# taz.de -- Worüber man schweigen darf: Der Rock der Pastorin | |
> Muss man sich auf eine Debatte über die Kürze des Rocks der Pastorin | |
> einlassen? Der Ethikrat findet über diese Frage zu neuen | |
> Gesprächspartnern. | |
Bild: Der Ethikrat aß Törtchen in leuchtenden Farben, für die ihm in der Reg… | |
Kürzlich stand ich nach einem Gottesdienst beim Kaffee vor der Kirche, als | |
einer der Gottesdienstbesucher ein Gespräch mit mir begann. Etwas an ihm | |
erinnerte mich an einen Typus Mann, dem ich früher manchmal begegnet bin, | |
ein bisschen schratig, ein bisschen provokant und sich der eigenen | |
Exzentrik angenehm bewusst. | |
Wir sprachen über die großen Fragen, darüber, dass die Kirche die Frage | |
nach der Beziehung zu Gott selten stellt und über die Dominanz des | |
Bildungsbürgertums in den Gemeinden. Wir waren uns einig, dass die Pastorin | |
ein Lichtblick unter mäßig inspirierten KollegInnen sei und dann sagte der | |
Schrat unvermittelt: „Darf ich Sie etwas fragen?“ – „Ja“, sagte ich. | |
„Glauben Sie auch, dass viele Männer eher auf den Rock der Pastorin gesehen | |
als der Predigt zugehört haben?“, fragte er und sah mich interessiert an. | |
Diese Situation ist sehr plakativ, dachte ich, und dass mir der Rock der | |
Pastorin in seiner Kürze und Enge aufgefallen war und ich ihn für Teil | |
eines Kampfes gegen ein Pastorinnen-Klischee gehalten hatte. Aber | |
vielleicht war das auch Unsinn, und der Pastorin gefielen schlicht kurze | |
Röcke. „Ich möchte kein Gespräch über diese Frage führen“, sagte ich z… | |
Schrat, der das unbeeindruckt aufnahm, dann trennten sich unsere Wege. | |
Auf dem Weg nach Hause traf ich vor einem französischen Café den Ethikrat. | |
Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir | |
[1][gelegentlich Handreichungen in Sachen praktischer Ethik] geben. Der Rat | |
trug Anzug und Fliege und aß Törtchen in leuchtenden Farben. Ich kannte die | |
horrenden Preise für diese Art Gebäck und fragte mich, woher der | |
üblicherweise bankrotte Rat das Geld dafür aufbrachte, aber ich schwieg. | |
„Frau Gräff“, sagte der Vorsitzende, „dürfen wir Sie zu uns bitten?“ | |
„Gern“, sagte ich. „Sie wirken sehr festlich.“ | |
## Unfreiwillige Werbeträger | |
„Wir begehen die Auszeichnung für unsere Studie zur Mensch-Hund-Beziehung | |
im Spiegel der Autoritätskonzepte ihrer Halter“, sagte der Vorsitzende | |
munter. „Ein namhafter Futtermittelhersteller hat ein Preisgeld gestiftet.“ | |
– „Haben Sie nicht Sorge, unfreiwillig zum Werbeträger zu werden?“, sagte | |
ich missgünstig, denn ich selbst habe seit Jahr und Tag keinen Preis mehr | |
bekommen. „Nein, haben wir nicht“, sagte der Vorsitzende gleichmütig. „W… | |
verhält es sich mit Ihnen, haben Sie eine Frage für uns?“ | |
Ich erzählte dem Rat von dem Gespräch mit dem Schrat. „Ist es adäquat, eine | |
solche Frage abzulehnen?“, fragte ich. „Natürlich hätte ich sagen können, | |
dass es möglich ist, dass einige der Männer mehr auf den Rock gucken, | |
vielleicht auch einige der Frauen. Und dann hätte ich den Schrat fragen | |
können, was daraus für ihn folgt – sokratisch sozusagen. Aber ich wollte | |
schlicht nicht.“ | |
Ich erinnerte mich, dass Fragen nach Gesprächen, die man führt oder nicht | |
führt, in letzter Zeit häufiger bei mir aufgetaucht waren. Der Sohn eines | |
Widerstandskämpfers hatte erzählt, dass sein Vater beim Aufkommen der NPD | |
gesagt hatte: „Natürlich rede ich mit denen.“ | |
Und ein paar Tage später hatte ich eine Schwarze Muslima getroffen, die | |
keine Lust mehr hatte, zu erklären, was genau der Ramadan bedeutet: Das | |
Unwissen darüber sei Teil der nichtmuslimischen Dominanzkultur. „Natürlich | |
ist das eine individuelle und situative Entscheidung“, sagte ich. | |
„Natürlich spielt es eine Rolle, ob man aus einer mächtigen oder | |
nichtmächtigen Position heraus spricht. Aber lässt sich dazu nicht etwas | |
Grundlegenderes sagen?“ | |
## Keine philosophischen Fortschritte | |
Der Ratsvorsitzende runzelte die Stirn. „Ich bin unsicher, ob Sie bei der | |
Frage des Anwendungsbereichs von Normen tatsächlich Fortschritte machen“, | |
sagte er. „Da bin ich auch unsicher“, sagte ich. „Vielleicht fehlt es mir | |
an kontinuierlicher fachlicher Begleitung.“ Da kam der Schrat an uns | |
vorbei. | |
„Darf ich Sie miteinander bekannt machen?“, rief ich und glaubte ein | |
Funkeln im Auge des Vorsitzenden zu sehen wie ein Hund, der eine neue | |
Fährte aufnimmt. „Sicher haben Sie sich viel zu sagen“, murmelte ich, aber | |
niemand hörte mir zu. | |
5 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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