# taz.de -- Die Wahrheit: Das erste Mal richtig schmutzig | |
> Zurück zur Natur: Schriftsteller und ähnliche Stadtmenschen finden „da | |
> draußen“ meist sich selbst im Völkischen wieder. | |
Bild: Auf der Krume dringt der Dreck bis in die Poren | |
Dass Schriftsteller gern öffentlich über Dinge salbadern, von denen sie | |
nichts verstehen, ist eine bittere Binse. Doch während sie von der eigenen | |
Ahnungslosigkeit meist selbst nicht das Geringste ahnen, können sie auch | |
ausnahmsweise mal ironisch mit ihrem Unwissen kokettieren: ein solcher | |
Ausnahmefall sind ihre Bücher mit launigen Gartengeschichten. | |
Das letterngewordene Greenwashing posturbaner Schmocks bildet längst ein | |
ausuferndes Genre innerhalb der leichten Unterhaltungsliteratur. „Zurück | |
zur Natur“, „Mein Kampf: Wühlmaus, Zecke, Giersch & Co.“, „Im Garten | |
unbesiegt“; der Hauch des Völkischen, der wie der Ludergeruch eines | |
verwesenden Reichsadlers aus den Titeln weht, kommt nicht von ungefähr. | |
Denn das Land- und Gartenleben verändert die Autoren, innerlich wie | |
äußerlich. Das werden sie denn ja auch nicht müde zu beschreiben. | |
Bei ihrer ersten Ankunft auf dem Land ist zunächst alles toll. Alles so | |
schön grün hier. Die Landmenschen sind rau und gut. Der Zug nach Berlin | |
fährt alle zwei Stunden. Auch die Nazis haben ihr Herz am rechten Fleck, | |
wie die First People, die den Siedlern der „Mayflower“ mit Gartentipps und | |
Foodpacks selbstlos durch die ersten harten Winter in Amerika halfen. | |
Hat die Autorin es nicht richtig raus aufs Land, sondern nur in eine | |
Laubenkolonie geschafft, braucht sie sich um eine faschistoid gesättigte | |
Atmosphäre ohnehin nicht mehr zu kümmern. Jeden Tag stehen die grauen | |
Eminenzen der Kleingartenanlage „Zum Deutschen Feld“ am Zaun und mahnen, wo | |
ein zu langer Hippiehalm frech gegen die vorgeschriebene Rasenlänge | |
aufmuckt und wo die anteilige Gemüseanbaufläche gegen irgendein Statut des | |
Gaugemüseleiters verstößt. | |
## Tintenfass ohne Boden | |
Doch egal ob Kolonie am Stadtrand oder weit entferntes Waldgrundstück, die | |
Renaturierung der degenerierten Dichter ist ein Themenfass ohne Boden. Das | |
vergebliche Ringen mit Pflanzen, deren Bedürfnisse man nicht versteht, | |
einer feindlich gesinnten Fauna und dem verlässlich falschen Wetter ist | |
zunächst immerhin spannend. Augenzwinkernd schildern sie ihren steinigen | |
Weg der Erkenntnis, lustige Lapsus, Erlebnisse mit den urigen Nachbarn, | |
ihre eigene endgültige Menschwerdung, eins mit der Natur. | |
Die Schriftstellerin hat zum ersten Mal ein Schäufelchen in der Hand, zum | |
ersten Mal schmutzige Fingernägel, erlebt zum ersten Mal bewusst die | |
mitteleuropäischen Jahreszeiten. Bisher kam sie immer reichlich | |
durcheinander: La Gomera, DomRep, Goa – da war ja immer schönes Wetter. Nun | |
aber die Rückbesinnung auf die „Heimat“ – für einige auch überfällige | |
Abgrenzung von den vaterlandslosen Gesellen aus der Lifestyle-Linken –, und | |
das Erweckungserlebnis in karger märkischer Krume: „Wow, und da, wo ich im | |
März einen Samen in das Erdreich gedrückt habe, wächst jetzt was.“ | |
Exakt so steht das dann auch im Buch. Biologische Basics, wie wir sie schon | |
als Siebenjährige im Heimat- und Sachkundeunterricht verinnerlicht haben, | |
werden uns nun, zu Hunderttausenden für neun Euro neunzig das Stück in den | |
