| # taz.de -- trans*Frau über ihr Leben in Hamburg: „Ich hatte ein Loch in der… | |
| > Domicila Roberta Batista zog für einen Mann von Brasilien nach | |
| > Deutschland. Nach der Trennung rutschte sie in die Sexarbeit. Doch das | |
| > ist vorbei. | |
| Bild: Schätzt Machiavelli und Platon: Domicila Roberta Batista | |
| taz: Frau Batista, worauf sind Sie stolz? | |
| Domicila Roberta Batista: Ich bin stolz darauf, dass ich nach all meinen | |
| Rückschlägen am Ball geblieben bin. Kennen Sie den Philosophen Niccolò | |
| Machiavelli? Ich habe viel von ihm gelesen. Er isolierte sich selbst, als | |
| er merkte, dass andere Menschen ihn verletzen können. Ich bin stolz darauf, | |
| dass ich das nicht genauso getan habe. | |
| Was waren das denn für Rückschläge? | |
| Ich habe mich lange für meinen Drogenmissbrauch geschämt und dafür, dass | |
| ich meine Familie enttäuscht habe. Heute bin ich stolz darauf, dass ich | |
| nicht mehr so bin. | |
| Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Familie? | |
| Sehr gut. Meine Mutter hat immer gesagt: „Wenn du deine eigene Nase putzen | |
| kannst, kannst du machen, was du willst.“ Das ist ein brasilianisches | |
| Sprichwort. Früher habe ich das nie verstanden. Aber jetzt weiß ich die | |
| Bedeutung: Sie hat damit gemeint, dass ich so sein kann, wie ich möchte, | |
| selbst wenn ich nicht in der stabilsten Lage bin. | |
| Sie haben lange in Espírito Santo in Brasilien gelebt, dem Ort, an dem Sie | |
| aufgewachsen sind. Wie war das? | |
| Ich hatte damals eine Freundin, die in einer Band gespielt hat und die ich | |
| immer geschminkt habe. Dank meiner Extrovertiertheit hat sie mir einen Job | |
| als Promoterin vermittelt. Ich habe unter anderem Werbung für ein | |
| Restaurant gemacht. Dort haben wir Veranstaltungen mit Samba, Poesie, | |
| Kunstausstellungen und Performances organisiert. Jeden Mittwoch und | |
| Donnerstag war das ganze Restaurant voll. Jedes Mal ist die Polizei | |
| gekommen, weil die Leute zu viel Lärm gemacht haben. In das Restaurant | |
| haben eigentlich 30 Leute gepasst, doch wir waren oft über 400. Das habe | |
| ich verlassen, um hier nach Hamburg zu kommen. | |
| Warum? | |
| Ich kam für einen Mann hierher, um mit ihm zusammen zu sein. Das war 2001, | |
| da war ich 21 Jahre alt. Nach ein paar Monaten habe ich mich jedoch von ihm | |
| getrennt. | |
| Waren Sie zu dem Zeitpunkt schon als trans* geoutet? | |
| Nein, zu dem Zeitpunkt haben meine Freunde und ich immer heimlich zum Spaß | |
| Frauenkleider getragen, um Fotos zu machen. Meine erste Hormonspritze bekam | |
| ich mit 21 Jahren. Meine ganze Familie wusste aber, dass ich trans* bin. | |
| Zuerst hatte ich mich bei ihnen noch als schwul geoutet. Sie haben kurz vom | |
| Esstisch aufgeblickt und dann einfach weiter gegessen. Mein Opa meinte: | |
| „Wenn du uns sagst, dass du eine Frau bist, würden wir dir das auch | |
| glauben.“ Er hat mich immer unterstützt. | |
| Wie kamen Sie dann schließlich zur Sexarbeit? | |
| Nach der Trennung von meinem Freund in Hamburg gab er mir ein bisschen Geld | |
| und sagte, ich müsste zurück nach Brasilien. Doch ich wollte in Hamburg | |
| bleiben. Daher habe ich Geld gebraucht. Mein Ex-Freund arbeitete in einem | |
| Restaurant. Im gleichen Restaurant hat auch der Mann gearbeitet, der mein | |
| erster Zuhälter werden sollte. Ich bin zwar intelligent, aber damals war | |
| ich naiv. Mir war nicht bewusst, dass es überhaupt Zuhälterei gibt – das | |
| war nicht meine Welt. Es hat damit angefangen, dass ich in einem | |
| Stricherhotel auf der Reeperbahn die Gäste unterhalten und mit ihnen | |
| trinken sollte. Ich bekam Kommission für das, was konsumiert wurde. | |
| Das war also der Anfang? | |
| Ja, genau. Irgendwann habe ich dann eine Wohnung von einem Zuhälter | |
| angenommen, ohne Papiere. Dafür musste ich entweder in einer Kneipe am | |
| Steindamm oder dem Hotel auf der Reeperbahn arbeiten. In das Hotel kamen | |
| immer Männer mit super teurer Kleidung. Dort suchten sie sich jemanden aus, | |
| den sie manipulieren konnten. In der Szene läufst du von Hand zu Hand: Eine | |
| gewisse Zeit lang wirst du von jemandem betreut, der bringt dich dann zum | |
| nächsten. Diese Männer haben viel Macht über dich. Sie reden dir ein, du | |
| hättest nichts außer ihnen und daher traust du dich nicht wegzugehen. Sie | |
| wissen genau, was deine Schwachpunkte sind. So habe ich meinen zweiten | |
| Freund kennengelernt. | |
| Wie ging es weiter für Sie? | |
| Mein neuer Freund erzählte mir schließlich, dass er jemanden kenne, der in | |
| Blankenese wohnte. Der würde dafür bezahlen, uns beim Sex zuzuschauen. Ich | |
| habe vorher sichergestellt, dass ich den fremden Mann nicht anfassen | |
