# taz.de -- Deutscher in Kamerun inhaftiert: 22 Monate Gleichgültigkeit | |
> Fast zwei Jahre saß Wilfried Siewe in Kamerun unschuldig im Knast. | |
> Vernachlässigte das Auswärtige Amt seinen Fall, weil er schwarz ist? | |
Bild: Saß 22 Monate in Haft: Wilfried Siewe, hier mit seiner Frau Layoko Siewe | |
ERLANGEN taz | Es war so am vierten, fünften Tag in Polizeigewahrsam, als | |
Wilfried Siewe die Hoffnung aufgab. Ziemlich schlagartig. Zuvor hatte er | |
noch gedacht, jeden Moment würde die Tür aufgehen, ein Polizist erscheinen, | |
ihn nach draußen rufen und ihm eröffnen, dass er frei sei. | |
Siewe, ein deutscher Staatsangehöriger kamerunischer Herkunft, hatte sich | |
schließlich nichts zu Schulden kommen lassen, nichts Strafbares getan, was | |
seine Festnahme hätte rechtfertigen können. Gut, ein paar Fotos hatte er | |
geschossen, ein Buch von [1][Oppositionsführer Maurice Kamto] hatte er bei | |
sich. Na und? Noch nicht einmal unter dem Regime Paul Biyas, der Kamerun | |
seit Jahrzehnten mit eiserner Faust regiert, ist dies strafbar. | |
An diesem Februartag im Jahr 2019 saß er also auf der Polizeiwache in | |
Kameruns Hauptstadt Yaoundé in einer Zelle. Zwölf Quadratmeter, zwölf | |
Gefangene. Keine Matratzen, wer Glück hatte, ergatterte einen Fetzen | |
Karton, die anderen schliefen auf dem Betonboden. Tageslicht drang nicht | |
herein, in der Mitte der Zelle floss in einem Rinnsal das Abwasser des | |
Waschbeckens quer durch den Raum. | |
Zwischendurch Verhöre; er habe in diesen Tagen die gesamte Hierarchie des | |
kamerunischen Polizeiapparats kennengelernt, sagt Siewe. Sie warfen ihm | |
vor, er gefährde die Sicherheit des Staates. Zeigten ihm das Video eines | |
Redners auf einer Demonstration gegen Kameruns Regime. Das sei er, | |
behaupteten sie. Der Mann war viel kleiner als Siewe, hatte eine hellere | |
Hautfarbe, trug Brille. Egal. | |
## Desinteresse in der Botschaft | |
Wilfried Siewe hat ein paar weiße Plastikstühle aus dem Keller | |
hochgetragen. Die taz hat ihn ein halbes Jahr nach seiner Freilassung und | |
der Rückkehr nach Deutschland getroffen. Fast 22 Monate hatte er zuvor | |
[2][in Kamerun in Gefangenschaft verbracht], 22 Monate, in denen den | |
deutschen Behörden sein Schicksal ziemlich gleichgültig war. Nun ist Siewe | |
wieder daheim bei seiner Familie. Er sitzt im Schatten einer alten Buche. | |
Es ist ein großer begrünter Hinterhof. Auf dem Fußweg um den Hof herum | |
dreht Siewes Sohn mit dem Fahrrad seine Runden, die Schwester ist ihm auf | |
einem Roller dicht auf den Fersen. Fünf und drei Jahre sind sie jetzt alt. | |
„Als ich gemerkt habe, dass die Botschaft überhaupt nichts macht, war für | |
mich klar: Ich werde hier noch sehr lange bleiben müssen“, erzählt er. In | |
Kamerun darf die Polizei Verdächtige maximal für zweimal zwei Nächte | |
festhalten. Siewe musste zwei Wochen bleiben, bevor er in Untersuchungshaft | |
kam. Als sich sein Anwalt an die Botschaft wandte und klagte, dass die | |
Grundrechte seines Mandanten missachtet würden, schien er dort auf wenig | |
Interesse zu stoßen. „Auf Unterstützung der deutschen Regierung, meiner | |
Regierung, brauchte ich also nicht zu hoffen.“ | |
Stattdessen ging die Botschaft nunmehr sehr intensiv der Frage nach, ob | |
Wilfried Siewe denn wirklich nur die deutsche Staatsangehörigkeit habe. | |
