# taz.de -- Deutscher in Kamerun inhaftiert: „Warum haut keiner auf den Tisch… | |
> Seit 2019 sitzt Wilfried Siewe in Yaoundé im Knast. In Erlangen wartet | |
> seine Frau Layoko Siewe – und fühlt sich von Deutschland im Stich | |
> gelassen. | |
Bild: Daheim in Erlangen hofft Layoko Siewe auf die Freilassung ihres Ehemanns | |
ERLANGEN taz | An diesem Montag wird Layoko Siewe in der Frühe ihre beiden | |
Kinder in den Kindergarten bringen, sich ins Auto setzen, zur Arbeit fahren | |
und dort mit ihren Kunden telefonieren. Ihre Firma handelt mit allem, was | |
Dentallabore so brauchen. Siewe wird so tun, als sei es ein ganz normaler | |
Arbeitstag. | |
Nur: Während die 37-Jährige in ihrem Büro in Nürnberg sitzt und über | |
Zahntechnik redet, wird [1][der deutsche Ingenieur Wilfried Siewe] in | |
Kameruns Hauptstadt Yaoundé in den Gerichtsaal geführt werden. Ihr Mann. An | |
diesem Montag wird das Gericht sein Urteil sprechen und entscheiden, ob der | |
Leidensweg der Familie Siewe nach mehr als anderthalb Jahren ein Ende | |
findet. | |
„Es kann alles kommen. Das weiß nur Gott“, sagt Layoko Siewe. Natürlich | |
wird sie ihr Smartphone griffbereit haben, damit die Anwälte oder die | |
Familie aus Kamerun sie erreichen können. Aber Hoffnungen? Lieber nicht. | |
„Ich lass das auf mich zukommen. Mit Hoffnungen ist man so verletzlich.“ | |
Sie weiß, wovon sie spricht. In zwei Tagen spätestens sei ihr Mann bei ihr, | |
hätten ihr die Anwälte schon einmal gesagt. „Da war ich so froh. Ich habe | |
Luftballons gekauft, die Wohnung vorbereitet.“ Ein Jahr ist seither | |
vergangen. Und der 43-Jährige sitzt noch immer im Knast. In einer 18 | |
Quadratmeter großen Zelle mit etwa 15 Mithäftlingen. „Nur gut, dass ich den | |
Kindern damals nichts erzählt habe.“ | |
## Schock am letzten Urlaubstag | |
18. Februar 2019. Am Vormittag war die Welt der Familie Siewe noch in | |
Ordnung. Sie hatte gerade zweieinhalb Wochen Urlaub in Kamerun hinter sich. | |
Wilfried Siewe hat die deutsche Staatsangehörigkeit, stammt aber | |
ursprünglich aus Kamerun. Für seine Frau Layoko war es der erste Besuch | |
dort. Sie kommt aus Togo. Nun hatte sie seine Familie kennengelernt. | |
Am späten Abend sollte der Flug zurück nach Deutschland gehen. Wilfried | |
Siewe war morgens schon mal zum Flughafen gefahren, um die | |
Check-in-Formalitäten zu erledigen. Am Nachmittag erwartete ihn seine Frau | |
zurück. Aber er kam nicht. Layoko Siewe wurde wütend. Als er um 19 Uhr | |
anrief, schrie sie ihn an, wo er denn bleibe. Er sagte nur: „Ich hab ein | |
Problem. Ich bin im Kommissariat Nr. 1, ihr müsst kommen.“ | |
Wie groß das Problem war, das Wilfried Siewe tatsächlich hatte, ahnte | |
damals niemand. Wie auch? Siewe war verhaftet worden, als er ein | |
Justizgebäude fotografierte. Dann fand man bei ihm noch ein Buch von | |
Oppositionsführer Maurice Kamto. Und auf dem Mobiltelefon im | |
Whatsapp-Verlauf ein Video von einer Demonstration in Deutschland gegen den | |
kamerunischen Machthaber Paul Biya. Das hatte ein Chatpartner von Siewe | |
geteilt, er selbst war gar nicht auf der Demo. Selbst wenn: Auch unter | |
Biyas autoritärem Regime sind dies noch keine Straftaten. | |
Die Siewes wohnen in einem schlichten dreistöckigen Wohnblock nahe dem | |
Zentrum von Erlangen. Layoko Siewe sitzt am Esstisch im Wohnzimmer, während | |
sie erzählt. Auf dem Boden liegt Kinderspielzeug. Über dem Sofa hängen | |
