| # taz.de -- Annalena Baerbock ist Kanzlerkandidatin: „Rückenwind nach dem Ge… | |
| > Mit 98,5 Prozent wählte der Grünen-Parteitag seine erste | |
| > Kanzlerkandidatin. Baerbock hält eine souveräne Rede, gibt sich aber auch | |
| > nahbar. | |
| Bild: Sie wollte keine 100 Prozent, die bekam sie dann aber fast doch: Annalena… | |
| Berlin taz | Es sind ein paar angespannte Minuten, in denen alle Kameras | |
| und Augen auf Annalena Baerbock und Robert Habeck gerichtet sind. An Tag | |
| zwei des [1][Bundesparteitags] sitzen sie da auf Holzbänken, sie, in rotem | |
| Kleid, er, in schwarzen Hemd, umgeben von Pflanzen und Blumen. Sie warten | |
| auf das Ergebnis, auf das alle warten. Beide sollen als Spitzenduo | |
| bestätigt werden, und Baerbock zur ersten grünen Kanzlerkandidatin gewählt | |
| werden. Es ist eine 2-in-1-Abstimmung. Die Anspannung lässt sich nur | |
| erahnen, sie sitzen da fast starr in ähnlicher Pose, die Beine | |
| übereinandergeschlagen, die Hände gefaltet, sorgsam auf den Knien abgelegt. | |
| Ab und zu tauschen sie ein paar Worte, die keiner hören kann. | |
| Erlöst werden sie erst mit dem Ergebnis der Abstimmung: 98,5 Prozent | |
| Zustimmung erhalten die beiden. Gut. Baerbock hatte im Vorfeld gesagt, sie | |
| wolle keine 100 Prozent, das sei langweilig und passe nicht zu den Grünen. | |
| Von Applaus begleitet läuft sie nun zum Redepult, bedankt sich für den | |
| „Rückenwind nach dem Gegenwind“. „Bereit, weil ihr es seid“ steht ganz… | |
| auf der Leinwand hinter ihr. | |
| Viel Kritik mussten die Grünen und vor allem sie in den letzten Wochen | |
| einstecken. Da gab es die Aufregung um zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, | |
| Robert Habeck verwirrte mit der Forderung „Defensivwaffen“ an die Ukraine | |
| zu liefern, das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war auch nicht | |
| ermutigend. In einer Debatte um höhere CO2-Preise wurde den Grünen | |
| vorgeworfen, die Belange der armen Menschen nicht im Blick zu haben. | |
| Zuletzt hyperventilierte gefühlt die halbe Republik wegen eines | |
| [2][aufgepimpten Lebenslaufs] von Annalena Baerbock. | |
| Diesen Punkt hakt sie schnell ab. Sie habe Fehler gemacht, bedankt sich für | |
| die Solidarität, für den „Rückenwind nach dem Gegenwind“. „In diesem S… | |
| dreht sich der Wind“, sagt sie dann. Hundert Neumitglieder sind in der | |
| Halle zur Rede zugelassen und applaudieren brav. Es brauche die „Zuversicht | |
| des Handelns“, fährt Baerbock fort und fordert grundlegende Reformen, um | |
| die Klimakrise abzuwenden. „Kein Wegducken, kein Durchwursteln“ mehr. | |
| Baerbock beschwört den „Mut, entscheidende Weichen“ zu stellen, und lädt … | |
| historisch auf: Sie nennt den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, die | |
| friedliche Revolution der DDR, das geeinte Europa. Jetzt fehlt noch die | |
| klimagerechte Welt. | |
| ## Mit 18 in einer Bäckerei gejobbt | |
| Die Wirtschaft will sie auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen. „Wir | |
| schlagen der deutschen Industrie einen Pakt vor“, sagte sie. Es gehe um die | |
| verbindliche Verabredung, dass der Staat ihnen die Kosten erstatte, die sie | |
| zusätzlich aufbringen müssten, um klimaneutral zu wirtschaften. „Statt zu | |
| verhindern und abzuwehren, will ich ermöglichen.“ | |
| Baerbock hält eine souveräne Rede, in der sie mehr oder weniger, Punkt für | |
| Punkt das Wahlprogramm abarbeitet. Es brauche jetzt eine sozial-ökologische | |
| Marktwirtschaft, weg von der Kohle, alle sollen mitgedacht werden, die | |
| Pendlerin, aber auch der Stahlarbeiter. Ein paar Spitzen gegen die CDU. | |
| Sonst Wirtschaft, Innovation, Transformation, soziale Gerechtigkeit und | |
| Energiegeld, Menschenrechte, Vielfalt. Vielleicht hemmt die Angst, Fehler | |
| zu machen. Nahbar wird sie aber, wenn sie persönlich wird. Wenn sie | |
| erzählt, dass sie „zwischen Zuckerrüben auf dem platten Land“ gelebt hat | |
| und mit 18 in einer Bäckerei jobbte und nur mit dem Auto dort hinkam, weil | |
| der Bus so selten fuhr. Sie geht sogar so weit, dass sie sagt, damals habe | |
