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# taz.de -- Über die Bedeutung von Schönheit: Der schönste Philosoph der Welt
> Was bleibt im Alter? Ist es sinnvoll, auf Schönheit zu setzen? Der
> Ethikrat triumphiert einmal mehr bei seiner Antwort.
Bild: Natürlich stellt sich der Ethikrat einem Schönheitswettbewerb, denn er …
Der Ethikrat war zu einer Forschungsreise auf den Spuren von Pico della
Mirandolas Metaphysik aufgebrochen, und ich hatte den Sommer ohne
philosophischen Beistand verbracht. Der Ethikrat, das sind drei ältere
Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich [1][Handreichungen in
Sachen praktischer Ethik] geben.
Ich selbst war wieder einmal in ein kleines toskanisches Dorf gereist, das
die jungen Leute verlassen haben, und nur die alten Damen und Katzen aller
Farben sind geblieben. „Was bleibt im Alter?“, hatte ich mich gefragt, aber
die beiden alten Damen, an die ich mich damit hätte wenden können, waren
inzwischen gestorben und ohnehin schien mir die Frage für nahezu jedes
Gegenüber zu privat. Um so mehr vermisste ich den Rat.
Auf dem Rückweg nach Deutschland machten wir einen Abstecher nach Venedig,
denn man hatte es uns als für venezianische Verhältnisse leer ans Herz
gelegt. Als wir auf der Suche nach einer Vaporetto-Haltestelle durch die
Gassen irrten, glaubte ich plötzlich den Ethikrat zu sehen. Er lagerte in
einer Gondel und trug Strohhüte, die mit Bändern in den italienischen
Farben geschmückt waren. „Hallo, buona sera“, rief ich, aber der Rat schien
mich nicht zu hören und die Gondel verschwand in einem Seitenkanal.
Am Abend suchten wir vergeblich nach einer günstigen Trattoria, und da
unsere Reisekasse erschöpft war, setzten wir uns auf eine Bank und aßen
bröckelige Pizza. Die Kinder gerieten in Entzücken über junge Frauen in
hellen Sommerkleidern und ich kam nicht umhin, die Schönheit der Männer zu
bemerken, die mit entblößtem Oberkörper ihre Lastkähne steuerten. Da hörte
ich ein Scheppern und sah, wie der Ethikratsvorsitzende die Figur einer
Frau mit Helm, die vermutlich Pallas Athene darstellen sollte, vom Boden
aufhob und auf eine Apfelsinenkiste stellte. Danach verschwand er hinter
einem Paravant, an dem ein Schild hing: „Incontri un filosofo – 10 minuti
per 5 Euro“.
## Philosophisch Interessierte unter den Touristen
Ich ging hinüber und traf den Ratsvorsitzenden auf einem Klappstuhl an.
„Haben Sie Ihre Arbeit im Urlaub wieder aufgenommen?“, fragte ich. „Wir
hatten uns mit den Preisen der hiesigen Angebote nicht ausreichend vertraut
gemacht“, sagte der Vorsitzende knapp. „Aber wir hoffen auf philosophisch
Interessierte unter den Touristen.“– „Wo sind eigentlich Ihre Kollegen?�…
fragte ich, denn mir fiel erst jetzt ihr Fehlen auf.
„Sie gehen neue Wege“, sagte der Vorsitzende, „aber nun zu Ihnen: Was ist
Ihre Frage?“ – „Sie ist ein weites Feld“, sagte ich zögerlich. „Aber…
Ist es nicht sinnvoller, auf den Geist als auf den Körper zu setzen? Ich
meine: Dies ist eine Kultur, die die Schönheit des Körpers feiert und das
ist faszinierend. Aber ist es nicht auch kurzsichtig? Wenn der Körper
verfällt, bleiben einem noch viele Jahre. Wenn man dann Horn spielen kann
oder Blitzschach oder die mächtigste Frau der Welt ist, lässt sich besser
damit umgehen.“
Gegen seine Gewohnheit hatte mir der Vorsitzende bis zum Ende zugehört.
„Signora Gräff“, sagte er, „ich möchte Ihnen zwei Ideen anvertrauen. Zum
einen: Der Strang in der Philosophie, der einen Dualismus zwischen Körper
und Geist sieht, ist nur einer unter vielen. Zum anderen möchte ich Sie
fragen, ob Ihre Idee von Schönheit nicht sehr normativ ist.“
Natürlich war das keine Frage. Der Ethikrat hatte wie immer recht: Es war
dumm, Schönheit mit Jugend gleichzusetzen. „Aber tut das nicht die
Mehrheit?“, rief ich. „Umso verbissener, je mehr Alte es gibt?“ Da klang
eine Glocke. „Danke für Ihren Besuch“, sagte der Ratsvorsitzende. „Leider
ist Ihre Zeit abgelaufen.“
## Der philosophische Weg kann mühsam sein
Ich verabschiedete mich und sagte mir, dass der philosophische Weg mühsam
sein könne, ja müsse, als ich Applaus hörte. Als ich um eine Ecke bog, sah
ich auf einer Tribüne sechs junge Männer in Badehosen, deren muskulöse
Oberkörper ölig glänzten.
Alle trugen Bärte, unter ihren Armen klemmten ledergebundene
Nachschlagewerke und sie wirkten milde enttäuscht. Aber in ihrer Mitte, auf
einem Podest, standen die beiden Ratsmitglieder, die immer schwiegen. Sie
trugen ein Bettlaken oder eine Tunika und reckten eine Trophäe in die Höhe.
„Il più bel filosofo del mondo“ stand darauf. Ich blätterte eilig in mein…
Wörterbuch: „Der schönste Philosoph der Welt“.
25 Jul 2021
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## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Schönheit
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