und Nordafrika das ganz große Ding. | |
Es ist der führende globalisierte Sport mit Helden, die auch jeder Eritreer | |
kennt. Fußball kann überall gespielt werden. Man braucht nur einen Ball und | |
ein wenig Platz. Und die Aufstiegschancen sind ungleich besser. Alle wollen | |
Lionel Messi sein. Aber wer Uwe Gensheimer? | |
Klaus Cachay, Sportwissenschaftler aus Bielefeld, nennt das den | |
„Staubsaugereffekt“. Der Fußball saugt die Talente mit | |
Migrationshintergrund auf. Für die anderen bleibt fast nichts mehr. Vor ein | |
paar Jahren wurden 5.000 Jugendliche in Fußball-Leistungszentren über ihre | |
Herkunft befragt. 31 Prozent hatten einen Migrationshintergrund, 9 Prozent | |
waren Ausländer. | |
## Dominierender Fußball | |
Der Handball kommt nicht mal annähernd an diese Zahlen heran. „Da sieht | |
man, was der Fußball alles abgreift“, sagt Cachay. Die Mitgliederzahlen im | |
Deutschen Fußball-Bund steigen ständig, der Handball verliert hingegen | |
dramatisch. Zwischen 2012 und 2015 hat der Deutsche Handball-Bund 64.800 | |
Mitglieder und über 170 Vereine verloren. Der DFB hat im gleichen Zeitraum | |
über 140.000 Mitglieder gewonnen. | |
Der Handball muss also massiv für sich werben, wenn er wieder wachsen will, | |
gerade bei Zugewanderten und Geflüchteten. „Die Handballvereine haben viel | |
verschlafen, der Handball muss nun erst wieder anschlussfähig werden. | |
Er muss dorthin gehen, wo die Migranten sind“, sagt Cachay, der eine | |
Monographie zum Thema Integration von Migranten im Sport geschrieben hat. | |
„Wenn es dem Handball nicht gelingt, auf das migrantische Milieu | |
zuzugreifen, dann kriegt dieser Sport massive Probleme“, prognostiziert er. | |
Und das betreffe nicht nur die schwindende Konkurrenzfähigkeit. „Man wird | |
lange brauchen für einen Schwenk“, wohl mindestens eine Dekade. | |
Es gibt im DHB jetzt diese Initiative, „Integration gelingt spielend“, es | |
gibt aber auch den Vizepräsidenten Georg Clark, der Handball immer noch für | |
eine „urdeutsche Sportart“ hält. Das klingt wieder ein bisschen nach AfD. | |
Klaus Cachay, der Forscher, widerspricht energisch: „Nein, es gibt keinen | |
Grund, den Handball in Richtung AfD zu rücken, es war ja kein böser Wille | |
der Vereine, dass Migranten eher nicht beim Handball landeten.“ | |
Der Kampf um Talente hat begonnen. | |
6 Jun 2016 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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