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# taz.de -- Autonomes Fahren in China: Robo-Taxis für alle
> China fördert selbständig agierende Fahrzeuge mit Geld und flexiblen
> Gesetzen. Eigene Unternehmen sollen die Konkurrenz aus den USA überholen.
Bild: 27 chinesische Städte haben Teststrecken für selbstfahrende Fahrzeuge f…
Mit seinen fensterlosen Hallen, verlassenen Gehwegen und verrosteten
Autokarosserien erinnert das Areal ein wenig an ein bankrott gegangenes
Filmstudio. Nebel und Nieselregen sorgen für zusätzliche Tristesse, am
Horizont zeichnen sich unverputzte Häusersiedlungen ab. Hier in Guiyang,
der Hauptstadt der im Südwesten Chinas gelegenen Provinz Guizhou, wird die
Zukunft getestet. Hier erprobt der staatsnahe Busbauer Cherry & Wanda das
Fahren ohne Fahrer, die Regierung unterstützt das mit viel Geld.
Mit breitem Lächeln begrüßt Li Hongda – blaue Funktionärsjacke, rotes
Parteizeichen am Revers – die ausländischen Journalisten. „Steigen Sie
ein“, sagt Li und bittet in die neueste Errungenschaft der Chinesen: einen
autonomen Stadtlinienbus, der eigenständig durch die Teststrecke
manövriert. „Wir können zwar nie wissen, welche Gesetzesregulierungen in
der Zukunft kommen werden, aber bis auf Weiteres investieren wir alle
unsere Ressourcen in einen möglichst fortgeschrittenen autonomen Bus“, sagt
der Manager.
Bislang wirken die Versuche hier noch etwas holprig: Der Bus fährt nur eine
primitive Teststrecke ab, die Geschwindigkeit ist gedrosselt, und zur
Sicherheit bleibt stets ein Fahrer hinterm Lenkrad.
In der Hauptstadt ist man allerdings schon weiter. 3.000 Kilometer nördlich
von dem tristen Testgelände in Guiyang hat Peking bereits im Dezember 2017
als landesweit erste Stadt damit begonnen, selbstfahrende Pkws auf
öffentlichen Straßen zu testen. Schon damals wurden Abschnitte von 105
Kilometern für Testfahrten freigegeben. Da die Regulatoren den Autobauern
eine strenge Dokumentation abverlangen, lässt sich der Fortschritt der
Branche gut in Zahlen widerspiegeln: 2019 fuhren allein in Peking
fahrerlose Autos über 1 Million Kilometer ab. 2020 wurden sie zudem im
Kampf gegen die Covid-19-Pandemie eingesetzt, etwa als Essens- und
Medizinlieferant für das Haidian-Krankenhaus.
Mittlerweile haben insgesamt 27 chinesische Städte Teststrecken
freigegeben, auf denen mehr als 70 heimische und internationale Firmen mit
einer Flotte von rund 600 selbstfahrenden Autos experimentieren. Das Ziel
der Regierung ist es, bis 2025 flächendeckend Robo-Taxis und fahrerlose
Lkws kommerzialisiert zu haben. Die für nächsten Februar geplanten
Olympischen Winterspiele in Peking sollen als Schaubühne dienen, um der
Welt die technologischen Fortschritte zu präsentieren.
Insgesamt steht die Branche jedoch noch vor massiven Herausforderungen. Im
Autonomous Vehicles Readiness Index, einer jährlich vom weltweiten
Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG herausgegebenen Studie, rangiert China
unter allen 30 untersuchten Ländern lediglich auf dem 20. Platz. Darin
werden zwar die rasanten Fortschritte der Volksrepublik gelobt, doch
gleichzeitig wird der chaotische Verkehr auf chinesischen Straßen
bemängelt: „Das macht es komplizierter und herausfordernder für autonomes
Fahren“, sagt Philip Ng von KPMG China. Letztendlich bräuchte es wohl auf
chinesischen Autobahnen eine eigene Spur ausschließlich für fahrerlose
Pkws.
## Von der Suchmaschine zum selbstfahrenden Auto
Führender Player auf dem chinesischen Markt ist mit deutlichem Abstand das
Internetimperium Baidu, welches zunächst als Onlinesuchmaschine à la Google
groß geworden ist. Bereits im letzten Jahr hat Baidu erste Robo-Taxis auf
Pekings Straßen eingeführt. Zunächst mutete dies mehr wie ein PR-wirksames
Technikgadget an: Interessierte mussten jede Fahrt zunächst reservieren und
wurden stets von einem menschlichen Chauffeur hinterm Lenkrad abgesichert.
