# taz.de -- Chiquinquirá Lorenz über Transsexualität: "Ich bin schön wie ei… | |
> Am Transen-Strich in der Hamburger Schmuckstraße betreibt die | |
> Transsexuelle Chiquinquirá Lorenz ihre Taverne. Ein Dokumentarfilm über | |
> sie schafft jetzt einen Zugang zu einer bislang isolierten Community. | |
Bild: Stolz auf ihre Arbeit und ihr Äußeres: Chiquinquirá Lorenz in ihrer Ba… | |
taz: Frau Lorenz, was ist der Unterschied zwischen einer Transsexuellen und | |
einem Transvestiten? | |
Chiquinquirá Lorenz: Eine richtige Transsexuelle ist wie ich: Sie hat | |
schöne Haare, ein schönes Gesicht, eine schöne Figur, Titten. Andere haben | |
nur Haare, keine Titten. Das ist nicht das Gleiche. Wenn die sagen, sie | |
seien Transsexuelle, sage ich: "Du bist keine Transsexuelle, Du bist ein | |
Mann im Kleid." | |
Wen trifft man am Transen-Strich in der Hamburger Schmuckstraße an - | |
Transvestiten oder Transsexuelle? | |
Beide. Es gibt Transvestiten, die gehen tagsüber einem normalen Job nach | |
und abends prostituieren sie sich. Und es gibt das Haus in der | |
Schmuckstraße, in dem nur transsexuelle Südamerikaner wohnen. Unten in dem | |
Haus ist eine Taverne. Ich habe eine Wohnung in dem Haus und betreibe die | |
Taverne. | |
Das Haus hat auch zwei Hamburger Regisseure interessiert. In deren | |
Dokumentarfilm "Schmuck der Straße"wirkt das Haus wie eine große | |
Wohngemeinschaft. | |
Ja, die Südamerikaner dort kennen sich alle. Es gibt Brasilianer, | |
Venezolaner, Kolumbianer, Peruaner. Wer in der Prostitution arbeiten will, | |
hat keine andere Chance, als nach Europa zu gehen. | |
Kennen Sie sich wirklich alle? | |
Engeren Kontakt habe ich nur mit Eva. Sonst sagt man nur: "Hallo, wie | |
gehts?" Eva Rodrigues, die auch in dem Film vorkommt, ist meine beste | |
Freundin. Wir treffen uns auch zu Hause und kochen zusammen. | |
Gibt es auch Kontakte zu Leuten außerhalb des Hauses? | |
Keine engeren. Man sagt mal "Hallo", mehr nicht. | |
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, von Venezuela nach Hamburg umzuziehen? | |
Meine beste Freundin hat zu mir gesagt: "Möchtest du mit nach Deutschland | |
kommen?" Ich habe gesagt: "Okay, aber was mache ich in Deutschland? Ich | |
spreche kein Deutsch." Sie hat geantwortet: "Wir haben eine Bar und eine | |
Wohnung." Im Jahr 2008 bin ich gekommen und sie hat am Hamburger Flughafen | |
auf mich gewartet. Dann habe ich angefangen, in der Taverne von Donatella | |
in der Schmuckstraße zu arbeiten. | |
Was haben Sie sich davon versprochen, hierher zu kommen? | |
In Venezuela war ich Schauspielerin im Theater und im Film und habe | |
gemodelt. In Deutschland ist es einfacher als in meinem Land, als | |
Transsexuelle zu arbeiten. | |
Klingt trotzdem nicht einfach: auf der anderen Seite der Erdkugel ein neues | |
Leben anzufangen - in einem Rotlichtviertel. | |
Anfangs war es schwierig mit der Sprache. Es war kalt, ich musste viel | |
arbeiten und das deutsche Essen fand ich schlecht. Ich war traurig und habe | |
überlegt, zurückzufliegen. Aber das ist drei Jahre her. Nun habe ich die | |
Taverne übernommen und alles ist gut. | |
Kommen Sie noch manchmal zurück nach Venezuela? | |
Ja, ich fliege immer im Dezember für drei Monate. Aber ich habe einen | |
deutschen Mann geheiratet. Ich habe in der Schmuckstraße eine Wohnung für | |
mich und eine Freundin. Sonst wohne ich bei meinem Mann in Altona. | |
Wissen Sie von Häusern wie dem in der Schmuckstraße auch in einer anderen | |
deutschen Stadt? | |
Nein, das gibts nur in Hamburg. Das Haus und die Taverne sind in der Szene | |
bekannt in ganz Deutschland. | |
Gibt es ein vergleichbares Haus anderswo in Europa? | |
Es gibt ein paar Anlaufpunkte für Transsexuelle, die von Südamerika nach | |
Europa kommen. In Hamburg ist einer der wichtigsten, die anderen beiden | |
sind in Barcelona und Mailand. | |
Wie haben Sie selbst von der Schmuckstraße erfahren? | |
