# taz.de -- Ticketloser Nahverkehr für alle: Einfach einsteigen, bitte! | |
> In Bremen drängen eine Initiative und die SPD auf ticketlosen Nahverkehr | |
> und legen Pläne vor. Auch andere Städte diskutieren die Idee. | |
Bild: Straßenbahnen am Bremer Hauptbahnhof: die Linie 11 bringt Fahrgäste sam… | |
BREMEN taz | Seit dem 4. Juni ist Straßenbahnfahren in Bremen umsonst. Na | |
ja, nicht überall. Und nein, nicht auf allen Linien. Auch nicht immer, wo | |
denken Sie hin! Setzen wir also neu an: Immer samstags, von 11 bis 18 Uhr, | |
bringt die neue Linie 11 die Menschen auf einem Ringverkehr vom Bahnhof | |
kostenlos bis in die City und zurück. | |
Revolutionär ist das noch nicht, aber doch ein Schritt hin zur Vision eines | |
ticketlosen Nahverkehrs. Das Thema gärt in Bremen schon länger. Die | |
Piratenpartei hatte es 2014 erstmals aufgebracht, 2019 hatte die | |
Initiative „Einfach einsteigen“ die Idee aufgegriffen und ausgerechnet, | |
wie sich ticketloser ÖPNV finanzieren ließe. Mit einigem Erfolg: Für den | |
aktuellen Verkehrsentwicklungsplan wird das Modell jetzt für ganz Bremen | |
geprüft. | |
Andere Modelle, wie das 365-Euro-Ticket, ersetzen bestehende Tarife durch | |
günstigere Varianten. Der ticketlose ÖPNV ist dagegen eine Vision, in der | |
Mobilität zur Grundversorgung wird. Das Konzept verquickt die Verkehrswende | |
mit einem Versprechen auf Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Die Hoffnung | |
ist, dass Autofahrer*innen auf Bus und Bahn umsteigen – und zugleich, | |
dass ärmere Menschen stärker am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. | |
## Wirtschaft müsste draufzahlen | |
Die Diskussion [1][wird auch anderswo geführt,] einige Städte sind in der | |
Umsetzung weiter: In Monheim können Bürger*innen schon seit April 2020 | |
gratis Bus fahren, finanziert aus dem Überschuss des Kommunalhaushalts. Als | |
Steueroase für Unternehmen ist die Kleinstadt im Rheinland zu Wohlstand | |
gekommen. | |
Die meisten Kommunen aber haben keinen Haushaltsüberschuss. Das Bremer | |
Konzept der Initiative „Einfach einsteigen“ setzt für die Finanzierung | |
deshalb auf eine paritätische Umlage. 249 Millionen Euro soll das Modell | |
jährlich kosten; etwa die Hälfte davon müsste von Unternehmen getragen | |
werden, die andere Hälfte von Bürger*innen und Pendler*innen. | |
Konkret heißt das: Unternehmen müssten zusätzlich zur bestehenden | |
Gewerbesteuer 3,23 Prozent ihres Gewinns über eine Umlage an die | |
Stadtgemeinde abgeben. Etwa 124 Millionen Euro sollen so zusammenkommen. | |
Zum Vergleich: Insgesamt hatte die Stadt Bremen 2019 über die Gewerbesteuer | |
nur gut 546 Millionen Euro eingenommen. | |
Entsprechend reserviert gibt sich die Handelskammer. Ticketloser ÖPNV sei | |
attraktiv – nicht aber auf Kosten der Wirtschaft. „Wenn die öffentliche | |
Hand das will, muss der öffentliche Haushalt das finanzieren“, so | |
Handelskammer-Geschäftsführer Olaf Orb. | |
Auch für die andere Hälfte der Finanzierung stellen sich Folgefragen: 19,76 | |
Euro, hat die Initiative berechnet, müssten alle volljährigen | |
Bürger*innen und Pendler*innen monatlich über eine Umlage zahlen. Für | |
Sozialhilfeempfänger*innen gibt es einen ermäßigten Satz von 10 | |
Euro, für Kinder gar keine Beiträge. Ein ziemlich guter Deal für | |
Nutzer*innen des ÖPNV. Doch wie gerecht ist das System für jene, die | |
weder Straßenbahn noch Bus nutzen? | |
## Grünes Verkehrsressort ist skeptisch | |
Tatsächlich gibt es bereits Modelle, bei denen Beiträge unabhängig von der | |
tatsächlichen Nutzung erhoben werden. Das Semesterticket ist ein | |
naheliegendes Beispiel, aber auch die Rundfunkgebühren funktionieren nach | |
diesem System. | |
Die Initiative „Einfach einsteigen“ argumentiert denn auch, dass alle | |
Bürger*innen davon profitieren, wenn weniger Autos unterwegs sind – auch | |
Autofahrer*innen. „Es gibt weniger Stau und auf längere Sicht auch | |
weniger Parkdruck“, sagt der Gründer der Initiative, Mark Wege. „Und dann | |
auch noch mehr Klimaschutz und saubere Luft.“ | |
Das Konzept wurde aus der Politik aufgegriffen: Die SPD, in Bremen | |
eigentlich als Autopartei bekannt, ist im März bereits vorgeprescht und hat | |
[2][Ideen für einen ticketlosen Nahverkehr präsentiert.] Ihr Konzept nutzt | |
eine Erhöhung der Grundsteuer und ist deutlich günstiger als das | |
Einfach-einsteigen-Modell: Jeder Haushalt – nicht jede*r Bürger*in – | |
soll durchschnittlich 18 Euro zahlen. Schon Januar 2023 könnte die Vision | |
Wirklichkeit werden, hofft die Partei. | |
Aus dem luftleeren Raum kommt das SPD-Konzept nicht: Ein Großteil stammt | |
wohl aus dem neu geplanten Verkehrsentwicklungsplan der Stadt, der noch | |
zwischen den Fraktionen verhandelt wird. Doch ausgerechnet das von den | |
Grünen geführte Verkehrsressort zögert noch etwas. Dort hat man Sorge, dass | |
mehr Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen umsteigen als | |
Autofahrer*innen. | |
Und: Estlands Hauptstadt Tallinn wird als Schreckgespenst beschworen. Dort | |
funktioniert der ticketlose Nahverkehr so gut, dass Busse und Bahnen | |
seitdem oft überfüllt sind. Erst einmal, so Verkehrssenatorin Maike | |
Schaefer im März, wolle man daher das Angebot in Bremen ausbauen. | |
Mark Wege von der Initiative „Einfach einsteigen“ gibt ihr in vielem recht: | |
„Der ÖPNV muss stärker werden, wir brauchen eine höhere Taktung und mehr | |
Linien, auch in die Gewerbegebiete.“ Auch die Investition in Radwege gehöre | |
dazu. Wegen dieser hohen Ausbauziele ist das Einfach einsteigen-Konzept | |
auch teurer als andere Modelle. Zu warten, weil noch nicht alles perfekt | |
ist, hält Wege für verfehlt: „In den letzten Jahren ist viel zu wenig | |
passiert.“ | |
28 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-kostenlosen-Nahverkehr/!5692321 | |
[2] /Nulltarif-im-Nahverkehr/!5757790 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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