Seit Mai wurde der Dienst ausgeklügelter: Erstmals werden die Robo-Taxis
für als kommerzieller Service zahlende Kunden angeboten, und statt eines
Kontrollfahrers wacht nur mehr ein menschliches Auge via Remotezugriff.
Bislang sind die Fahrzeuge nur in einem bestimmten Bezirk innerhalb der
Hauptstadt zugelassen.
Derzeit betreibt Baidu 200 autonome Fahrzeuge, darunter eine kommerzielle
Busstrecke im westchinesischen Chongqing. Bis zum Ende des Jahres 2023
möchte der Konzern 3.000 Robo-Taxis auf die Straßen von 30 chinesischen
Städten gebracht haben. Die Zentralregierung in Peking hat das Ziel
vorgegeben, dass bis 2025 die Hälfte aller verkauften Autos mit
selbstfahrender Technik ausgestattet sein soll.
„Wir sehen China eigentlich sehr gut entwickelt beim Thema autonomes
Fahren“, sagt Stefan Bratzel. Er ist der Direktor des Center of Automotive
Management der Fachhochschule der Wirtschaft, die in Nordrhein-Westfalen
angesiedelt ist. Weltweit führe zwar das Silicon Valley, insbesondere
Googles Tochterfirma Waymo. Doch nach den großen amerikanischen Playern
folgen schon bald Baidu und das in Guangzhou ansässige Pony.ai. „Ein großer
Vorteil, den chinesische Unternehmen haben, ist die starke Unterstützung
der Regierung“, sagt Stefan Bratzel. Damit meint er nicht nur die
flächendeckenden Subventionen, sondern vor allem eine offene und rasch
angepasste Gesetzgebung. Zudem gibt es stets den politischen Druck auf die
meist staatsnahen Betriebe, im Ziel der nationalen Interessen miteinander
zu kooperieren und Ressourcen zu bündeln.
Die Lokalregierungen in China wollen ihre Regionen als Wirtschaftsstandorte
profilieren. „Autonomes Fahren ist die Zukunft“, sagt etwa der
Regierungsbeamte Sun Wen von der Verwaltung in Nanking, Hauptstadt der
ostchinesischen Provinz Jiangsu. „Wir sind sehr erpicht darauf, die
Technologie einzusetzen, um das Leben der Leute zu verbessern“, sagt Su
Wen. Man verspreche sich vor allem mehr Sicherheit und eine effizientere
Verkehrsplanung. Sun geht davon aus, dass das Gros an Bussen im
öffentlichen Nahverkehr bis 2030 vollautomatisiert fahren werde.
## Ohne Lenkrad über die Insel
Unweit von Nankings futuristischem Stadtzentrum entstand auf einer Insel im
Fluss Jangtse eine der ersten Teststrecken des Landes. Auf
Straßenabschnitten von über 15 Kilometern, assistiert von 500
5G-Basisstationen, chauffieren unbemannte Busse des Start-ups WeRide
täglich Hunderte Angestellte zwischen den gläsernen Bürogebäuden hin und
her. Bis zu 40 Stundenkilometer dürfen die himmelblauen Vehikel bereits
fahren, sie kommen ohne eingebautes Lenkrad oder Gaspedal aus. Das System
fährt bereits komplett selbstständig, nur müssen die Straßen zuvor für die
Software kartografiert werden.
„Wir wollen, dass die Regierung unsere Busse einsetzt – etwa in
Industrieparks oder an touristischen Orten“, sagt Wang Yan, die für WeRide
Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Ihr Unternehmen hat 400 Angestellte, fast
alle sind Ingenieure. Eine weitere große Anwendungsnische sieht sie bei den
„letzten drei Kilometern zwischen U-Bahnstation und Haustür“, für die
künftig autonome Busse eingesetzt werden sollen.
Derzeit arbeitet die chinesische Regierung noch an einer landesweiten
Gesetzgebung für autonomes Fahren. Bis dahin sind die Lokalregierungen
jedoch implizit dazu angehalten, im rechtlichen Graubereich die Technologie
mit aggressivem Testen weiter voranzutreiben – vornehmlich, um im
wirtschaftlichen Wettkampf mit den USA die Pole Position zu erhaschen.
In der ostchinesischen Provinz Zhejiang etwa wird an einem
Autobahnabschnitt gearbeitet, wo autonome Pkws bis zu 150 Kilometer pro
Stunde fahren dürfen und gleichzeitig via Fernladegeräte, die auf der
Straßenoberfläche installiert werden, ihre Batterien aufladen können.
Solche Vorstöße werden allein schon deshalb von der Regierung gefördert, um
die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen: China ist der größte
Automarkt der Welt, hat es aber nie geschafft, bei Verbrennungsmotoren
international konkurrieren zu können.
21 Jul 2021
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Auto-Branche
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