# taz.de -- Terminabsage wegen Kindergeburtstag: Bürgermeisterin bekommt Recht | |
> Lokalpolitiker fragten bei der Kommunalaufsicht nach, ob ihre | |
> Bürgermeisterin wegen des Geburtstags ihres Kindes einem Termin | |
> fernbleiben dürfe. | |
Bild: Doch noch schnell eine Stunde Zoom-Sitzung oder Priorität für den Kinde… | |
Hamburg taz | Am 3. Mai spät nachmittags forderten Ortspolitiker von CDU, | |
FDP und Grünen im [1][schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt] eine | |
„Dringlichkeitssitzung“. Das Thema war eigentlich die Stellenpolitik der | |
örtlichen Bürgermeisterin Verena Jeske (parteilos). Das Thema, das seither | |
diskutiert wird, ist jedoch, inwiefern eine Frau in einer Spitzenposition | |
auch Mutter sein kann. Es geht um die Vereinbarkeit von Führungsjob und | |
Familie. | |
Denn der eilig einberufene „Hauptausschuss“ sollte noch in derselben Woche | |
tagen – und zwar abends, um 19 Uhr. Jeske, die spät abends über ihr Büro | |
davon erfuhr, schrieb dem Vorsitzenden, dass sie da nicht könne und sich | |
vertreten lasse. Tagsüber habe sie Termine. Zudem feiere ihr elfjähriger | |
Sohn Geburtstag. Sie nehme sich daher raus, am Abend bei ihrer Familie zu | |
sein. | |
Die Stimmung zwischen Opposition und Stadtchefin war zu diesem Zeitpunkt | |
schon getrübt. Er bedaure die Absage und kommentiere sie nicht, schrieb der | |
Vorsitzende Stefan Brumm (CDU) den anderen Politikern. Weder Grüne noch FDP | |
regten an, den Termin zu verlegen. Nur SPD-Vertreter Jan Uwe Schadendorf | |
fragte in Richtung der Einladenden, ob „der Imperativ die übliche Form der | |
Terminabstimmung“ sei. | |
Der Konflikt, über den die Kieler Nachrichten zuerst berichteten, hat ein | |
Nachspiel. Denn es gab mehrere Streitfragen, unter anderem entschied jener | |
Hauptausschuss, dass die Bürgermeisterin nur noch 10.000 Euro im Jahr für | |
Berater ausgeben darf. „Sie hatte jemand Freien eingestellt, weil sich für | |
die vakante Stelle der Wirtschaftsförderung niemand fand“, berichtet | |
Schadendorf. Das sei ihr gutes Recht. Doch weil sich die anderen Parteien | |
daran störten, regte er an, die Kommunalaufsicht zu fragen. | |
## Kommunalaufsicht gab Bürgermeisterin Recht | |
Dieser Termin fand am 2. August in Bad Segeberg statt. Auch Jeske, die 2018 | |
auf SPD-Vorschlag zur ersten Bürgermeisterin von Bad Bramstedt gewählt | |
wurde, ging hin. Sie wusste aber nichts von dem Fragebogen, den CDU, Grüne | |
und FDP mitbrachten. Unter Punkt vier wollten die drei von der | |
Kommunalaufsicht wissen, ob die Bürgermeisterin wegen des Geburtstags ihres | |
Kindes einen Termin ablehnen oder delegieren dürfe. | |
„Das macht was mit einem. Das war demütigend“, sagt Jeske zur taz. Andere | |
Angriffe habe sie weggesteckt, „aber in dem Moment fühlte ich mich als | |
Mutter angegriffen. Hab gesagt: Hey, ihr hattet doch auch Kinder!“ Sie | |
arbeite bis spät abends, habe bisher kaum eine Sitzung verpasst. „Ich | |
stelle eher meine Familie zurück als meine Arbeit.“ | |
Die Kommunalaufsicht gab Jeske recht. Die Bürgermeisterin kann sich | |
vertreten lassen. Es gebe „kein Recht der Politik auf persönliches | |
Erscheinen“, heißt es im Ergebnisprotokoll, nachzulesen [2][beim | |
