| # taz.de -- Die Wahrheit: Popel unter der Gürtellinie | |
| > Warnung vor dem Schund: Das neue System von Warnhinweisen vor | |
| > Fernsehsendungen treibt seltsame Blüten. | |
| Bild: Achtung! Warnung! Vorsicht! Gucken Sie nicht hin! Sie könnten Nackte seh… | |
| Mit einem immer elaborierteren System aus Warnhinweisen versucht besonders | |
| die amerikanische Filmindustrie, Kinder, Jugendliche und Empfindsame vor | |
| dem Konsum für sie ungeeigneter Fernsehserien zu schützen. Das liest sich | |
| wie ein postmoderner Struwwelpeter – im Grunde gibt es nichts mehr, was es | |
| nicht gibt: „Tobacco Reference“, „Simulated Gambling“, „Crude Humor�… | |
| „Suggestive Themes“ – für an Fickfilme im Nachmittagsprogramm gewöhnte | |
| Europäer ist es zum Teil schon schwer zu erraten, wovor da jeweils | |
| überhaupt gewarnt wird, und vor allem, warum. | |
| Dabei wirken die Maßstäbe auch noch seltsam schief. Als relativ okay gilt | |
| die Darstellung von Gewalt gegen Menschen. Die wird zwar mit „Violence“ | |
| oder gar „Intense Violence“ markiert, ist aber meist ab null Jahren | |
| zugelassen, also ab dem Alter, ab dem man offiziell ein Sturmgewehr | |
| bedienen darf. | |
| Nicht okay ist es hingegen, wenn irgendwo ein halber Popo blitzt. „Partial | |
| Nudity“, „Nudity“ (mit dem fatalen Tiefpunkt „Full Frontal“) und „S… | |
| Sexual Content“ heißen die Steine, mit denen die Straße zur Hölle | |
| gepflastert ist. Dort wartet auf die fehlgeleiteten Jugendlichen ewige | |
| Verdammnis in Form manischer Selbstbefleckung bis zur tödlichen | |
| Sehnenscheidenentzündung. Der Teufel spricht Französisch. | |
| Die Diversifizierung der erhobenen Zeigefinger kennt keine Grenzen. So | |
| existiert nicht nur die Kategorie „Alcohol Reference“ (ab 18), für die es | |
| bereits genügt, dass eine Flasche Radler kurz im Bild ist oder erwähnt | |
| wird, sondern, schlimmer noch: „Use of Alcohol“ (ab 21). Dann trinkt jemand | |
| daraus, und das ist wirklich nicht die Welt, wie wir sie sehen geschweige | |
| denn in ihr leben wollen. Der vorgezeichnete Weg des siebzehnjährigen | |
| Zusehers führt auf einer Wanderkarte des Werteverfalls zielsicher über die | |
| Bergstationen Verführung, Verkommenheit und Wahnsinn direkt in den Abgrund. | |
| Wenn er Glück hat, findet er im Tod Erlösung. | |
| ## Unzumutbare Sprache | |
| Ebenfalls nicht in Ordnung ist, wenn jemand im Film „Scheiße“ sagt. Gott | |
| sei Dank wird dagegen nun endlich was getan. Die Protektionsformeln lauten | |
| unter vielen anderen „Mild Language“ (ab 6), „Moderate Language“(ab 12)… | |
| „Strong Language“ (ab 24). Fällt „Doofmann“ eigentlich noch unter mild… | |
| ist das bereits „moderate“? Wohl eher „moderate“, und mild wäre dann | |
| „Schlingel“ oder „Schelm“ und damit unter dem Vorzeichen „PG“ (pare… | |
| guided suggested) dem Kinde soeben noch zumutbar. | |
| Oft soll schon die vereinfachte Bezeichnung „Language“ dem Publikum | |
| signalisieren: Irgendwas ist hier halt irgendwie mit der Sprache nicht in | |
| Ordnung, also besser mal nicht gucken, oder wenigstens die Ohren zuhalten. | |
| Allerdings ist das schlichte „Language“ doppeldeutig, da es ja auch | |
| buchstäblich davor warnen kann, dass überhaupt gesprochen wird. Sonst ist | |
| das Erschrecken groß, wenn mitten im vermeintlichen Stummfilm die Akteure | |
| plötzlich unerwartet loslabern. Da sorgt so ein finnischer Arthouse-Film | |
| schon mal für Kammerflimmern auf dem heimischen Sofa. Dem Vernehmen nach | |
| war auch Adolf Hitler letztlich ein vom ersten Tonfilm („Language“!) 1927 | |
| nachhaltig getriggerter Snowflake („Nazi Comparison“!). | |
| Eine weitere, häufig zu lesende Warnung ist die vor „Adult Language“, | |
| sprich „Erwachsenensprache“ (ab 32). Damit kommt längst nicht jede klar, | |
| denn vergeistigte Formulierungen wie „Wasserlassen“ statt „Pipi machen“ | |
| oder „Verb“ statt „Tun-Wort“, können vor allem Kinder derart überford… | |
| dass Abwehrreaktionen von Stottern über Amokläufe bis hin zum Bettnässen | |
| vorprogrammiert sind. Klobige Schlaumeiereien wie „Nachhaltigkeit“ oder | |
| „Narrativ“ führen geradewegs in die Heroinsucht, und Lyrics wie „Langsam | |
| mal Schlafenszeit“, oder „Es gibt nur ein Eis, mein Fräulein“ können be… | |
| jungen Publikum zu heftigen Retraumatisierungen führen. | |
| ## Service bei Langsamkeit | |
| Beschirmt werden müssen die lieben Kleinen (bis 50) auch vor „Low Language“ | |
| wie „geilo“ oder „nice“, nicht zu verwechseln mit „Slow Language“, … | |
| Film zum Beispiel Schweizer oder Sterbende sprechen (ab 38) – in diesem | |
| Fall dient das den Cineasten auch als wertvolle Serviceinformation, dass | |
| sie zwischen Haupt- und Nebensatz noch mal auf Klo oder für Erdnüsse in | |
| Küche können, ohne Wesentliches zu verpassen. | |
| Apropos „auf Klo oder für Erdnüsse in Küche“: Keinesfalls fehlen darf der | |
| Alert „Broken Language“ (ab 44), damit urbane Soziolekte nicht noch weiter | |
| die blütenweiße Grammatik unserer unschuldigen Kinderchen zersetzen. | |
| Der Übergang zwischen „Broken Language“ und „Low Language“ ist fließe… | |
| am besten warnt man gleich vor beidem sowie vor zu schnellem Schnitt | |
| (Folgen: Schwindel, Schleudertrauma, Tinnitus), „German Sound Engeneering“ | |
| (dumpf, breiig, nichts zu verstehen) und „Simulated Nose Picking“ (ab 56), | |
| bei dem imaginierte Popel Richtung Kamera geschnipst werden. | |
| Die Tabuliste im Vorspann liegt mittlerweile eh schon im | |
| Zehnminutenbereich, da kommt es auf einen Warnhinweis mehr oder weniger | |
| auch nicht an. | |
| 21 Jun 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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