# taz.de -- Grüne Wahlkampf-Strategien: Baerbock und der Spritpreis-Opi | |
> Die Sache mit der ersten grünen Kanzlerin im Herbst wird wohl doch etwas | |
> schwieriger. Aber ist es überhaupt entscheidend, ob das klappt? | |
Bild: Robert Habeck und Annalena Baerbock beim digitalen Parteitag in Berlin | |
Man kann als Grüne jetzt natürlich rumheulen, wie unterirdisch dieser | |
Bundestagswahlkampf sei. Dass die anderen so schlimm sind und die Medien so | |
gemein. Aber das ist die Erklärungsstrategie von Verlierern. Nicht zu | |
empfehlen. | |
Die Frage ist auch nicht, ob es im Vergleich mit | |
[1][Bereicherungsgepflogenheiten der Union] Pipifax ist, was unter dem | |
Strategiepunkt Charakterabwertung gegen Annalena Baerbock angeführt wird. | |
Die Frage ist, ob es wirkt. Die Umfragen zeigen: Das tut es. Könnte sich | |
wieder ändern. Aber man muss bei den Grünen auch damit rechnen, dass die | |
Idee gescheitert ist, mit einer medialen Zuspitzung auf Baerbock | |
zusätzliche Stimmen oder gar das Kanzleramt zu gewinnen. | |
Aber ist das wirklich die entscheidende Sache? | |
Die „erste grüne Kanzlerkandidatin aller Zeiten“ (Strategiechef Michael | |
Kellner), also seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren, hat [2][beim | |
Grünen-Parteitag] eine ordentliche Baerbock-Rede gehalten. Das heißt: keine | |
bemerkenswerte. Robert Habeck, der zweite Spitzenkandidat, hielt derweil | |
[3][eine ziemlich groß angelegte Freiheitsrede]. Selbstverständlich wurde | |
von interessierten Exegeten umgehend versucht, das gegen Baerbock zu | |
drehen. | |
Aber das ist im alten Modus gedacht, dass es nur eine oder einen geben kann | |
und Politik als Peoplejournalismus berichtet werden muss. Es geht hier | |
aber um eine reale Klimakrise, und insofern könnte ein Abschied von der | |
Kanzlerinnen-Fixierung auch die Rückbesinnung auf ein im deutschen | |
Wettbewerb solitäres Frau-Mann-Spitzenduo sein. Das ist auch | |
symbolpolitisch progressiv: Erfolgreiche Zukunftspolitik ist auf | |
weitreichende und unhierarchische Allianzen unterschiedlicher Kompetenzen, | |
Systeme, Kulturen und Machtbereiche angewiesen, das funktioniert weder mit | |
Zentralisierung noch mit Abschottung. | |
Aber kann man damit noch einen klimapolitischen Aufbruch erzwingen? Im | |
Moment scheint die Anti-Klimapolitik-Koalition aus CDU, CSU, SPD und FDP im | |
Aufwind, weil sie alle eingespeicherten Negativgefühle abrufen kann. Da | |
wird die Verteidigung des Parkplatzes zur Frage der sozialen Gerechtigkeit, | |
der Freiheitsrettung oder der Bewahrung der Parkplatzschöpfung. | |
## Es geht um eine gute, glaubwürdige Erzählung | |
Um dagegen anzukommen, ist es wichtig, zu verstehen, wie Menschen sind. | |
Klar möchte Opi aus der Merkel-Mitte eine gute Welt für seine Enkel. Aber | |
ihn triggert auch nichts mehr, als 2 Cent an der Tankstelle zu sparen. Die | |
alten Grünen hätten Opi verdammt, die ganz jungen würden ihn canceln, | |
Fundis würden sagen, dann geht es halt nicht. Aber Baerbock und Habeck | |
müssen genau diese Opis gewinnen, um eine Blockaderegierung zu verhindern – | |
und selbst so stark zu sein, um was draus zu machen. | |
Wie das gehen kann? Sicher gibt es Bereiche, in denen man erklären und auch | |
streiten muss, etwa wie der CO2-Preis als ökosoziales und | |
marktwirtschaftliches Instrument funktioniert. Aber vor allem braucht es | |
eine gute, glaubwürdige und gesamtgesellschaftliche Geschichte, bevor man | |
ins Detail geht. Wie wir gerade erleben, kann weder Konservatismus noch | |
Liberalismus und schon gar nicht Sozialdemokratismus die Geschichte einer | |
gemeinsamen postfossilen Zukunft erzählen. Sie verteidigen nur den Status | |
quo des Einzelnen. | |
Mit seiner Berliner Freiheitsrede hat Habeck genau das versucht; weg vom | |
Spritpreis-Kleinklein zu kommen und von einem Politikansatz für atomisierte | |
Individuen. Und hin zu einem gemeinsamen Politikziel der Verschiedenen: dem | |
Schutz der Freiheit und des Wohlstands unserer liberaldemokratischen | |
Gesellschaft in der Gegenwart eskalierender Krisen durch ökosoziale Politik | |
und ökosoziale Marktwirtschaft. | |
Ich wüsste nicht, warum das nicht mehrheitsfähig sein sollte. | |
19 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Dobrindt-zu-Korruption-in-der-Union/!5756905 | |
[2] /Parteitag-der-Gruenen/!5778519 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=baFoQ-LWcZA | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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