Ratsinformationsservice der Stadt]. Auch in den eigentlichen Streitfragen | |
lag Jeske richtig. Sie darf zum Beispiel flexibel über den Stellenplan | |
verfügen, die Gemeinde gibt nur den Rahmen vor. | |
Der Vorgang wurde vorigen Dienstag öffentlich im Hauptausschuss diskutiert | |
– wo es noch mal knallte. Es sei nicht so, dass man Jeske den Job nicht | |
zutraue, weil sie Frau und Mutter sei, zitieren die Kieler Nachrichten | |
CDU-Fraktionschef Volker Wrage. „Trotzdem sollte man in einer | |
Führungsposition entscheiden, was wichtiger ist und private Termine hinten | |
an stellen.“ | |
Der Grünen-Fraktionschef Gilbert Sieckmann-Joucken sagte der taz, die Sache | |
sei „unglücklich gelaufen“. Doch auch er könne nicht verstehen, weshalb d… | |
Bürgermeisterin sich an dem Abend nicht für eine Stunde über Zoom an der | |
Sitzung beteiligt habe. „Wenn man in Führungsposition ist, muss man | |
Prioritäten setzen.“ Frauenfeindlich seien die Grünen keineswegs, achteten | |
sie doch penibel auf die Quote. | |
CDU-Mann Wrage sagte der taz, die Terminabsage sei nur „ein sehr | |
untergeordneter Punkt“. Der Konflikt gehe um die finanzielle Belastbarkeit | |
der Kommune. FDP-Fraktionschef Dennis Schröder sagt, die Geburtstagsfrage | |
käme nicht von der FDP. Bei der Fragenliste hätten alle Fraktionen ihre | |
Fragen beigesteuert. „Ich bin auch Familienvater und würde einen | |
Kindergeburtstag immer vorziehen.“ | |
Doch laut Verena Jeske war dies nicht die erste Anfeindung. Schon im | |
Wahlkampf 2018 habe sie ein CDUler gefragt, wie sie als Mutter kleiner | |
Kinder ein Amt mit vielen Abendterminen schaffen wolle. „Es gibt Frauen, | |
die sich schwer tun. Mir werden Sätze zugetragen wie: Wahrscheinlich ist | |
ihr Rock wieder zu kurz“, sagt Jeske. Es werde einer Frau eher übel | |
genommen, wenn sie durchsetzungsstark sei. „Als Frau ist man schnell Zicke, | |
bei einem Mann heißt es, der weiß, was er will“. | |
## Schweden macht's anders | |
Jeske ist Mitglied im [3][Netzwerk der hauptamtlichen Bürgermeisterinnen | |
Schleswig-Holsteins]. Netzwerk-Sprecherin ist Birte Kruse-Gobrecht | |
(parteilos), die Bürgermeisterin von Bargteheide. „Das System ist nicht | |
gerade frauen- und mutterfreundlich“, sagt sie. Ohnehin seien viel zu wenig | |
Frauen in diesem Amt. „Wir sind überzeugt, das ist ein strukturelles | |
Thema.“ Anders als in Schweden, wo es eine andere Kultur der Vereinbarkeit | |
von Familie und Beruf gebe, seien Abendtermine sehr üblich. Auch würde | |
auffällig oft die Kommunalaufsicht eingeschaltet und „gefragt: Was darf die | |
Bürgermeisterin, was darf sie nicht?“ Bei Männern sei das seltener. | |
Jeske berichtet, es gebe eine Whatsapp-Gruppe, in der Bürgermeisterinnen | |
sich gegenseitig Mut machten. Sie erhalte gerade viel Zustimmung und wolle | |
auf keinen Fall aufgeben. „Für mich ist Bürgermeisterin der schönste Beruf, | |
den es gibt.“ | |
30 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bad-bramstedt.de/ | |
[2] https://ratsinfoservice.de/ris/badbramstedt/agendaitem/details/1044 | |
[3] https://www.shgt.de/presse/aid/2746 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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