Bilder aus einer besseren Zeit. Vor sieben Jahren haben sie sich auf einer | |
Hochzeit kennengelernt, zwei Jahre später kam ihr Sohn zur Welt, noch mal | |
zwei Jahre später heirateten sie. Dann folgte die Tochter. | |
## Eine juristische Farce | |
Die dünne Beweislage schien die Behörden in Kamerun nicht weiter zu | |
beeindrucken, sie befanden schlicht, Siewe sei eine Gefahr für die | |
Staatssicherheit. Wie bitte?, fragte Layoko Siewe, ihr Mann habe überhaupt | |
nichts getan. „Wir können auch schreiben, er ist Terrorist, wenn Ihnen das | |
lieber ist“, beschied man sie. | |
Was sich in Kamerun seither abspielte, war juristisch gesehen eine Farce. | |
Für die Betroffenen war es eine Tragödie. Es dauerte fünf Monate, bis | |
geklärt werden konnte, dass Wilfried Siewe nur die deutsche | |
Staatsangehörigkeit hat. Erst dann durften im Juli 2019 deutsche | |
Botschaftsangehörige zu ihm. | |
Kurz darauf kam es zu einer Revolte im Gefängnis. Siewe war zwar nicht | |
involviert, aber am nächsten Tag verschwunden. Erst nach zwei Wochen | |
durften ihn die Diplomaten wieder besuchen. Siewe hatte eine Platzwunde am | |
Kopf, erzählte ihnen, er sei am Tag nach der Revolte von Justizbeamten | |
geschlagen worden. Er habe extrem viel Blut verloren, drei Tage lang nichts | |
gegessen, die Wunde habe man später ohne Betäubung genäht. „An dem Tag“, | |
sagt Layoko Siewe, „wäre ich fast gestorben.“ | |
Nun standen neue Vorwürfe im Raum. Er habe Mithäftlinge bestohlen, hieß es. | |
Als die angeblichen Opfer dies bestritten, erwiesen sich die Staatsanwälte | |
erneut als flexibel: Dann habe er eben versucht, im Zuge der | |
Gefangenenmeuterei zu fliehen, behaupteten sie. Etwa zur selben Zeit verlor | |
der Elektrotechniker seinen Job daheim in Erlangen. Er war ja nicht mehr | |
zur Arbeit gekommen. | |
## „Ein cooler Typ“ | |
„Ein cooler Typ“, schwärmt Layoko Siewe, wenn sie über ihren Mann spricht. | |
Immer behalte er die Ruhe. Selbst als sie ihn in der ersten Zeit nach der | |
Verhaftung im Gefängnis besucht habe, sei er ganz ruhig gewesen. „Bist du | |
sicher, dass alles okay ist?“, fragte sie ihren Mann. „Ja, ja“, beruhigte | |
er sie, „es ist alles okay. Es ist eine schwierige Zeit, aber wir werden | |
das schaffen.“ Und dann beschwor er sie, mit den Kindern nach Deutschland | |
zurückzugehen. Seit dem 24. März 2019 hat sie ihn nicht mehr gesehen. | |
Die Prozesse wegen der Ereignisse rund um die Revolte dauerten nicht lange. | |
Während Wilfried Siewe noch immer auf den Beginn des eigentlichen | |
Verfahrens wartete, wurde er wegen seines angeblichen Fluchtversuchs schon | |
nach wenigen Wochen verurteilt, zu drei Jahren Haft. | |
Nur eine Woche später [2][erließ Präsident Biya eine Amnestie] für | |
politische Gefangene, darunter auch Oppositionsführer Kamto. Die | |
ursprünglichen Vorwürfe an Siewe waren damit vom Tisch, die Haftstrafe | |
wegen Fluchtversuchs fiel allerdings nicht darunter. Deshalb läuft nun seit | |
September 2019 ein Berufungsverfahren. | |
Nachdem Prozesstermine anfangs immer wieder abgebrochen wurden, nahm das | |
Verfahren seit Sommer Fahrt auf. Diesmal wurde Wilfried Siewe sogar | |
angehört. Er versuchte es mit Logik: Warum solle er so blöd sein, aus dem | |
Gefängnis zu fliehen? Um nach Hause zu kommen, brauche er seinen Reisepass; | |
durch eine Flucht hätte er sich doch jede Chance auf eine Rückkehr verbaut. | |