Das läuft über Mundpropaganda: "Wenn du mal nach Deutschland gehst, dann | |
gehe in die Schmuckstraße, da wird dir geholfen." | |
Haben Transsexuelle aus Südamerika einen Stil, der sich von dem anderer | |
Transsexueller unterscheidet? | |
Die transsexuellen Südamerikaner sind immer schön, perfekt, wie eine Frau. | |
Auch oft operiert. In Europa gibt es auch schöne Transsexuelle. In | |
Deutschland kenne ich vier, fünf sehr schöne Transsexuelle. | |
Im Film sagt eine Ihrer Freundinnen, sie fühle sich als "mythologisches | |
Wesen". Was hat sie damit gemeint? | |
Als Transsexuelle habe ich einen Schwanz, aber in meinem Kopf bin ich eine | |
Transsexuelle. Ich bin schön, ich habe Privilegien und ich würde mich nicht | |
unten operieren lassen. Niemals. | |
Welche Privilegien sind das? | |
Wenn du ein Mann und eine Frau bist, hast du zwei Charaktere. Du bist eine | |
richtig schöne Frau und du hast einen Schwanz. Das ist für mich ein | |
Privileg und für viele Männer ist das interessant. | |
Sind Sie in Ihrem sozialen Verhalten auch Mann und Frau zugleich? | |
Mit meinem Ehemann ist das ein bisschen kompliziert. Er sagt: "Du kriegst | |
Ärger mit mir. Du bist ein bisschen wie ein Mann." Ich sage: "Ich habe zwei | |
Charaktere: Ich denke wie eine Frau und ich denke wie ein Mann." Beides. | |
Aber ich bin eine Frau. Mein Verhalten ist das einer Frau. Nur beim Sex bin | |
ich keine. | |
Wie halten Sie es mit der Emanzipation? | |
Ich arbeite und mein Mann arbeitet auch. | |
Und wer trägt den Wasserkasten in den dritten Stock? | |
Mein Mann. | |
Kucken Sie Fußball? | |
Nein. | |
Können Sie sich vorstellen, den ganzen Tag zu Hause den Haushalt zu machen? | |
Nein, ich bin hyperaktiv. Ein ganzer Tag nur in der Wohnung, das wäre zu | |
viel. | |
Wer macht den Einkauf? | |
Wir beide zusammen. Oder wir sagen: Einer kauft ein, der andere putzt. Es | |
muss zu Hause nicht perfekt aussehen, aber ordentlich. | |
Wie sieht Ihr Alltag aus? | |
Erst mache ich Yoga, dann gehe ich in meinen Deutschkurs und dann in die | |
Schmuckstraße. Dort kontrolliere ich meine Wohnung und die Taverne. Um 22 | |
Uhr macht die Taverne auf und ich arbeite bis vier, fünf, sechs Uhr | |
morgens. Sonntags bleibe ich zu Hause und ruhe mich aus. Mittwochs habe ich | |
frei, dann gehe ich Shoppen oder Essen oder ins Kino. Ich liebe Kino. | |
Wie gefällt Ihnen Hamburg? | |
Sehr gut. Der deutsche Mann ist sehr schön. | |
Echt? | |
Ja, ich liebe den deutschen Mann und die deutsche Frau. Die Augen, die | |
Nase, die Haut. Sie sind blond und groß. Die Frauen haben einen guten | |
Geschmack bei der Kleidung. | |
Wie würden Sie die Deutschen charakterisieren? | |
Die Deutschen sind tolerant und geduldig. Die Rumänen, Araber, Italiener | |
oder Franzosen sind oft komplizierter. | |
Gibts gar keine Probleme mit blöden Sprüchen? | |
Manchmal schon. Ich sage: "Diese Leute haben keine Kultur." Das sage ich | |
aber nicht laut. Ich rede nur mit meinen Augen. | |
Werden Sie in Deutschland bleiben? | |
Ich bin eine Anhängerin der Religion Santería. Demnächst fliege ich nach | |
Venezuela und frage einen Santero, was ich weiter machen soll. Ob ich einen | |
Englisch-Kurs belegen und in die USA fliegen soll oder einen Schauspielkurs | |
in Barcelona machen soll. Ich möchte als Schauspielerin arbeiten und nicht | |
immer in der Taverne in der Schmuckstraße. Im November fliege ich dann nach | |
Thailand zum Wettbewerb "Miss International Queen". Das ist ein | |
Schönheitswettbewerb für Transsexuelle. Ich bin Miss Venezuela und vertrete | |
mein Land. | |
Wie stehen die Chancen für eine Schauspielkarriere in Deutschland? | |
Mein Mann hat mich gefragt, ob ich das nicht auch in Deutschland machen | |
kann. Aber die Sprache ist so schwer, und wenn ich die nicht kann, dann | |
mache ich es nicht. | |
15 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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Hamburg | |
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