Bahnhofsbuchhandlungen gestapelt, als Essenz des Lebens verkauft. Auf dem | |
Cover künstlich naiv gezeichnete Gemüse mit rotwangigen Lachgesichtern – | |
der redundante Schwachsinn soll wohl Kunde vom gelungenen Anbau essbarer | |
Nutzpflanzen geben. | |
## Kraut und Rüben | |
Was da wächst, ist zwar in Wahrheit nichts als Unkraut, doch bis die Feld-, | |
Wald-, und Wiesenliteraten das von Kraut unterscheiden können, dauert es | |
noch Jahre. Trotzdem streuen sie das Zeug auf den Salat und in die Soße. | |
Hildegard von Bingen würde auf dem Scheiterhaufen rotieren wie ein | |
Grillhähnchen, wäre sie dort gelandet. | |
Für Obst wie Gemüse gilt, dass man den unansehnlichen Schrumpelkram | |
buchstäblich in der Pfeife rauchen kann. Trotzdem verteidigen die Autoren | |
ihre klägliche Missernte als lebende Vogelscheuchen mit Zähnen und Klauen | |
gegen den Fressfeind. Bei einem ihrer nur noch seltenen Ausflüge in die | |
Stadt stehen sie schließlich vor dem Literarischen Colloqium Berlin am | |
Großen Wannsee in einer Runde mit anderen schriftkundigen Hobbybauern und | |
berichten schmunzelnd, wie sie beim Kampf um eine Topinamburpflanze einen | |
eingebrochenen Wolf, „kann aber auch ein Waschbär gewesen sein“, mit bloß… | |
Händen erwürgten. | |
Weisheiten wie nur die Natur sie lehrt, werden ausgetauscht wie früher | |
Informationen über Lektoren und Agentinnen: Drossel ist der Name der | |
weiblichen Amsel; je bunter die Pilze, desto schmackhafter; wenn man direkt | |
aufs Beet kackt, wächst der Kürbis besser; dort draußen braucht man | |
unbedingt so einen Brutalo-Van mit Allrad, damit man durchs Bachbett zum | |
zehn Kilometer entfernten „Konsum“ (Betonung erste Silbe) motorraften kann. | |
Auch hätten sie sich vorher niemals träumen lassen, dass sie eines Tages | |
Nacktschnecken noch mehr hassen würden als Kritiker. | |
## 800.000 | |
Ganz besonders invasiv verhält sich die erdrückend große Rotte Berliner | |
Provenienz. Wenig überraschend, denn legt man nur die amtliche Statistik | |
der Corona-Soforthilfen zugrunde, bezeichnen sich allein in der Hauptstadt | |
über achthunderttausend Menschen offiziell als „Schriftsteller:innen“: Ob | |
in der Prignitz oder im Havelland, überall fallen sie auf der Suche nach | |
ihrem persönlichen Lebensraum im Osten ein wie ein schreibender | |
Heuschreckenschwarm. | |
Noch die letzte verfallene Kate aus Lebkuchen oder Asbest, die letzte | |
Brennnesselwiese im postnatürlichen Holztschernobyl eines sich nach der | |
Wende für alle Zeiten selbst überlassenen Spanholz-Kiefernforstes made in | |
GDR wird den Einheimischen um jeden Preis aus den ersterbenden Pfoten | |
gerissen. Fast möchte man meinen, die Künstler türmten fluchtartig aus | |
einem brennenden Berlin, doch da brennt gar nichts, außer ihrer Sehnsucht | |
nach noch mehr Leere. | |
Kein Wunder, dass der kritischen Literatin von heute rechts das neue Links | |
ist. Die Landflucht ist nur ein Symptom des regressiven Rückzugs auf sich | |
selbst, die eigene Scholle, das Rauschen des deutschen Waldes, das | |
trauliche Schwarz-Weiß-Rot von Brombeere, Spargel, Tomate; kurz, man wird | |
halt irgendwie selbst zu einer Art Nazi. Aber so viel wissen wir ja | |
inzwischen: Das ist im Grunde vollkommen okay; alles ist okay; Hauptsache, | |
nachhaltig. | |
2 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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