# taz.de -- Von wegen Gleichberechtigung: Bayern emanzipiert | |
> Zur „Osnabrücker Mahlzeit“, dem Grünkohlessen des Verkehrsvereins | |
> Osnabrück, sind nur Männer zugelassen. Bayerische Gerichte finden sowas | |
> falsch. | |
Bild: Frauen dürfen nur bedienen: Die „Osnabrücker Mahlzeit“ gilt als gr�… | |
Osnabrück taz | Alte Zöpfe, heißt es, schneidet man besser ab. Bevor jemand | |
die Schere ansetzt, braucht es jedoch zuweilen einen unüberhörbaren | |
Weckruf. | |
Ein solcher Weckruf ist jetzt in Osnabrück ertönt. Er gilt der „Osnabrücker | |
Mahlzeit“ des Verkehrsvereins Stadt und Land Osnabrück (VVO). Die gibt es | |
seit Mitte der 1950er-Jahre, als reine Männerrunde: Frauen dürfen dabei | |
zwar servieren, mitessen allerdings nicht. Rund 1.300 „Herren“ kommen hier | |
einmal im Jahr zum politischen und wirtschaftlichen Netzwerken zusammen, | |
essen Grünkohl, Kasseler, Mettwurst, Bauchspeck und Kartoffeln und wählen | |
dabei in der stadteigenen OS-Halle ihren Grünkohlkönig, Ehrenkette | |
inklusive. | |
Der Weckruf kommt aus dem bayerischen Memmingen, und so skurril er sich | |
anhört, so grundsatzbildend ist er zugleich: Genau wie Männer, hat das | |
dortige Landgericht Mitte vergangener Woche in einem Berufungsverfahren | |
verkündet, dürfen auch Frauen beim [1][Memminger Fischertag] im Stadtbach | |
Forellen fangen. Bisher waren die Fischer, rund 1.200, allesamt Männer, und | |
am Ende stand ihr Fischerkönig fest. Traditionswahrung rechtfertige keine | |
Ungleichbehandlung, so das Gericht, auch nicht bei privaten Vereinen. | |
Der Memminger Verein greift zur Schere: Er wird künftig Frauen zulassen. | |
Was der [2][VVO] für seinen „vermeintlich größten Männerstammtisch Europa… | |
aus dieser süddeutschen Einsicht lernt, ist noch offen. | |
## Rats(mitglied)er sind grünkohlberechtigt | |
„Es darf keine geschlechtsspezifische Ausgrenzung geben!“, sagt Diana Häs, | |
frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der Ratsfraktion der | |
Osnabrücker Grünen. „Wir haben diese antiquierte Männerklüngelei stets | |
kritisiert.“ Besonders pikant: Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang | |
Griesert (CDU) ist stellvertretender Vorsitzender des VVO, die Stadt | |
Zuschuss zahlendes Mitglied, jedes Ratsmitglied (mit Glied) also | |
grünkohlberechtigt. | |
Schon 2019 hatten die Grünen im Stadtrat gefordert, die Vertreter*innen | |
der Stadt seien zu beauftragen, in der nächsten Mitgliederversammlung des | |
VVO durchzusetzen, dass zur Mahlzeit „zukünftig ohne Ansehen des | |
(mutmaßlichen) Geschlechts eingeladen wird“. Das Ergebnis: abgeschmettert, | |
vorrangig durch CDU und SPD. „Ein Denken wie bei der Katholischen Kirche“, | |
sagt Häs. „Es war so, es ist so, es bleibt so.“ | |
Die Osnabrücker Mahlzeit ist ein Schwergewicht. Wer Amt und Würden hat, | |
wirtschaftliche oder gesellschaftliche Macht, taucht bei dem auf, was Felix | |
Osterheider, der Vorsitzende des VVO, fälschlich zum „Brauchtum“ verklärt. | |
Unter den „Majestäten“ des Osnabrücker Grünkohls sind Ratsherren und | |
Bürgermeister, Unternehmer und Stadtdirektoren. | |
Die Liste reicht vom Superintendenten bis zum Bischof, vom Bundesminister | |
bis zum EU-Parlamentarier, externe Ehrengäste inklusive. 2014 war | |
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) König, der frühere | |
Oberbürgermeister von Osnabrück. 2019 hängte sich Stephan Weil (SPD) die | |
Kette um, Niedersachsens Ministerpräsident. | |
„Mit Frauenfeindlichkeit hat das nichts zu tun“, versichert Rüdiger | |
Kuhlmann, Geschäftsführer des VVO. „Im Moment führen wir eine interne | |
Debatte, auch über die Durchführung einer gendergerechten Veranstaltung. | |
Aber das ist alles noch nicht in trockenen Tüchern.“ | |
Wahrscheinlichste Option: Die VVO-Männer essen im Frühjahr weiterhin unter | |
Männern Grünkohl, damit die alten Granden nicht verärgert sind. Die | |
VVO-Damen essen im Sommer weiterhin, wie seit 2004, unter Frauen Spargel. | |
Und zusätzlich gibt es eine dritte Veranstaltung, geschlechteroffen, eine | |
„Osnabrücker Mahlzeit 2.0“. Zu der könnte dann die Königswahl wandern. | |
„Eine Idee ist auch“, sagt Kuhlmann, „sie durch die Einladung von Promine… | |
aufzuwerten“. | |
Eine Option, mit der auch [3][Anna Kebschull] leben könnte, die Landrätin | |
(Grüne) des Landkreises Osnabrück, neben Griesert qua Amt stellvertretende | |
Vorsitzende des VVO. Häs hält das allerdings für keine gute Idee: | |
„Zusätzlich zum Vorhandenen einfach was Neues aufzulegen, ist keine Lösung. | |
Hier geht es um Geschlechtergerechtigkeit!“ | |
Warum es so schwierig ist, die [4][Männermahlzeit] einfach zu öffnen, | |
erklärt Kuhlmann so: „Das ist ja nur was für Mitglieder, und von denen sind | |
nun mal nur 30 Frauen. Würden wir das Grünkohlessen für Frauen öffnen, | |
kämen vielleicht so 60 oder 80, und ob die sich dann da wohlfühlen? Viele | |
der Frauen sagen auch: Wir wollen lieber unter uns sein. Und es gäbe | |
womöglich Männer, die träten dann aus.“ | |
„Tradition heißt nicht, dass sich nichts ändern darf und soll“, sagt ein | |
Sprecher der Stadt Osnabrück auf taz-Anfrage. Man begrüße die Ergänzung um | |
eine „weitere hochkarätige Veranstaltung, die ganz besondere Gäste | |
willkommen heißen möchte“. Da sei dann „jede und jeder willkommen“. Der | |
alte Zopf bleibt also vermutlich. Aber daneben wächst ein neuer. Komische | |
Frisur. | |
2 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Tradition-in-Bayern/!5786017 | |
[2] https://www.verkehrsverein-os.de/ | |
[3] /Gruene-ueber-ihren-Job-als-Landraetin/!5648821 | |
[4] https://www.verkehrsverein-os.de/wp-content/uploads/2017/07/McAllister-ist-… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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