Siewe war 2003 zum Studium nach Deutschland gekommen, fand hier im | |
Anschluss einen Job, blieb. 2011 wurde er eingebürgert. „Das sagt doch | |
alles, wenn man in einer solchen Situation ist, und die fragen als erstes: | |
Ist der überhaupt deutsch?“ | |
Dabei habe es keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass Siewe noch Kameruner | |
sein könnte. „Die Botschaft wusste genau, dass ich die deutsche | |
Staatsangehörigkeit überhaupt nicht hätte annehmen können, ohne die | |
kamerunische abzulegen.“ Immer wieder, erzählt auch Ehefrau Layoko Siewe, | |
habe man bei ihr nachgefragt und sie gebeten, spezielle Dokumente | |
beizubringen, die belegten, dass er die kamerunische Staatsangehörigkeit | |
abgelegt habe. Papiere, die der kamerunische Staat nach Siewes Aussage gar | |
nicht ausstellt. Erst nach Monaten habe man sich dann mit der | |
abfotografierten Einbürgerungsurkunde begnügt. Aus dem Auswärtigen Amt | |
verlautet es dagegen auf taz-Nachfrage, man habe zu keiner Zeit Zweifel an | |
Siewes deutscher Nationalität gehabt. | |
## Wollten die Behörden ein Exempel statuieren? | |
Eigentlich hätte der Ingenieur längst wieder in Erlangen in seinem Büro bei | |
Siemens sitzen müssen. Aber nun war er in der Gewalt des Regimes eines | |
Landes, das früher seine Heimat war. In dem er eben noch seinen Urlaub | |
verbracht hatte. Seiner Frau, die aus Togo stammt, hatte er zeigen wollen, | |
wo er aufgewachsen war. | |
Am Abreisetag dann gab es Probleme mit dem Online-Check-in. Siewe wollte | |
direkt zum Flughafen, dort die Formalitäten erledigen. Der Flug war erst | |
abends. Auf dem Weg wollte er noch ein paar Besorgungen machen, | |
Erinnerungsfotos schießen. Schließlich stand er vor dem Amtsgericht, gleich | |
um die Ecke hatte er seinerzeit einen Deutschkurs gemacht. Als er ein Foto | |
machte, kamen Polizisten auf ihn zu. Man dürfe hier nicht fotografieren, | |
behaupteten sie. Sie nahmen ihn mit, er musste in den Kofferraum ihres | |
Jeeps steigen. | |
Ein oder zwei Stunden saßen sie dort. Die Polizisten durchsuchten seinen | |
Rucksack, kontrollierten Kamera und Handy. Immer wieder telefonierten sie | |
mit Vorgesetzten. Anfangs dachte Siewe noch, die wollten nur etwas Geld und | |
würden ihn wieder gehen lassen. Korruption ist hier gang und gäbe. Doch | |
irgendwann hieß es, wir fahren jetzt auf die Wache. Die Hölle begann. | |
Bei dem, was ihm widerfahren sei, sei es gar nicht um ihn selbst gegangen, | |
ist sich Siewe sicher. Er trägt ein kurzärmeliges kariertes Hemd und eine | |
schwarze Anzughose, der Bart ist kurz gestutzt. Er spricht leise, seine | |
Sätze sind wohlüberlegt. Man habe an seiner Person lediglich ein Exempel | |
statuieren wollen – eine Warnung in Richtung der kamerunischen Diaspora in | |
Europa. Denn hier hatten Exilkameruner immer lautstarker gegen das | |
Biya-Regime protestiert. So stürmten Demonstranten kurz vor der Reise der | |
Siewes nach Kamerun die kamerunischen Botschaften in Paris und Berlin. Und | |
Biyas regelmäßige Aufenthalte in einem Luxushotel in Genf wurden infolge | |
von Protestaktionen auch immer unbehaglicher. | |
Dass Siewe selbst sich nie an einer Aktion beteiligt hatte, ja noch nicht | |
einmal auf eine Demo gegangen war – mit solchen Petitessen hielten sich die | |
Behörden in Yaoundé nicht auf. | |
## Immer neue Anschuldigungen | |
Alles in allem waren es fast 22 Monate, die Wilfried Siewe in | |
