# taz.de -- Künstlerin über NSU-Aufarbeitung: „Männer mit schlechtem Gedä… | |
> In der Hamburger Ausstellung „Rechtsradikale Realitäten“ zeigt Katharina | |
> Kohl Porträts von Menschen, die an den NSU-Ermittlungen beteiligt waren. | |
Bild: Gespenstisch: Katharina Kohls Installation „Erinnerungslücken“ auf K… | |
taz: Frau Kohl, wer sind die Männer, deren gemalte Porträts Sie für die | |
Hamburger [1][Ausstellung „Kein Einzelfall“] an die Kampnagel-Wand gehängt | |
haben? | |
Katharina Kohl: Es sind Menschen, die bei den NSU-Ermittlungen an | |
entscheidenden Schnittstellen saßen: [2][Verfassungsschützer,] Polizisten, | |
Kriminalbeamte aller Hierarchieebenen, Staatsanwälte. Sie alle hätten | |
rechten Terror frühzeitig in den Blick nehmen können, statt von | |
migrantischer Clan-Kriminalität auszugehen. Aber die meisten blickten von | |
sich aus nicht nach rechts. Und wer es tat, wurde behindert. | |
Diese Leute arbeiten im Verborgenen und wollen nicht erkannt werden. Sie | |
haben sie gemalt. Ist das eine Bloßstellung, ein Tribunal? | |
Nein. Erstens porträtiere ich nie, um Ähnlichkeit herzustellen, sondern um | |
durch diesen kreativen Prozess die Haltung eines Menschen besser zu | |
verstehen: Wie steht er im Raum, in der Welt, mit welcher Haltung übt er | |
seinen Beruf aus? Gerade im Sicherheitsbereich fällt es besonders ins | |
Gewicht, ob jemand seinen Beruf engstirnig, großzügig, akribisch oder | |
lässig ausübt. Ob er zum Beispiel ausschließlich mit Menschen seiner | |
Hierarchieebene spricht. Oder ob er nur in die Richtung schaut, die sein | |
Vorgesetzter vorgibt, ob ihn vielleicht Opportunismus und Karrieregründe | |
leiten. Das ist ein Bündel von Motivationen. | |
Der Sicherheitsapparat wäre demnach also nicht gezielt auf dem rechten Auge | |
blind? | |
Im Ergebnis natürlich schon, denn er ermöglicht die Fortführung rechten | |
Terrors bis heute, wie das [3][Attentat von Halle] und die Drohmails des | |
[4][“NSU 2.0“] zeigen. Ich würde das aber nicht jedem einzelnen Ermittler | |
unterstellen. Dafür kenne ich die individuellen Beweggründe zu wenig. | |
Warum haben Sie sich überhaupt mit der Aufarbeitung der NSU-Morde befasst? | |
Weil einer der zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, | |
derjenige an [5][Süleyman Taşköprü,] 2001 ganz in der Nähe meines damaligen | |
Hamburger Ateliers passierte. Ich war entsetzt darüber, dass jemand | |
unbehelligt in einen Laden gehen und einen anderen erschießen kann – und | |
dass die Polizei dann auch noch die Angehörigen des Opfers verdächtigt. Als | |
klar wurde, dass der NSU – und er bestand nicht nur aus Uwe Mundlos, Uwe | |
Böhnhardt und [6][Beate Zschäpe,] sondern aus einem bundesweiten Netzwerk – | |
verantwortlich war, habe ich intensiv dazu recherchiert. Denn es waren ja | |
gerade keine Einzelfälle. | |
Aber warum ausgerechnet die Ermittler malen? | |
Den Ausschlag gab der thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmut | |
Roewer, der 2012 öffentlich über die NSU-Morde sagte: „Damit muss man | |
leben.“ Das hat mich sehr schockiert. Ich wollte wissen, was er für ein | |
Mensch ist und beschloss, ihn zu aquarellieren. Das ist eine sehr schnelle, | |
intuitive Malweise, die mir einen von persönlichen Urteilen und Vorurteilen | |
ungetrübten Blick erlaubt. Dann merkte ich, ich will mehr wissen, ich will | |
auch die anderen sehen. Deshalb bin ich zu etlichen | |
[7][Untersuchungsausschüssen] gefahren und habe 39 weitere Porträts gemalt | |
– ausschließlich Männer, weil sie den Sicherheitsapparat zu 99 Prozent | |
prägen. | |
Und es sind Männer mit schlechtem Gedächtnis. | |
Ja, viele beriefen sich gerade dann, wenn es interessant wurde, auf | |
Gedächtnislücken. Das war sehr enttäuschend. Um meine Machtlosigkeit zu | |
überwinden, habe ich die Praxis des Aktenschwärzens umgedreht und 40 | |
Protokollauszüge geschwärzt bis auf Sätze wie „Es ist mir nicht | |
erinnerlich“ oder „Dass es mir nicht erinnerlich ist, deutet in die | |
Richtung, dass es nicht stattgefunden hat“. Eins dieser von mir | |
geschwärzten Protokolle läuft jetzt auf Kampnagel über einen Monitor. Er | |
steht in einer begehbaren schwarzen Box, während einzelne Zitate über eine | |
Tonspur vorgelesen werden. Oberhalb sieht man per Video Aktenordner wie an | |
einem Kettenkarussell vorbeiziehen. Endlos wie die seit Beginn der – immer | |
noch [8][unvollständigen] – Ermittlungen verflossene Zeit. In Hamburg zum | |
Beispiel hat es bis heute keinen NSU-Untersuchungsausschuss gegeben. | |
3 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kampnagel.de/de/programm/kein-einzelfall-rechtsradikale-realita… | |
[2] /Petition-der-Woche/!5767250 | |
[3] /Lebenslange-Haft-fuer-Halle-Attentaeter/!5735260 | |
[4] /Festnahme-im-NSU-20-Fall/!5770359 | |
[5] /Kulturprojekt-gegen-NSU-Schlussstrich/!5746482 | |
[6] /Analyse-der-NSU-Urteilsgruende/!5678676 | |
[7] https://www.ardaudiothek.de/saal-101-dokumentarhoerspiel-zum-nsu-prozess/85… | |
[8] /Hessische-Gruene-und-NSU-Aufarbeitung/!5767772 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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