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# taz.de -- Performance aus der Vogelperspektive: Eine ornithologische Reise
> Die Performance „Schwarm“ im Revier Südost betrachtet die Welt von oben.
> Dabei kommen Themen wie Migration und Umweltsünden in den Blick.
Bild: Die Kraniche schwärmen aus im Revier Südost
Im Revier Südost stelzen am Freitagabend riesige kranichähnliche Wesen im
Sonnenuntergang umher. Sie gehören zur [1][Performancegruppe Grotest Maru]
und inszenieren heute zum ersten Mal als Teil des Summer of Performance das
Stück „Schwarm“ auf dem Gelände der ehemaligen Bärenquell Brauerei, das
jetzt Revier Südost heißt. Während des ganzen etwa eineinhalb Stunden
dauernden Stücks werden die Kranich-Performer dabei auf drei Meter hohen
Stelzen gehen und ihre riesigen Flügel schlagen und schwingen, sodass man
das Gefühl hat, sie seien einem seltsamen Traum entkommen.
Grotest Maru inszeniert schon seit 1996 und verbindet seitdem Theater mit
Tanz und Musik, immer unter Einbeziehung von architektonischen Räumen, dem
Öffentlichen und dem Privaten. So werden Besucher:innen auch beim
„Schwarm“ nicht an einem Platz sitzen bleiben, sondern sich mit zu
verschiedenen Orten auf dem Gelände des Revier Südost bewegen. Bei der
Ankunft auf dem weiten Platz, zwischen den halb verfallenen Ruinen der
alten Brauerei, wo die Inszenierung beginnt, bekommen Besucher:innen
Kopfhörer, über die sie mit Text und Musikeinlagen durch das Stück geführt
werden.
Ein Teil der Stücks ist nämlich eine ornithologische Exkursion durch die
[2][Lebensgewohnheiten von Zugvögeln], die hier durch die Kraniche auf den
Stelzen verkörpert werden. Die Exkursion führt die Gäste an verschiedene
Orte, an denen verschiedene Dinge passieren, die Mal mit Video-Projektionen
auf Wände, mal mit Texteinlagen aus den Kopfhörern hinterlegt sind. Die
Reise wird geleitet von einer Gruppe von Ornitholog:innen in
einteiligen grauen Anzügen, die die Besucher:innen begleiten, immer dem
Schwarm hinterher, und sich um Text, Sound-Untermalung, Licht und
Video-Installationen kümmern.
## Gefahren der Reise
Und dann gibt es da noch eine kleine Person in einem roten Anorak, die die
ganze Zeit über ein hölzernes Ruder in der Hand hält. Was oder wer sie sein
soll, wird nicht ganz klar, jedenfalls scheint sie manchmal für und
manchmal gegen den Schwarm zu arbeiten, manchmal springt sie fröhlich in
seiner Mitte, ein anderes Mal bedroht sie die Kraniche scheinbar mit dem
Holzruder. Vielleicht soll sie eine Metapher für die Menschheit sein oder
die launenhafte Natur.
Die Exkursion führt im Laufe des Stücks immer tiefer in das Gelände der
alten Brauerei hinein. Manchmal fühlt man sich an den Film [3][„Nomaden der
Lüfte“ von Jacques Perrin] erinnert, der viele verschiedene Zugvögelarten
bei ihrer jährlichen Reise von Europa in den Süden begleitet und in oft
dramatischen Szenen die Strapazen zeigt, die die Vögel dabei auf sich
nehmen. Zwischen den Bergen aus Bauschutt und den Video-Installationen von
Müllbergen, die an die Wände der alten Gebäude geworfen werden, muss auch
der Schwarm viele Gefahren und Schwierigkeiten meistern.
Teilweise entsteht so auch hier eine unheilvolle Atmosphäre, die einen
kleinen Eindruck von den oft menschengemachten Widrigkeiten vermittelt, mit
denen die Zugvögel auf ihren jährlichen Reisen kämpfen müssen.
Diese unheilvolle Stimmung ist von der Perfomancegruppe Grotest Maru
durchaus beabsichtig. Was sie nämlich auch will, ist, sich auf einfach
zugängliche Weise mit den drängenden Fragen unserer Zeit zu beschäftigen:
mit dem [4][Klimawandel, dem Artensterben, dem Verhältnis zwischen Mensch],
Tier und Natur, aber auch mit Fragen von Herkunft und Migration und wer in
welchem Land leben darf und wer nicht. Während der Schwarm herumstelzt,
geht es in den Texten auch immer wieder um Identität und
Zugehörigkeitsgefühle. Die Performer:innen erzählen woher sie kommen,
wo sie sich zu Hause fühlen und welches Verhältnis sie zu Deutschland
haben.
Trotz der Texte, der Videos und der artistischen Performance wird das Stück
manchmal etwas langatmig, und es scheint, als drifteten die
Besucher:innen und die Inszenierung auseinander. Gerade weil sich die
Gruppe ständig bewegt und die Schauspieler:innen durch die Stelzen und
die riesigen Flügel ziemlich bewegungseingeschränkt sind. Doch wenn eine
leichte Langeweile aufkommt, wird die sofort von der Kulisse mit den
riesigen alten Gebäudskeletten, den herausgeschlagenen Fensterscheiben und
den enormen Graffiti an den Wänden abgefangen, und dann funktioniert das
Stück doch wieder sehr gut.
„Schwarm“ beschäftigt auch auf dem Weg nach Hause und wenn man längst zu
Hause ist. Daheim braucht man eine Zeit lang, um die einzelnen Elemente in
einen Zusammenhang zu setzen. Wenn das gelungen ist, hat die Inszenierung
vor allem eines gezeigt: dass Landesgrenzen aus der Vogelperspektive
betrachtet eigentlich nur Fiktionen in den Köpfen der Menschen sind.
2 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.grotestmaru.de/
[2] /Abwasser-in-Jordanien/!5760381
[3] /Archiv-Suche/!1117076&s=Nomaden+der+L%C3%BCfte+Perrin&SuchRahmen=P…
[4] /Biologe-ueber-Artensterben-und-Klimakrise/!5784568
## AUTOREN
Annina Bachmeier
## TAGS
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