Gefangenschaft verbringen musste. Es kamen in dieser Zeit immer neue | |
Anschuldigungen auf den Tisch. Einmal gab es eine Amnestie. Doch Siewe kam | |
nicht frei, stattdessen wurde ihm ein neuer Prozess gemacht. Er habe sich | |
im Juli 2019 bei einer Gefangenenrevolte beteiligt, hieß es. Wahlweise | |
auch, er habe im Zuge der Revolte andere Gefangene bestohlen, die | |
Bibliothek abgebrannt oder einen Fluchtversuch unternommen. Die | |
Anschuldigungen schienen austauschbar. | |
Belege für die Vorwürfe fanden sich keine, Zeugen entlasteten Siewe. | |
Vielmehr wurde er selbst am Tag der Revolte übel zugerichtet, als | |
Polizisten begannen, wahllos mit Schlagstöcken auf die vermeintlich | |
politischen Gefangenen einzudreschen. Er hatte zwei Platzwunden am Kopf, | |
verlor große Mengen an Blut. „Mir war kalt, und auf einmal war ich ganz | |
schwach und konnte kaum noch atmen. Ich dachte in dem Moment wirklich, ich | |
würde gleich sterben.“ Nur mit der Hilfe eines Mitgefangenen, eines Arztes, | |
überstand er diese Stunden. „Ohne ihn wäre ich heute nicht da.“ Die Wunden | |
wurden erst nach drei Tagen genäht – ohne Betäubung. | |
Die Haftbedingungen im Gefängnis waren immerhin besser als im | |
Polizeigewahrsam – zumindest wenn man Geld hatte. Dann konnte man sich | |
Essen und Trinkwasser kaufen, einen Platz im Kühlschrank mieten, die Zelle | |
verlassen, Sport treiben. Mit dem Geld, das Siewe über seine Familie und | |
Spenden aus Deutschland bekam, leistete er sich sogar ein Zellen-Upgrade: | |
Statt 100 Häftlingen auf 30 Quadratmetern waren es nun nur noch 20 auf 16 | |
Quadratmetern. In der VIP-Zelle gab es sogar Stockbetten. Und schon nach | |
zwei Monaten bekam auch Siewe dort einen Schlafplatz. Klingt nach | |
Sarkasmus. Ist es auch. „Im Vergleich dazu leben die Sardinen im Luxus“, | |
sagt Siewe. | |
Der größte tatsächliche Luxus für ihn war das Mobiltelefon, das sich Siewe | |
in den Knast schmuggeln ließ – gegen etwas Bestechungsgebühr auch kein | |
Problem. Nur hin und wieder wurde es konfisziert, dann musste man eben ein | |
neues kaufen. „Ohne Handy hätte ich das nicht durchgestanden“, sagt Siewe. | |
Auch mit seiner Frau in Deutschland habe er fast täglich Videotelefonate | |
geführt, sogar zu den Kindern konnte er auf diese Weise den Kontakt | |
aufrechterhalten. „So wusste ich, dass es ihnen gut geht.“ | |
## Bloß ein paar Euro als Unterstützung | |
Anfangs versuchte er auf diese Weise auch regelmäßig, die deutsche | |
Botschaft zu kontaktieren. Doch er hatte das Gefühl, dass man ihn nur | |
hinhält. Nach sechs Monaten hatte er erstmals den Botschafter selbst am | |
Telefon. „Ja, erzählen Sie mal: Wie geht es Ihnen?“ fragt der ihn. „Ich | |
hab’ gedacht, ich bin in einem falschen Film. Der Mann sollte genau wissen, | |
wie es mir geht.“ Während der ganzen Zeit habe er insgesamt zweimal Besuch | |
von Botschaftsangehörigen bekommen. Ansonsten: keinerlei Unterstützung. Nur | |
einmal, da habe ihm eine Botschaftsangehörige am Rande eines | |
Gerichtstermins umgerechnet etwa 25 Euro zugesteckt. | |
Von Deutschland aus meldete sich Layoko Siewe regelmäßig bei der Botschaft. | |
„Wenn ich die gefragt habe, was sie für meinen Mann machen, haben sie immer | |
gesagt: Wir schreiben und telefonieren ständig mit allen Behörden in | |
Kamerun. Ergebnisse gab es offenbar keine.“ Irgendwann habe sie dann | |
