| # taz.de -- Behörden in Berlin: Pfeifen im Asphaltwald | |
| > Berlin ist eine schöne Frau in Jogginghosen, frei davon, etwas darstellen | |
| > zu müssen. Deshalb geht bei Behörden auch niemand ans Telefon. | |
| Bild: Lässt ab jetzt einfach alles rein: Türsteher Sven Marquardt | |
| Die Süddeutsche Zeitung lese ich ja gern. Aber von Berlin verstehen sie | |
| nix. Jetzt war da schon wieder so ein ellenlanger Heulartikel drin, nur | |
| weil in irgendeinem Amt ein Dienstleister dem Autor nicht die Füße küsste. | |
| Beim Lesen kamen dann auch mir die Tränen. | |
| Vor Lachen. Die Typen haben immer noch keine Ahnung, wie diese Stadt tickt. | |
| Bei ihnen geht es am Ende immer nur darum, dass nichts funktioniert. Das | |
| weiß ich selbst, jeder weiß das. Eine Berliner Behörde muss quasi | |
| unerreichbar sein. Alles andere wäre schlicht uncool. Eine kooperative | |
| Berliner Behörde würde von allen anderen Berliner Behörden gedisst. Ginge | |
| zum Beispiel beim Bürgeramt jemand ans Telefon und das Landeseinwohneramt | |
| bekäme davon Wind und erzählte das bei allen anderen Behörden herum: Der | |
| Ruf der „Bürgernutten“ (in diesen Kreisen noch einer der harmloseren | |
| Anwürfe) wäre ein für allemal futsch. | |
| Natürlich nervt das als Bewohner. Aber das gehört nun mal dazu, sonst kann | |
| ich hier eben nicht wohnen. Ich zieh ja auch nicht nach New York und sag | |
| denen: „Machen Sie mal die Freiheitsstatue weg. Ich find die kitschig, und | |
| außerdem steht die mir im Blick rum.“ | |
| Berlin ist eine schöne Frau in Jogginghosen, die sich davon befreit hat, | |
| immerzu für irgendwen etwas darstellen zu müssen. Sie strahlt aus sich | |
| selbst heraus, und wirkt dadurch umso attraktiver. So funktioniert das. | |
| In Berlin kann man wenigstens noch zu Fuß gehen. Also, falls die S-Bahn mal | |
| wieder nicht fährt. In München ist selbst das schwierig, weil einem die | |
| Leute dort direkt vor den Füßen herumhuschen wie Eidechsen ohne Plan und | |
| Ziel. Manchmal schlagen sie auch unberechenbare Haken wie ein Hase, aber in | |
| Slow Motion taumelnd, also eher wie ein Hase mit dieser üblen | |
| Kaninchenhirnkrankheit im Endstadium. Das Gen der Urbanität scheint | |
| komplett zu fehlen. Sie haben nicht das geringste Gespür dafür, wie man | |
| seine eigene Fortbewegung mit der der Masse synchronisiert. | |
| Heulen können sie dafür umso besser. Auf Instagram stehen unter dem | |
| SZ-Artikel die üblichen Kommentare: Drecksloch, rotgrünversifft, dazu frei | |
| erfundene Kriminalstatistiken – die wenigsten waren offensichtlich jemals | |
| in Berlin, sonst würden sie es kaum mit Caracas verwechseln. Die aus dem | |
| Minderwertigkeitskomplex des einfältigen Kleinstädters geborenen | |
| Horrorlegenden sind das Pfeifen im Wald, das aus ihrer angsterfüllten Seele | |
| schrillt. | |
| Und es ist ja längst nicht nur München. Fragt man einen Hamburger, wie er | |
| Berlin findet, er wird verlässlich dasselbe Lamento starten wie der | |
| Münchener: „Buhu, buhu. Die sind böse. Alles ist scheiße. Ich will heim. | |
| Mama.“ | |
| Fragt man umgekehrt aber einen Berliner, was er über Hamburg denkt, wird er | |
| fast immer sagen: „Hamburg? Find ich cool.“ Weil er es nicht nötig hat, | |
| sich per Geringschätzung anderer zu erhöhen. Denn er befindet sich ja eh | |
| schon ganz oben, die Servicewüste, den Dreck und all den Ärger weit unter | |
| sich. | |
| 4 Aug 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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