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# taz.de -- Klimapolitik und Preise: Klimaschutz ist kein Ponyhof
> Die Senkung der CO2-Emissionen mutiert im Wahlkampf zum Wohlfühlthema.
> Dass Strom und manches andere teurer wird, fällt unter den Tisch.
Bild: Die Windkraftanlagen am Oermter Berg produzieren nachhaltigen Ökostrom
Macht die Politik jetzt wirklich Ernst mit dem Klimaschutz? Die Akteure der
Energiewirtschaft zumindest glauben daran. Erkennbar ist das an der Börse,
wo CO2-Zertifikate gehandelt werden.
Unternehmen müssen für jede Tonne des Treibhausgases, das sie in die Luft
blasen, ein solches erwerben. Den Preis bestimmen Angebot und Nachfrage. So
bekommen die CO2-Budgets, die noch emittiert werden dürfen, einen
sichtbaren Preis.
Weil nun jedes politische Bekenntnis zum Klimaschutz eine weitere
CO2-Verknappung wahrscheinlicher macht, steigt der Preis des
Treibhausgases seit Monaten. Anfang Mai überschritt er erstmals in der
Geschichte die Marke von 50 Euro je Tonne, aktuell schwankt er zwischen 52
und 54 Euro. Da an Börsen auch Erwartungen gehandelt werden, lässt die
Kurve nur einen Schluss zu: Die Energiewirtschaft geht davon aus, dass die
Politik in Europa die zulässigen CO2-Budgets weiter beschneiden und damit
den Druck auf die CO2-Emittenten weiter verschärfen wird.
Der CO2-Preis ist stets das beste Stimmungsbarometer der klimapolitischen
Lage. Aber natürlich ist er weit mehr als eine fiktive Rechengröße. Der
CO2-Preis schlägt erheblich auf den Strommarkt durch, weil nach wie vor die
fossilen Kraftwerke und ihre Kosten den Terminmarkt der Börse prägen.
Entsprechend sind dort die Notierungen im Schlepptau des CO2-Preises
deutlich gestiegen. Wer zuletzt Strom kaufte zur Lieferung im Jahr 2022,
musste gut 70 Euro pro Megawattstunde bezahlen – 50 Prozent mehr als zu
Jahresbeginn.
## Hohe Ziele, schlichter Geist
Den Anstieg der Strompreise kann man nun gut oder schlecht finden – er ist
vor allem logisch. Denn wo man die CO2-Budgets einer Volkswirtschaft
verknappt, muss laut Marktgesetzen zwangsläufig der Preis der Emissionen
steigen. Und damit steigt auch der Preis für alle Waren und
Dienstleistungen, deren Entstehung mit CO2-Emissionen verbunden ist – sei
es nun der Strom aus dem Netz oder sei es (mitunter mit Zeitversatz) ein
beliebiges Produkt aus dem Laden.
So weit, so banal. Doch nun wird es politisch: Man sollte sich genau diesen
Zusammenhang stets vor Augen halten. Denn wenn in Talkshows und auf Podien,
in Kommentaren und Twitter-Blasen vom Klimaschutz die Rede ist, stehen die
Forderungen nach weiteren Beschränkungen des CO2-Budgets in einem
ökonomisch luftleeren Raum.
Es klingt dann so, als bedürfte es allein eines weisen Beschlusses des
Bundestags oder der EU, und schon wäre die Welt gerettet. Als wären die
Volkswirtschaften damit im Jahr 2050, 2045, vielleicht auch schon 2040 oder
2035 – wer bietet weniger? – wie von Zauberhand „klimaneutral“.
Von diesem schlichten Geist ist auch das [1][jüngste Klimaschutzgesetz]
geprägt. Die Bundesregierung reduziert auf geduldigem Papier selbstgefällig
die nationalen CO2-Emissionen, mogelt sich aber zugleich um die Frage
herum, wie sie das zu erreichen gedenkt. Konkretes soll vor der Wahl nicht
diskutiert werden, Klimaschutz muss Wohlfühlthema bleiben.
## Die Ehrlichkeit der Preise
Allein der Emissionshandel offenbart die Zusammenhänge gnadenlos. Im
Strommarkt wird im Herbst, wenn die Versorger traditionell ihre neuen
Preise kundtun, die Klimaschutzpolitik automatisch auf die Stromrechnungen
durchschlagen. Das ist folgerichtig; Ökonomie kann unbarmherzig ehrlich
sein.
Doch dies gilt nicht in allen Sektoren. Beim Preis von Benzin und
Heizenergie gibt es diese Ehrlichkeit per Automatismus bisher nicht. Diese
Sektoren unterliegen nicht dem Emissionshandel, hier wird eine CO2-Steuer
politisch gesetzt. Daher dümpelt sie bei 25 Euro pro Tonne. Das ist viel zu
niedrig, um die gesteckten Reduktionsziele zu erreichen.
Ein mit den politischen Zielen vereinbarer Wert müsste auch für Benzin und
Heizenergie wohl deutlich über 50 Euro je Tonne liegen. Doch davon spricht
man in der Politik nicht gern – und preist lieber unablässig und vollmundig
seinen „Pfad zur Klimaneutralität“. Ein vernünftiger sachlicher Grund,
unterschiedliche Sektoren mit unterschiedlichen CO2-Preisen zu versehen,
existiert nicht.
## Verdrängen nutzt nichts
Doch Verdrängung ist der Sache auf Dauer nicht dienlich. Klimaschutz wird
nur geordnet stattfinden können, wenn man die Konsequenzen offen
thematisiert; wenn die Bürger und Konsumenten [2][wissen, was auf sie
zukommt.]
Schließlich wird sich viel ändern, wenn sich eine Volkswirtschaft
„dekarbonisiert“ – ob in der Mobilität, beim Einkauf oder beim Wohnen. W…
eine Wohnung bezieht, eine neue Heizung einbaut oder ein Auto kauft, tut
gut daran, die steigenden Energiepreise einzukalkulieren und auf niedrige
Verbräuche zu achten. Dasselbe gilt auch für jeden, der umzieht, weil der
neue Wohnort den Energieverbrauch durch Mobilität beeinflusst.
Eine Politik, die mit Reduktionszielen hausieren geht, ohne über steigende
Energiepreise zu reden, mag kurzfristig gewinnen. Langfristig gefährdet sie
die Akzeptanz des Projekts. Dann bleiben zwei Szenarien – fatal sind sie
beide.
Entweder es ist für lange Zeit vorbei mit jeglichem Klimaschutz, weil
fortan das Prinzip „Nach uns die Sintflut“ greift. Oder aber das Thema
gerät – was ebenso schlimm wäre – in ein illiberales Fahrwasser. Dann
werden plötzlich Notstandsgesetze nach dem Muster der Coronazeit zum
Maßstab auch für den Klimaschutz. Solche Tendenzen gilt es abzuwehren. Die
Werte einer freiheitlichen Gesellschaft dürfen auch für den Klimaschutz
nicht zur Disposition gestellt werden.
All das zu benennen, soll hier keinesfalls gegen Klimaschutz ins Feld
geführt werden – im Gegenteil. Es soll nur der Aufrichtigkeit auf die
Sprünge helfen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, der sich die
gesamte Menschheit stellen muss. Es ist richtig und erforderlich, dass
Deutschland seinen Beitrag leistet und seine Emissionen deutlich senkt.
Doch große Ziele erreicht man nur, wenn man sich ehrlich macht. Klimaschutz
ist kein Ponyhof.
16 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/klimaschutzgesetz-109.html
[2] https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/steuern/co2-preis-was-d…
## AUTOREN
Bernward Janzing
## TAGS
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