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# taz.de -- Ein Jahr Coronakrise in Deutschland: Stockdorf und das Virus
> Am 27. Januar 2020 wurde in Deutschland die erste Infektion mit
> SARS-CoV-2 entdeckt – in Bayern. Mit einer Pandemie rechnete damals
> niemand.
Bild: Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Webastozentrale in Gauting am 29. Janu…
München taz | Am 27. Januar 2020 um 23.49 Uhr verschickt das bayerische
Gesundheitsministerium eine Pressemitteilung – ein ungewöhnlicher Zeitpunkt
spät in der Nacht. Der Inhalt: In Deutschland wurde die erste Ansteckung
mit dem [1][Coronavirus] nachgewiesen. Bei dem Infizierten handelt es sich
um einen 33 Jahre alten Angestellten des Autozulieferers Webasto in
Stockdorf, Oberbayern. Der Mann kommt auf die Isolierstation der München
Klinik nach Schwabing.
Was an diesem Tag begann, war damals für fast niemanden in Deutschland
abzusehen. Jetzt, ein Jahr später, mitten im zweiten Lockdown, erscheint
manches an diesen ersten Tagen zumindest skurril, ja surreal. [2][Am 28.
Januar 2020], es ist ein Dienstag, laden das bayerische
Gesundheitsministerium und das Landesamt für Gesundheit eilig zu einer
Pressekonferenz. Der Fall sei aufgeklärt und unter Kontrolle, so die
Botschaft.
In der Vorwoche war eine chinesische Webasto-Mitarbeiterin aus Shanghai für
fünf Tage in der Stockdorfer Zentrale und hielt Schulungen ab. Zuvor hatte
sie ihre Eltern im damaligen Corona-“Hotspot“ Wuhan besucht. Auf dem
Rückflug von Deutschland fühlt sie sich krank und wird anschließend positiv
getestet. Gleich darauf informiert sie Webasto.
Journalisten, Fotografen, Kamerateams aus ganz Deutschland machen sich nach
Bekanntwerden der Coronafälle nach Stockdorf auf. Schnell wird verbreitet,
dass es sich um einen Teilort der Gemeinde Gauting handelt im Landkreis
Starnberg, 18 Kilometer südwestlich von München. Bei Webasto ist da niemand
mehr, die Firma schickt die Mitarbeiter ins Homeoffice und in Quarantäne.
Lediglich der Empfang des gläsernen viergeschossigen Gebäudes an der
Durchfahrtstraße ist besetzt.
Drei weitere Coronafälle [3][werden gemeldet] – ebenfalls
Webasto-Mitarbeiter, die mit der Chinesin in Kontakt waren. In Berlin sagt
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), man nehme das Virus ernst.
Aber: „Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen in Deutschland bleibt
nach unserer Einschätzung weiterhin gering.“
Die ersten Infizierten werden allesamt auf Isolierzimmer in die Schwabinger
Klinik gebracht. Die Öffentlichkeit wird ferngehalten. Der behandelnde
Chefarzt Professor Clemens Wendtner, ein Infektiologe und Tropenmediziner,
wird zur Auskunftsinstitution. Spätere allabendliche Talkshowteilnehmer wie
Christian Drosten, Melanie Brinkmann und Hendrik Streeck sind noch
weitgehend unbekannt. Wendtner berichtet, die Patienten zeigten keine oder
nur geringe Symptome, dass sie Serien schauten oder am Laptop arbeiteten,
dass sie „pumperlgesund“ seien.
Dass sich Corona zur Pandemie entwickelt – dieser Gedanke erscheint damals
den allermeisten fremd bis absurd. Schließlich gab und gibt es immer wieder
etwa Ausbrüche des Ebola-Virus, die sich aber auf einige afrikanische
Länder beschränken. Und das Sars-Virus, verwandt mit Covid-19, breitete
sich zwar 2002 und 2003 von China in viele Länder aus, forderte insgesamt
774 Tote, war aber nach acht Monaten wieder abgeklungen.
In Bayern kommen nun weitere Webasto-Fälle hinzu, hauptsächlich aus dem
Familien- und Freundeskreis der weit verstreut lebenden Belegschaft. Doch
lässt sich die Infektionskette immer noch gut zurückverfolgen, Infizierte
kommen in die Klinik, Kontaktpersonen werden in häusliche Quarantäne
gesteckt.
In Gauting sind – wie andernorts auch – die wenigen Schutzmasken in den
Apotheken ausverkauft. Der Begriff „Corona“ schwebt über dem Ort, auf den
ganz Deutschland schaut, doch die Gemeinde will Gelassenheit demonstrieren.
Es gebe „keine Spur von Hysterie“, sagt die Bürgermeisterin Brigitte
Kössinger (CSU) der taz. Das Leben geht seinen täglichen Gang.
„In China brauchen sie die Masken wirklich dringender als wir hier“, meint
die Apothekerin. Lediglich eine Schulweghelferin steht an der
stauanfälligen Bahnhofstraße und trägt eine Maske. Zu diesem Zeitpunkt
scheint das kurios, ihr Foto wird von einer Nachrichtenagentur verbreitet.
Webasto lässt sein Gebäude reinigen und desinfizieren, am 12. Februar
öffnet die Konzernzentrale wieder. Mitarbeiter loben die „professionelle
Informationspolitik“ des Unternehmens, der Vorstandschef Holger Engelmann
meint: „Es sieht so aus, als hätten wir durch unser schnelles Handeln die
Infektionskette unterbrochen.“ Zu diesem Zeitpunkt sind 14 Coronafälle in
Bayern bekannt, aber auch zwei weitere in Deutschland – es handelt sich um
aus Wuhan Ausgeflogene.
In Norditalien grassiert das Virus zu diesem Zeitpunkt schon. Viele
Menschen fahren in den Faschingsferien von Deutschland in den Skiurlaub,
etwa nach Österreich. Acht Wochen nach der ersten Infektion von Stockdorf
geht die Bundesrepublik in den Lockdown.
27 Jan 2021
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## AUTOREN
Patrick Guyton
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