## Urteil am Montag? | |
Nun soll das Urteil fallen. Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten: | |
Freispruch. Entlassung aus der Haft, weil Siewe schon einen Großteil der | |
Strafe verbüßt hat. Oder die vollen drei Jahre. Theoretisch. „Ich hoffe, | |
das es nicht noch eine böse Überraschung gibt“, sagt seine Frau, „und die | |
irgendetwas vorbereiten. Dann heißt es plötzlich: Er hat gesagt, dass der | |
Himmel blau ist, und deswegen muss er noch zwei Jahre länger im Gefängnis | |
bleiben.“ | |
Natürlich gibt es da noch diese andere große Frage: Warum? Warum ihr Mann? | |
Layoko Siewe hat eine Theorie: Die Regierung habe sich ihren Mann | |
herausgepickt, um ein Exempel zu statuieren. Mit etwas Fantasie ließe sich | |
eine Verbindung zu den Demonstranten herstellen, die nach der | |
Präsidentenwahl 2018 in Europa auf die Straße gingen und Paul Biya | |
Wahlbetrug vorwarfen. Ihnen gelte die eigentliche Botschaft: Wartet nur, | |
bis ihr nach Kamerun kommt, dann geht es euch genauso. | |
Was Layoko Siewe besonders schmerzt: dass der deutsche Staat nicht | |
öffentlich für seinen Bürger Wilfried Siewe einsteht und Druck auf Kamerun | |
ausübt. „Ich habe nicht verstanden, warum Deutschland nicht auf den Tisch | |
gehauen und gesagt hat: So geht es nicht.“ | |
An alle erdenklichen Stellen hat Layoko Siewe sich mittlerweile schon | |
gewandt, Antworten bekommen aus dem Auswärtigen Amt, dem Kanzleramt, aus | |
Schloss Bellevue – eine nichtssagender als die andere. Man könne ihr | |
versichern, hieß es beispielsweise aus dem Kanzleramt, „dass alle | |
zuständigen Stellen ihr Bestes tun, um eine Lösung für diesen leider sehr | |
schwierigen Fall zu finden“. | |
## Auswärtiges Amt hält sich zurück | |
Das Auswärtige Amt will sich auch auf taz-Anfrage nicht weiter äußern, | |
lässt nur vernehmen, dass die Botschaft in Yaoundé Siewe konsularisch | |
betreue und beobachtend an den Verhandlungen teilnehme. „Das Auswärtige Amt | |
und die Botschaft stehen hierzu auch mit den kamerunischen Behörden in | |
Kontakt.“ Das ist zu wenig, findet Layoko Siewe. „Wie ist der Löwe zur | |
Katze geworden?“ | |
Tatsächlich gibt sich das Auswärtige Amt nicht immer gleichermaßen | |
wortkarg. Gut in Erinnerung ist der Fall Deniz Yücel. Noch im Juli beklagte | |
etwa Außenminister Heiko Maas, dass sich immer noch zahlreiche Deutsche in | |
türkischer Haft befanden. „Wir wollen, dass diese Fälle alle gelöst werden. | |
Solange das nicht der Fall ist, steht das entgegen einer Normalisierung des | |
Verhältnisses der Türkei gegenüber uns wie auch der Europäischen Union | |
insgesamt.“ Zu Wilfried Siewe war von Maas dagegen noch nichts zu hören. | |
„Ich weiß nicht, ob ihn der Fall überhaupt interessiert“, sagt Layoko | |
Siewe. Und: „Wir fühlen uns im Stich gelassen.“ | |
Seit ihr Mann im Gefängnis ist, hat Layoko Siewe Schlafstörungen. Innerhalb | |
kürzester Zeit hat sie zehn Kilo abgenommen. Wilfried Siewes Tochter ist | |
jetzt zweieinhalb Jahre alt. Schon mit 18 Monaten hat sie zu sprechen | |
begonnen. Einer ihrer ersten Sätze: „Nicht weinen, Mama!“ | |
Update (26.10.2020): Die Entscheidung über das Urteil wurde am Montag | |
erneut verschoben. Sie wird nun wahrscheinlich am Donnerstag, den 29.10., | |
fallen. | |
26 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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