gefragt: „Ist Deutschland wirklich so machtlos, wenn es um die eigenen | |
Staatsbürger geht, oder ist das, weil Wilfried ein schwarzer Deutscher | |
ist?“ | |
Natürlich nicht, heißt es im Auswärtigen Amt. Die Bundesregierung setze | |
sich für alle inhaftierten Deutschen in gleichem Maße ein. Man habe das | |
Verfahren gegen Siewe „intensiv verfolgt“ und kamerunischen Behörden | |
gegenüber wiederholt die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und einen | |
Verfahrensablauf ohne unnötige Verzögerungen angemahnt. Weiter ins Detail | |
will man auf die taz-Anfrage freilich nicht gehen. Vom „Schutz des | |
Vertrauens in die internationalen Beziehungen“ ist die Rede. | |
Der diplomatische Dienst wirkt nun mal lieber diplomatisch. Auf nach außen | |
hin schwer nachvollziehbaren Kanälen. Doch hat er dies im Fall Siewe auch | |
wirklich getan? Es habe viele Gespräche gegeben, davon mehrere „auf für | |
Haftfälle ungewöhnlich hoher politischer Ebene“, lässt das Amt verlauten. | |
Säße Siewe also ohne die klandestine Hilfe der Botschaft vielleicht noch | |
immer im Knast? | |
## Die Bundesregierung kann auch anders | |
Es gibt zumindest Beispiele, dass die Bundesregierung auch anders auftreten | |
kann. Im vergangenen Jahr etwa machte sich Außenminister Heiko Maas | |
persönlich für die Freilassung einer in der Türkei inhaftierten Deutschen | |
stark. Andernfalls stünde dies einer Normalisierung der Beziehungen | |
zwischen der Türkei und der EU im Wege, warnte er unverhohlen. Solche Worte | |
hätten sich die Siewes auch in Richtung Kamerun gewünscht. | |
Vater Staat und seine Kinder – ein offenbar nicht immer leichtes | |
Verhältnis. Wilfried Siewe sagt: „Ich weiß nicht, ob ich das vergessen | |
kann. Ich glaube, ich werde mich immer als Deutscher zweiter Klasse | |
fühlen.“ Nun möchte er gern die Akte einsehen, die das Auswärtige Amt über | |
seinen Fall führt, erhofft sich Aufschluss darüber, was der deutsche Staat | |
tatsächlich für ihn getan hat. „Aber selbst wenn ich nicht als Deutscher | |
zweiter Klasse gesehen wurde, sondern diese Leistung der Standard ist, | |
müsste man sich schon fragen, was diese konsularische Betreuung eigentlich | |
wert ist“, sagt Siewe. „Ich stelle mir einmal vor, einem Biodeutschen | |
passiert das in irgendeinem Land, wo er keine Familie und niemanden hat. | |
Der kann einpacken.“ | |
Langsam findet Wilfried Siewe wieder in sein altes Leben zurück. Er kostet | |
die Zeit mit der Familie aus. Seine Frau ist erneut schwanger. Und seit | |
Juni arbeitet er auch wieder. Sein früherer Arbeitgeber Siemens hat ihn | |
wieder eingestellt, was ihn sehr freut. Dieselbe Abteilung, dieselben | |
Kollegen. Schön, dass du wieder da bist, sagen sie und fragen, wie es ihm | |
denn geht. „Dann kommen die ganzen Erinnerungen wieder hoch.“ | |
Nachts schläft er noch immer sehr schlecht, aber inzwischen schon wieder | |
mehr als drei Stunden. Siewe hofft auf professionelle Hilfe. Man hat ihm | |
eine mehrtägige stationäre Behandlung empfohlen. Nun wartet er auf einen | |
Termin. Ansonsten hat er das Warten längst aufgegeben. „Bis heute hat sich | |
bei mir keiner gemeldet“, erzählt er. „Niemand vom Auswärtigen Amt, kein | |
Politiker, niemand.“ | |
13 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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