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# taz.de -- Außerschulischer Bildungssektor in China: Ende des Nachhilfebooms
> Chinas Vorgehen gegen Nachhilfeunternehmen vernichtet Milliarden an
> Unternehmensgewinnen. Doch es soll das Bildungssystem gerechter machen.
Bild: Lebensverändernder Tag: Schüler*innen stehen Schlange, um eine Schule f…
Peking taz | Der Schock an den Börsen war derart massiv, dass Experten von
der Hinrichtung einer boomenden Branche sprechen: Sämtliche Aktien von
chinesischen Nachhilfefirmen haben seit dem Wochenende mindestens die
Hälfte ihres Werts verloren. Am Samstag hatten Chinas Staatsmedien die
neuen Regularien für die Nachhilfebranche, einen der erfolgreichsten
Wirtschaftszweige des Landes, angekündigt.
Demnach sind außerschulische Bildungsangebote künftig während Ferienzeiten
und an Wochenenden generell verboten. Vor allem aber soll Nachhilfe kein
Geschäft mehr sein: Neue Konzerngründungen sind künftig untersagt, bereits
bestehende Firmen müssen sich als „gemeinnützig“ registrieren lassen. Im
chinesischen Recht bedeutet dies vor allem, dass die Gewinne nicht an die
Firmenbesitzer fließen. Zudem dürfen die Konzerne generell kein Kapital
mehr lukrieren, ergo auch nicht wachsen.
Aus kapitalistischer Sicht mag es kontraproduktiv erscheinen, in solch
radikalem Ausmaß Unternehmensgewinne zu vernichten. Doch tatsächlich ist
das Vorgehen Pekings durchaus konsistent. Denn die Zerschlagung des
Nachhilfesektors greift ein real existierendes Problem mit weitreichenden
Folgen auf.
In einer E-Mail-Notiz der Wirtschaftsberatung Trivium China heißt es: Der
rasant wachsende Nachhilfesektor habe teilweise öffentliche Schulen als
Hauptanbieter von Bildung abgelöst, ohne jedoch der behördlichen Aufsicht
unterstellt zu sein. Zudem hätten Nachhilfeunternehmen gezielt die Angst
der Eltern geschürt, dass ihre Zöglinge im Hamsterradrennen um die besten
Uni- und Arbeitsplätze nicht mithalten können, um ihr Geschäft anzukurbeln.
## Lebensbestimmender Test
Denn der Lebensweg junger Chinesen entscheidet sich maßgeblich beim
sogenannten Gaokao; der Universitätseingangsprüfung, die jeder Oberschüler
für eine Tertiärbildung absolvieren muss. Wer den mehrtägigen Test mit
einer guten Note abschließt, kann auf eine Einschreibung an einer der
renommierten Unis in Peking oder Schanghai hoffen.
Daran sind nicht nur eine gute Ausbildung geknüpft, sondern auch
Karrierenetzwerke sowie der Zugang zum sogenannten Hukou – dem Bürgerrecht,
das es erlaubt, am Sozialsystem einer Stadt zu partizipieren. Kurzum: Eine
Prüfung bestimmt nachhaltig über das gesamte Leben.
Dementsprechend massiv ist der Konkurrenzkampf um die begehrten Uniplätze.
Er führt unter anderem dazu, dass 16-jährige Chinesen oftmals eine
Arbeitslast wie durchschnittliche Vorstandschefs von DAX-Unternehmen
stemmen. Und laut Angaben der Chinese Society of Education nähmen in den
Metropolen Peking, Schanghai, Guangzhou und Shenzhen rund sieben von zehn
Schülern bis zur 12. Klasse Nachhilfeunterricht in Anspruch.
Das hat wiederum massive Auswirkungen auf die öffentlichen Schulen: Die
qualifiziertesten Lehrer in China sind längst in den Nachhilfemarkt
abgewandert, weil es dort die sattesten Löhne zu holen gibt. Nicht zuletzt
bestimmt dadurch immer stärker das Einkommen der Eltern über die
Bildungschancen der Zöglinge.
## Südkorea hat ähnliche Probleme
Das benachbarte Südkorea hat mit einem ähnlich ausufernden Nachhilfemarkt
zu kämpfen. Doch bislang sind etliche Regierungen trotz unzähliger
Reformversuche daran gescheitert, dessen Macht zu beschneiden. Denn jede
Maßnahme wird zugleich mit massiven Protesten besorgter Eltern begleitet,
die Nachteile für die Bildung ihrer Kinder befürchten. Chinas Staatsführung
kann hingegen autoritär regieren, ohne auf innere Checks and Balances
achten zu müssen.
Letztendlich handelt Peking aus langfristigem ökonomischem Kalkül. Laut der
staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua werden die neuen Regularien mit dem
[1][demografischen Wandel] begründet: Die hohen Bildungskosten seien die
größte Hürde dafür, mehr als ein Kind großziehen zu wollen. Und die
niedrigen Geburtenraten wertet Pekings Staatsführung als die [2][größte
Bedrohung für den ökonomischen Aufstieg] der Volksrepublik.
Dabei setzen die Maßnahmen vor allem bei den Symptomen eines
gesellschaftlichen Übels an. Dessen Ursachen bleiben unangetastet. Die
reichen Eltern der chinesischen Oberschicht werden wohl andere – und auch
illegale – Wege finden, um ihren Kindern weiterhin einen Startvorsprung
beim gesellschaftlichen Hamsterradrennen zu verschaffen.
28 Jul 2021
## LINKS
[1] /Ergebnis-der-Volkszaehlung-in-China/!5770948
[2] /Folgen-der-Ein-Kind-Politik-in-China/!5074727
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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China
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