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# taz.de -- Sexismus bei Fischfest in Memmingen: Traditionsverein geht baden
> Diskriminierung oder Tradition? Im bayerischen Memmingen wird gestritten,
> ob Frauen bei dem Ausfischen-Spektakel ausgesperrt bleiben dürfen.
Bild: Will reinjucken: Christina Renz versucht die Teilnahme am Ausfischen einz…
Memmingen taz | „Ich würde auch sehr gerne reinjucken“, sagt Christiane
Renz. „Am liebsten mit meinem Bruder und meinem Neffen.“ Jucken – so nenn…
sie das in Memmingen, wenn Männer und Buben am Fischertag in den Stadtbach
springen zum Ausfischen. 30.000 bis 40.000 Besucher sind da in der Stadt
und veranstalten ein riesiges Spektakel. Und wer die schwerste Forelle
fängt, ist der neue Fischerkönig. So ist das schon seit langer Zeit, eine
scheinbar unverrückbare Tradition.
Christiane Renz darf aber nicht reinjucken, jedenfalls bisher nicht. Denn
sie ist eine Frau. Den Bach ausfischen, damit er gereinigt werden kann, ist
ein Privileg des männlichen Geschlechts. Bis jetzt. So steht es in der
Satzung des Fischertagsvereins, der rund 4.800 Mitglieder hat und eine
gewaltige Macht in der Allgäuer Stadt darstellt.
Renz klagte dagegen, [1][weil sie darin eine Diskriminierung von Frauen
sieht], und erhielt im August 2020 vom Amtsgericht Recht. Einen solchen
Ausschluss von Frauen dürfe es in einem Verein nicht geben, der zugleich
gemeinnützig ist und Steuervorteile genießt, argumentierte die damalige
Richterin. Seitdem treibt das Thema die Stadt um.
Der Fischertagsverein ließ das Urteil nicht auf sich sitzen, am Mittwoch
traf man sich zur Berufungsverhandlung. Die Verhandlung leitete Konrad Beß,
Vorsitzender des Landgerichts. Für diesen Fall ist Autorität ebenso
gefordert wie Fingerspitzengefühl. Hier im bayerischen Allgäu geht es um
den größten Traditionsverein der Stadt. Und es geht um Grundsätzliches, das
es in der Gesellschaft nicht mehr geben sollte – die [2][Diskriminierung
von Frauen]. Kann oder darf es da überhaupt einen Kompromiss geben, eine
„gütliche Einigung“, wie sie Richter Beß vorschwebt?
## „Ein moderner Verein“?
Mit Engelszungen redet er auf die beiden Parteien ein: Dass es teuer wird
für die Verlierer, wenn sie bis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte hoch klagen. Dass dem Verein der Entzug der Gemeinnützigkeit
drohe, „wenn sie Frauen für immer und ewig ausschließen“. Und Beß erwäh…
dass schon beim ersten Prozess deutschlandweit über die angebliche
Rückständigkeit der Stadt berichtet wurde – teils mit Empörung, teils als
skurrile Posse vom Land. Jedenfalls nicht gerade zum Ruhme der Stadt.
Die Vorschläge des Richters stoßen auf Ablehnung. Christiane Renz hält
nichts davon, einen eigenen Frauenverein zum Ausfischen zu gründen, oder
eine Unterabteilung im Verein, der ein weibliches Ausfischen organisiert.
„Ich will ja beim normalen Ausfischen mitmachen“, sagt sie.
Und ihre Anwältin Susann Bräcklein aus Berlin sieht in zwei nach Geschlecht
getrennten Veranstaltungen eine „Gender-Apartheid“. Den Vorschlag, in die
Vereinssatzung eine Ausnahmeregel aufzunehmen, hält wiederum der
Vorsitzende Michael Ruppert für „nicht praktikabel“.
Vor dem ersten Prozess hatte Ruppert, der auch CSU-Stadtrat ist, gesagt:
„Dass Frauen nicht mitmachen dürfen, beruht auf einer jahrhundertealten
Tradition.“ Nun meint er: „Wir handeln durchaus zeitgemäß, wir sind ein
moderner Verein.“
## Diskriminierungsverbot vs. Vereinigungsfreiheit
Die 55-jährige Renz, selbst Mitglied im Fischertagsverein, erzählt, dass
sie intern versucht habe, für ihre Position zu werben. Dass sie auf zwei
Mitgliederversammlungen beantragt hat, Frauen zuzulassen. Doch das wurde
mit breiter Mehrheit abgeschmettert. Das Verhalten der Frau sieht Ruppert
anders: „Sie hat nie wirklich für ihr Anliegen geworben, es geht ihr um
alles oder nichts.“
Rechtlich lautet die Kernfrage, ob das Diskriminierungsverbot oder die
Vereinigungsfreiheit mehr wiegen – beides ist im Grundgesetz geschützt. Vor
Gericht spielt der Verein die Bedeutung des Ausfischens herunter: Es dauere
nur 20 Minuten und sei eher Randaspekt des Fischertags. Bei allem anderen
seien am jeweils letzten Samstag im Juli die Frauen mit dabei.
Christiane Renz hingegen meint: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des
Festes, da wird der Fischerkönig bestimmt.“ Anwältin Bräcklein sieht es als
„Bürgerrecht“. Das Ausschließen von Frauen sei ein „klares
Diskriminierungsmerkmal, nackte Willkür“. Am 28. Juli verkündet das
Landgericht sein Urteil.
23 Jun 2021
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## AUTOREN
Patrick Guyton
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