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# taz.de -- Die Wahrheit: Zufallstreffer des Bösen
> Mit Taliban reden: Jetzt verhandelt die deutsche Diplomatie total
> unnachgiebig mit den Gesichtsmatratzen in Afghanistan.
Bild: Eine kopflose Ziege zerreißen – für die Taliban genau dasselbe, als o…
In Afghanistan nimmt die neue Regierung Gesicht an. Der Steinigungsminister
ist bereits ernannt, das Ressort für Frauen, Familie und Gesundheit wird
gewiss bald folgen. Spannend gestalten sich überdies die Unterhandlungen
der internationalen Gemeinschaft mit den Taliban.
Zu den fünf wichtigsten Bedingungen der EU-Außenminister gehören unter
anderem die Einhaltung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und
Pressefreiheit. Man kennt das Szenario zur Genüge aus der Tierwelt: Die
Maus sitzt in ihrem Loch und diktiert von dort der Katze die Bedingungen.
Unbestätigten Gerüchten zufolge sind zahlreiche Forderungen bereits bei
geheimen Vorverhandlungen im niedersächsischen Bad Gandersheim vom Tisch
gefegt worden. „Mittwochs Frauensauna“, ist nur einer dieser naiven
Wünsche, denen eine fatale Unkenntnis der Verhältnisse vor Ort zugrunde
liegt. Wellness, Demokratie, Schwarzlichtminigolf – wer in seiner Ignoranz
glaubt, die eigenen Konzepte jeder Gesellschaft eins zu eins überstülpen zu
können, ist noch immer tief in postkolonialistischen Denkschablonen
verhaftet. Oder, einfacher gesagt: Es gibt keine Sauna, sonst hätten die
Taliban den Damentag bestimmt gestattet. Warum auch nicht?
Auch hätte es der Westen gern gesehen, hätten die Islamisten mit einem
eigenen Themenwagen auf der nächsten Afghan Gay Pride Regenbogenflagge
gezeigt, um ihren guten Willen zu demonstrieren, doch ausgerechnet das
geplante Motto der Parade machte eine Einigung unmöglich: „Kabul bleibt
schwul“. Eine einseitig zugunsten homosexueller cis-Männer geframte
Veranstaltung, die Frauen und LGBTIQA* einmal mehr unsichtbar macht,
wollten die Taliban offenbar nicht akzeptieren. Womöglich ist ihre
Behauptung, sie hätten sich gegenüber ihrem ersten Regime vor mehr als
zwanzig Jahren gewandelt, ja doch wahr. 1996 hatte die plötzliche
Verantwortung die jungen Kämpfer noch verunsichert. Da überreagiert man
dann auch mal. Diesmal soll alles besser werden.
## Verdienstvolle Stressbeseitiger
Davon könnte auch ihre Maßnahme zeugen, Musik aus dem öffentlichen Raum zu
verbannen, eine auf den ersten Blick verdienstvolle Idee. Immerhin gehört
Lärmstress zu den Hauptursachen von Herzerkrankungen. Doch
selbstverständlich empfiehlt es sich, wachsam zu bleiben. Denn vielleicht
haben die neuen Machthaber hier nur in einem für sie unwesentlichen Punkt
Kreide gefressen, um dann an anderer Stelle ihre menschenfeindliche Agenda
umso besser durchdrücken zu können. Oder es handelt sich um einen
Zufallstreffer des Bösen, so wie bei Hitler und der Autobahn.
Im verhandlungstaktischen Sinne war es sicher kein Fehler, mit
Schattenkämpfen um Lifestyle-Flausen wie Nacktbierzelte oder die Ausreise
schutzbedürftiger Personengruppen zu beginnen. Denn dadurch rücken die
eigentlichen Basics nun umso stärker in den Mittelpunkt.
Vom Ratskeller in Bad Gandersheim bis zum „Marriott Sharia Inn“ in Doha ist
es mental nur ein Katzensprung. Dort befindet sich Hanno Memel,
Chefunterhändler der Bundesregierung, im Gespräch mit hochrangigen
Talibanvertretern.
„Nee, sorry, aber Menschenrechte geht gar nicht.“ Fast könnten Beobachter
meinen, ein Bedauern über das Gesicht des islamistischen Funktionärs
huschen zu sehen, aber wahrscheinlich war es doch nur eine Fliege. „Das
wird uns sonst alles echt ein bisschen viel.“
„Ja, okay.“ Memel nickt bedächtig. „Das verstehen wir natürlich.“ So …
diplomatisches Geschick aus: Man gibt an der einen Stelle scheinbar nach,
um dann an der anderen vehement den Kürzeren zu ziehen. Denn nun holt der
Spitzendiplomat ein gänzlich unerwartetes Ass aus dem Ärmel: „Und ein Pony
möchte ich und Schlittschuhe …“ Er stutzt. „… ach nein, jetzt bin ich …
Versehen auf dem Weihnachtszettel meiner Tochter gelandet.“
## Sympathischer Fauxpas
Das zarte Rot, das der kleine Fauxpas auf seine Wangen zaubert, steht dem
gutaussehenden Deutschen vorzüglich. Jeder spürt: Hier versucht ein
alleinerziehender Vater verzweifelt, sämtliche Pflichten unter einen Hut zu
bekommen. Und plötzlich fragt man sich, ob es sich überhaupt um eine
Verwechslung handelte? Sondern stattdessen um das schlau kalkulierte
Heischen um Mitleid und Sympathiepunkte für eine Leistung, die bei Müttern
seit jeher als selbstverständlich gilt.
Apropos. „Und was ist mit berufstätigen Frauen?“, fragt Hanno Memel nun
eher lustlos. Es steht halt auf seiner Liste. Heiko Maas hat da anscheinend
irgend so ein Ding am Laufen.
„Wer? Frauen? Was soll mit denen sein?“ Der Taliban schüttelt den Kopf.
„Nichts natürlich. Frauen sind nichts.“
„Schon klar.“ Der Bundesgesandte grinst kumpelhaft. Um ein Haar hätte er
seinem Verhandlungspartner in den Oberarm geboxt, doch er kann sich eben
noch beherrschen. „Aber wir müssen das leider ansprechen. Die deutsche
‚Öffentlichkeit‘ …“ – er malt schwungvoll Gänsefüßchen in die Luf…
erwartet das von uns.“
Der Taliban nickt verständnisvoll. „Moment.“ Murmelnd berät er sich mit
seinen drei Kollegen. Anschließend beugt er sich vertraulich zu Memel
hinüber: „Alles gut: Sie kriegen Ihr Pony.“
8 Sep 2021
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Taliban
Schwerpunkt Afghanistan
Diplomatie
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Kolumne Die Wahrheit
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