| das Auto für sie „Freiheit bedeutet“. | |
| Es macht schon einen Unterschied, wenn sie da so steht, im Vergleich zu den | |
| anderen Kanzlerkandidaten Armin Laschet oder Olaf Scholz, und sagt: „Ich | |
| kämpfe hier mit allem, was ich habe, dass unsere Kinder auch in Zukunft in | |
| Freiheit leben können.“ | |
| „Eine Ära geht zu Ende, und wir haben die Chance, eine neue zu begründen“, | |
| sagte Baerbock zum Schluss ihrer Rede. Auf den letzten Satz „Jetzt ist der | |
| Moment, unser Land zu erneuern, und alles ist drin“ folgt langer Applaus. | |
| Es ist überhaupt das absolute Highlight an diesem Samstag. Arbeitsam und | |
| unbürokratisch flutschte es am Rest des Tages von einer Abstimmung in die | |
| nächste. Rede, Gegenrede, Abstimmung. Alles lief schneller als im Ablauf | |
| vorgesehen. Beim digitalen Parteitag werden die meisten Redebeiträge nur | |
| digital zugeschaltet, Stimmung kam so nicht auf. Nur wenige sind in der | |
| Eventlocation „Station“ in Berlin-Kreuzberg vor Ort. Beim Abwarten auf die | |
| Ergebnisse gab es zwischendrin aber ein paar Tipps, welche Kräuter auch gut | |
| für Bienen sind. Katzenminze zum Beispiel. Oder was gegen Hatespeech im | |
| Netz hilft. Robert Habeck schlich von morgens an immer wieder durch die | |
| Halle, ein kleiner Schnack hier und da, Journalist:innen, die sich um ihn | |
| scharen, die grüne Kanzlerkandidatin war aber bis zu ihrer Rede am | |
| Nachmittag wie abgetaucht. | |
| ## Grünen präsentieren sich regierungswillig | |
| Die Grünen haben nicht nur ihre klassischen Gegner:innen aus der | |
| Politik. Die Partei muss auch vor ihrer Basis bestehen, vor den jungen | |
| Bewegungen wie Fridays for Future. Sie dürfen nicht zu brav, auch nicht zu | |
| radikal, aber auf jeden Fall regierungsfähig wirken. Heraus kommt dann | |
| vielleicht eine etwas verklemmte Professionalität. Konsens scheint zu sein, | |
| dass Klimaschutz und sozialer Ausgleich wirklich zusammengehören. | |
| Inhaltlich fällt dieser Satz immer wieder in unterschiedlichen Varianten. | |
| Klimaschutz geht nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Gehören untrennbar | |
| zusammen. So oder ähnlich. Die Jüngeren, das ist klar, sind auf jeden Fall | |
| bereit, alles noch etwas radikaler zu denken. | |
| Sarah Heinrich, aus dem Kreisverband Köln, zum Beispiel. Sie wirbt in einem | |
| Änderungsantrag für eine sofortige Erhöhung der Hartz-IV-Sätze um 200 Euro | |
| in einem ersten Schritt. Sie weiß zumindest, wovon sie spricht. „Ich habe | |
| es aus Hartz IV heraus geschafft, meine Mutter nicht.“ Die vielen Millionen | |
| Menschen in Hartz IV seien „keine taktische Verhandlungsmasse, die man | |
| schon mal hintenüberfallen lassen kann“, sagt sie. Dagegen kann der | |
| Sozialpolitiker Sven Lehmann eigentlich nur alt aussehen, wenn er sagt, man | |
| müsse ambitioniert, aber realistisch bleiben. Die Forderung der Grünen | |
| Jugend würde bis zu 34 Milliarden im Jahr kosten, mahnt er. Der | |
| Hartz-IV-Satz soll nun aber als Sofortmaßnahme in einem ersten Schritt um | |
| 50 Euro erhöht werden. Auch er wolle eine „würdevolle Sicherung.“ | |
| Ähnlich lief es in der Debatte um den Mindestlohn. Da stimmte der Parteitag | |
| gegen die Forderung, den Mindestlohn auf 13 Euro zu erhöhen. | |
| Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner argumentierte, die Grünen | |
| befänden sich mit ihrer Forderung nach 12 Euro in einem „sehr breiten | |
| Bündnis“ mit den Gewerkschaften. „Der Kampf ist hart genug, 12 Euro | |
| durchzusetzen“, sagte er. | |
| Auch ein Antrag, Wohnungsbestände zu vergesellschaften scheiterte oder die | |
| Einführung einer 30-Stunden-Woche. Die Grünen wollen ins Kanzleramt, sie | |
| sind fest entschlossen. Sie präsentieren sich geschlossen und | |
| [3][regierungswillig, aber auch ein wenig langweilig]. Vielleicht wird es | |
| am Sonntag nochmal kämpferischer, wenn es um die Haltung zu Kampfdrohnen | |
| gehen wird. | |
| 12 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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