| müsste. Auch Drogenkonsum spielte dabei eine Rolle. Und als wir sahen, wie | |
| viel Geld wir verdienen konnten, wurde es Schritt für Schritt mehr. | |
| Vor zwei Jahren haben Sie mit der Sexarbeit aufgehört. Warum? | |
| Ich war sehr erfolgreich als Sexarbeiterin, aber ich konnte kein Geld | |
| sparen, da ich viele Drogen genommen habe. Ich hatte ein riesiges Loch in | |
| meiner Seele und musste manchmal von der Realität wegkommen. Du musst | |
| einfach high sein, um mit all dem umzugehen. Ich wollte das nie wirklich | |
| tun. Ich habe meiner Seele sehr viel Schmerz zugefügt. Heute weiß ich, dass | |
| ich in diesem Millieu nicht mehr arbeiten will, auch wenn das bedeutet, | |
| dass ich Sozialhilfe bekomme. | |
| Wie haben Sie es geschafft, aufzuhören und clean zu werden? | |
| Viele Menschen sind Atheisten und glauben nicht an Gott. Ich jedoch schon. | |
| Das habe ich von meiner Mutter und meiner Großmutter mitbekommen. In diesem | |
| Beruf hatte ich jedoch alle meine Grundsätze vergessen und nie gebetet. | |
| Jetzt bete ich wieder und ich fühle einen Unterschied. Durch Bücher des | |
| persischen Dichters Rumi aus dem 13. Jahrhundert bin ich zurück zu Gott | |
| gekommen. Er war Moslem und spricht eigentlich fast nie von einem Gott, | |
| hauptsächlich geht es um Liebe und eine höhere Macht. Ich will niemanden | |
| missionieren, doch mir persönlich hat es sehr geholfen. | |
| Fühlen Sie sich heute sicher in Hamburg? | |
| Nein, Hamburg ist eine Hochburg des Menschenhandels. Wer nicht in der Szene | |
| ist, weiß nicht, wie die Menschen leiden. | |
| Beschreiben Sie es? | |
| Die Leute kommen teilweise für die Prostitution aus Lateinamerika. Viele | |
| davon sind trans* Frauen. Die Zuhälter, die sie hierher holen, sogenannte | |
| Mamas, verlangen vorab über 20.000 Euro. Das heißt, du kommst hier an mit | |
| 20.000 Euro Schulden. Sie nehmen dir deine Papiere weg und stellen eine | |
| Wohnung bereit. Dafür musst du entweder in der Schmuckstraße oder am | |
| Steindamm arbeiten. Ich bin froh, dass ich nicht über diesen Weg hierher | |
| gekommen bin. | |
| Wie kann man* für mehr Sicherheit sorgen? | |
| Wir sorgen selbst für unsere Sicherheit. Die Polizei hilft uns leider | |
| wenig. Früher habe ich an eine deutsche Freiheit, eine deutsche Akzeptanz | |
| geglaubt. Deswegen bin ich hierher gekommen, nicht um reich zu werden. Aber | |
| diese deutsche Freiheit gibt es nicht, das spürst du an jeder Ecke. Wir | |
| sind dennoch keine Opfer, wir werden uns immer wehren, um den Leuten zu | |
| zeigen, dass sie uns nicht einfach schlecht behandeln können. | |
| Warum ist die Polizei nicht hilfreich? | |
| Die Hamburger Polizei hat extra Ansprechpartner für Diskriminierungsfälle | |
| gegen die LGBTQ*-Community ernannt. Das sind ein paar wenige Beamte, die | |
| keinerlei Erfahrung mit dem Untergrund haben. Ich wurde vor einiger Zeit in | |
| meiner eigenen Wohnung bestohlen: mein Fernseher war weg, meine Unterlagen | |
| wurden mitgenommen, Möbel waren schwer beschädigt. Bei der Polizeistelle | |
| für Diskriminierung sagten sie, man brauche für alle gestohlenen Güter | |
| Rechnungen und Seriennummern. Aber auch all das war gestohlen worden. Ich | |
| habe Fotos von meinen Möbeln, aber die Polizei beharrt darauf, dass ich für | |
| alles alte Rechnungen vorlegen muss. Irgendwann haben sie einfach | |
| aufgehört, mit mir zu reden. | |
| Was ist Ihnen heute wichtig? | |
| Dass trans* Menschen sichtbarer werden und zwar nicht nur die, die passing | |
| sind. Das bedeutet, dass man dem Schönheitsideal soweit entspricht, dass | |
| man nicht als trans* wahrgenommen wird. Viele der trans* Menschen, die | |
| nicht passing sind, versuchen, Arbeit zu finden. Darüber habe ich mit | |
| vielen anderen gesprochen, wir können alle ein Lied davon singen. In São | |
| Paulo gibt es zum Beispiel ein Projekt namens Transcidadania, durch das | |
| trans* Menschen Stipendien bekommen und die Möglichkeit erhalten zu | |
| studieren. Ich verstehe nicht, warum Deutschland so etwas nicht auch | |
| anbietet. | |
| Sie denken sehr kollektiv. Was ist mit Ihnen persönlich? | |
| Man muss immer kollektiv denken. Das hat schon Platon gesagt. Ich | |
| beschäftige mich so viel mit Philosophie, weil sie mir Dinge erklärt, die | |
| mir die Psychologie nicht erklären kann. Ich war lange genug egoistisch, | |
| damit habe ich mich nur selbst verletzt. Für mich selber wünsche ich mir, | |
| nicht mehr lange von Hartz IV leben zu müssen. Ich würde gerne an einem | |
| Kurs an der Kosmetikfachschule teilnehmen. | |
| 2 Aug 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Door | |
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