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# taz.de -- Flutkatastrophe in China: Der Klimawandel kennt keine Zensur
> Drei Tage Starkregen fordern Dutzende Tote in der chinesischen Provinz
> Henan. Doch Pekings Staatsmedien zeigen lieber positive Bilder.
Bild: Wenn in drei Tagen so viel Niederschlag fällt wie sonst im ganzen Jahr: …
Peking taz | Wer die schockierenden Videos auf Chinas sozialen Medien
gesehen hat, kann nur darüber staunen, dass die Behörden bislang lediglich
25 Tote bestätigt haben. Im zentralchinesischen Zhengzhou haben sich
Straßen zu reißenden Fluten verwandelt, ganze Bezirke waren vom Stromnetz
abgeschnitten, mindestens auch ein Krankenhaus. Ein Fernzug musste 40
Stunden lang auf mittlerer Strecke anhalten und die Passagiere ohne
Nahrungsmittelversorgung auskommen.
Die tragischsten Szenen ereigneten sich unter der Erde. Am Dienstagabend
fluteten die Rekordniederschläge zunächst eine U-Bahn-Station im Nordwesten
der Fünf-Millionen-Metropole – und wenig später auch mehrere Züge der erst
vor wenigen Jahren erbauten Linie 5. Die Wassermassen reichten den
eingeschlossenen Fahrgästen bis zur Brust.
Eine Überlebende schildert auf dem sozialen Netzwerk Weibo, wie knapp sie
mit dem Leben davongekommen ist: „Das Wasser ist durch die Risse in der Tür
reingeströmt. Es war das erste Mal, dass ich mich dem Tod nahe gefühlt
habe.“ Einige Passagiere seien aufgrund des Sauerstoffmangels ohnmächtig
geworden. „Ich habe am Ende nur mehr meiner Mutter eine Nachricht
geschickt, dass ich sterben würde“, heißt es in dem Beitrag, der wenige
Stunden später von den Zensoren gelöscht wurde.
## Unwetter werden immer monströser
Seit Samstagnacht kam es in der Provinz Henan zu den größten jemals
gemessenen Niederschlägen. In drei Tagen fiel so viel Regen wie sonst
während eines Jahres. Mindestens 140.000 Personen mussten evakuiert werden.
Chinas Staatsführer Xi Jinping hat die Fluten „sehr besorgniserregend“
genannt und Militär in die Region geschickt. Die Truppen sprengten unter
anderem Teile eines Dammes, um einen Kollaps zu vermeiden.
Überschwemmungen gehören in weiten Teilen Chinas zur Sommerroutine. Auch
wenn die Regierung die Flüsse des Landes mit Dämmen und
Entwässerungssystemen unter Kontrolle zu bringen versucht, werden die
Ausmaße der Unwetter immer monströser: Im Sommer 2020 kamen bei
Überschwemmungen in China mehrere Hundert Menschen ums Leben. Der
Drei-Schluchten-Staudamm – einer der größten weltweit – hatte noch nie mit
einem so hohen Wasserstand zu kämpfen.
Henan zählt eigentlich nicht zu den traditionellen Hochrisikogebieten. Das
Flachland dort ist so etwas wie die Kornkammer der Volksrepublik. Mit fast
100 Millionen Einwohnern zählt die landwirtschaftlich geprägte,
wirtschaftlich rückständige Provinz zu den einwohnerreichsten Chinas. Viele
betrachten das Gebiet auch als Wiege der Han-chinesischen Zivilisation.
In den offiziellen Staatsmedien wird der historische Regenfall vor allem
mit einem Taifun erklärt, der derzeit von Osten auf Chinas Küste zusteuert.
Laut Wetterbehörde schickte der Taifun Luftströme in Richtung Henan, die
sich dort in Niederschlägen auflösten.
## Selbst Überlebende werden zensiert
Debatten über Folgen des Klimawandels hingegen finden derzeit nur am Rande
statt. Dabei liegt es auf der Hand, hinter den extremen Unwettern in diesem
Jahr System zu erkennen – vom Hitzerekord in Kanada über den Waldbränden in
Sibirien bis hin zu den Jahrhundertfluten in Westdeutschland.
Die humanitäre Katastrophe in Henan bringt nicht nur die Risiken des
Klimawandels ans Tageslicht, sondern auch die [1][Verlogenheit der
chinesischen Zensur], die selbst Beiträge von Überlebenden löscht. Die
KP-Zeitung Renmin Rebao hat die Unwetter auf seiner Titelseite am Mittwoch
nicht einmal erwähnt.
Am Dienstag beschwerte sich der renommierte Journalistik-Professor Zhan
Jiang auf Weibo, warum der lokale TV-Sender in Henan im Vorabendprogramm
Seifenopern zeige, statt über die Fluten zu berichten. Das Staatsfernsehen
berichtete dann am Mittwoch zwar ausgiebig, jedoch stets mit Fokus auf die
angeblich erfolgreichen Bergungsarbeiten. Die Todeszahlen wurden nur am
Rande erwähnt, Kritik an den Behörden war nicht einmal im Ansatz zu
vernehmen.
Dies ist umso erstaunlicher, als dass ebenjene Staatsmedien noch mit einer
Mischung aus Schadenfreude und Zynismus auf die [2][Fluten in
Westdeutschland] geblickt haben. Oder, wie es der Bloomberg-Journalist
Vincent Lee – er hat lange Jahre in China gelebt – pointiert auf Twitter
schreibt: „Bestimmte Personen, die im übertragenen Sinne auf den Gräbern
der deutschen Opfer tanzten, sind nun seltsam still.“
Gemeint ist damit wohl vor allem Hu Xijin, Chefredakteur der
ultranationalistischen Global Times. Der hatte geschrieben, dass sich „vom
Gebäudekollaps in Miami bis zu den Fluten in Deutschland der Antihumanismus
des Westens manifestiert“ habe. Würden sich ähnliche Mängel in China
ereignen, dann wären die verantwortlichen Regierungsbeamten längst bestraft
worden, behauptete er.
Die Scheinheiligkeit, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist
offensichtlich. Doch bei vielen Chinesen verfangen solche Töne, denn sie
haben aufgrund der allumfassenden Zensur keinen Zugang zu freien
Informationen.
21 Jul 2021
## LINKS
[1] /Pressefreiheit-in-China/!5764057
[2] /Hochwasserkatastrophe-rund-um-Aachen/!5781673
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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