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# taz.de -- Hochwasserkatastrophe in Henan: Zehntausende bauen Hilfsliste auf
> Online finden Flutbetroffene in China Unterkünfte und Notfallnummern.
> Gleichzeitig werden kritische Nachrichten aus dem Netz gelöscht.
Bild: Bewohner von Zhengzhou kämpfen sich durch die Fluten
Peking taz | Augenzeugen aus [1][Zhengzhou] schildern den Dienstagabend
wie ein Erweckungserlebnis aus dem alten Testament: Der Himmel habe sich in
ein gleißendes Weiß gehüllt, ehe apokalyptische Regenfälle auf die
10-Millionen-Metropole hereinbrachen. Wer die schiere Dimension der
Naturkatastrophe aus Zentralchina begreifen möchte, sollte sich eine
nüchterne Kennzahl der Meteorologen vor Augen führen: Zu Stoßzeiten sind
pro Stunde 200 Millimeter Niederschlag auf die Stadt geprasselt – fast ein
Drittel der gesamten Regenfälle eines durchschnittlichen Jahres.
Dementsprechend dominierten [2][die Fluten in der zentralchinesischen
Provinz Henan] nicht nur die Nachrichten, sondern auch die Tischgespräche
innerhalb der Volksrepublik – und die sozialen Medien. Doch für die
Betroffenen aus der Region selbst diente die Kommunikation, aufgrund von
flächendeckenden Stromausfällen zum Luxusgut geworden, nicht nur zum
Meinungsaustausch, sondern war vielmehr ein hocheffizientes Werkzeug für
den Überlebenskampf.
Denn die Technologie, gepaart mit einem unglaublichem Maß an Mobilisierung
und Selbstorganisation vieler Chinesen, hat bei der Rettung vieler
Menschenleben eine wichtige Rolle gespielt. Ein Student in Zhengzhou hat
mit einem simplem „Tencent Dokument“, dem chinesischen Äquivalent zu Google
Sheet, den Stein ins Rollen gebracht. In Windeseile bauten Zehntausende
eine riesige, millionenfach aufgerufene Hilfsliste mit notwendigen
Informationen aus: von Telefonnummern der Bergungsteams über die nächsten
Schutzunterkünfte bis hin zu öffentlichen Stationen zum Laden von
Smartphones.
Die bisher veröffentlichten Zahlen der Behörden sind dennoch ernüchternd.
Sie sollten allerdings nur als vorläufige Schätzung einer weiter
anhaltenden menschlichen Tragödie verstanden werden: 51 Tote, mindestens
200.000 Evakuierte und ein wirtschaftlicher Schaden von umgerechnet knapp
achteinhalb Milliarden Euro.
## Die Schattenseiten des totalitären Zensurapparats
Die Wassermassen haben nicht nur ganze Landstriche in reißende Flüsse
verwandelt, sondern wieder einmal die Schattenseiten eines totalitären
Zensurapparats hervorgebracht. Unzählige Internetnutzer wurden von den
Behörden einfach aus dem Diskurs gelöscht. Wie etwa ein Anwohner aus
Zhengzhou, der nach dem Fluten seines Bezirks wütend zum Smartphone griff:
„Die Dämme sind gebrochen, die Stadt geflutet. Wir wollen die Wahrheit
hören und nicht für Narren gehalten werden!“, schrieb er auf der
Onlineplattform Wechat. Seine Aussage wurde zur sich selbst erfüllenden
Prophezeiung: Die Autoritäten haben das Posting kurzerhand entfernt.
Doch trotz der kontrollwütigen Zensoren ist das chinesische Netz voll von
Zehntausenden Kurzvideos und Beiträgen von Durchschnittsbürgern. Doch nicht
nur die staatlich kontrollierten Medien, sondern auch der Algorithmus der
Plattformen spülen fast ausschließlich heroische Rettungsgeschichten in die
Timeline der User. Hier lässt sich der Mechanismus beobachten, den Chinas
Staatschef Xi Jinping die „Lenkung der öffentlichen Meinung“ nennt: Dem
Diskurs soll auch in solch schweren Zeiten stets ein optimistischer,
hoffnungsvoller Spin verpasst werden.
Und tatsächlich gab es solche Geschichten in der Tragödie zur Genüge: Das
Baby, das nach 24 Stunden lebendig aus den Ruinen geborgen werden konnte.
Ein 45-jähriger Mann, der eigenhändig fünf Personen aus den reißenden
Fluten gerettet hat. Oder das Studentenorchester am geschlossenen Bahnhof
von Zhengzhou, das scheinbar spontan ein Konzert für die Wartenden
aufgeführt hat: „Ode an das Mutterland“.
Viele der kritischen Fragen hingegen sind längst aus dem chinesischen Netz
verbannt. Etwa inwieweit die Dammbrüche rund um Zhengzhou die
Überschwemmungen verschlimmert haben? Ob das Frühwarnsystem wirklich
ausreichend gegriffen hat? Und wie es sein kann, dass das U-Bahn-System, in
dem mindestens ein Dutzend Chinesen ihr Leben verloren, nicht rechtzeitig
geschlossen wurde?
Die vielleicht offensichtlichste Frage hat Staatschef Xi Jinping am Freitag
höchstpersönlich provoziert: Da nämlich publizierten die Propaganda-Organe
seinen ersten Besuch in Tibet seit 2011. Die streng choreografierte
Jubelshow wirkte doppelt befremdlich. Denn während die
drittbevölkerungsreichste Provinz des Landes die schlimmsten Regenfälle
seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erleidet, bleibt der mächtigste Mann
Chinas fern.
23 Jul 2021
## LINKS
[1] /Flutkatastrophe-in-China/!5781896
[2] /Flutkatastrophe-in-China/!5781896
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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