Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Porträts von NSU-Ermittlern: Ermittlungen in Aquarell
> Die Hamburger Künstlerin Katharina Kohl hat in sechs Jahren 40
> NSU-Ermittler porträtiert. Jetzt sind sie erstmals öffentlich zu sehen.
Bild: Fühlt sich malend in die Psyche der NSU-Ermittler ein: Katharina Kohl in…
Hamburg taz | Wenn Katharina Kohl NSU-Ermittler malt, gleicht ihre Arbeit
der von Profilern. Jener Kriminologen, die sich in gesuchte Verbrecher
einfühlen, um zu ergründen, was das für Leute sind. Allerdings malt die
Hamburger Künstlerin, deren Bilder derzeit ausgestellt werden, keine
Verbrecher. Sie porträtiert Kriminalbeamte und Verfassungsschützer, die
zehn rassistisch motivierte Morde sowie 13 Raubüberfälle geschehen ließen,
weil sie die Täter nicht unter Rechtsextremen suchten.
„Ich wollte etwas über die Menschen herausfinden, die da ermittelt haben“,
sagt die Künstlerin. „Wollte dieses Netzwerk aus Kriminalbeamten und
Verfassungsschützern für mich und andere sichtbar machen. Dieses Gewebe aus
Menschen und Motivationen, aus inszenierten und echten Zufällen, aus
Karrierismus, Feigheit und Rassismus.“
Für ihre Recherche nutzt Kohl eine spannende, ungewöhnliche Methode: Sie
malt die Gesichter in Aquarelltechnik, das heißt: schnell und
unkorrigierbar, einen Eindruck bannend, einen intuitiven Moment. Den hat
sie gründlich vorbereitet: Etliche Videos hat sie geschaut, ist zu
Untersuchungsausschüssen gereist, hat Hunderte Protokolle gelesen, um den
NSU-Ermittlern näher zu kommen.
Allerdings nicht zu nahe, denn dann ist sie blockiert, dann geht ihr die
Distanz verloren. „Mit einem habe ich kurz gesprochen, und dann hat es
lange gedauert, bis ich ihn malen konnte“, sagt Kohl. Denn ihre Porträts
zielen ja nicht auf physiognomische Ähnlichkeit. Die Künstlerin
interessiert sich vielmehr für die Haltung des Kopfs im Raum. Sie hält
fest, wie jemand zu seiner Umwelt steht, wie viel Raum er einnimmt und wie
er ihn füllt.
Die Resultate sind erstaunlich. Als Kohl zum Beispiel Helmut Roewer, den
Expräsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes gemalt hatte, schien er
plötzlich ein anderer zu sein. Ursprünglich war er ihr nur aufgefallen,
weil er die NSU-Morde vor laufender Kamera mit den Worten „damit muss man
leben“ kommentiert hatte. „Darüber war ich so entsetzt, dass ich genauer
wissen wollte, wie dieser Mensch beschaffen ist“, sagt die Künstlerin.
„Zumal er Teil des Systems ist, dem wir alle unsere Sicherheit
anvertrauen.“
Also hat sie Roewer im Februar 2012 spontan gemalt – und sah auf dem
fertigen Aquarell „einen sich sehr wichtig nehmenden Menschen mit dem
Wunsch, intellektuell zu wirken. Außerdem dachte ich: Der trinkt viel
Rotwein“. Was damals noch niemand wissen konnte.
Katharina Kohl hatte eine Methode gefunden, die einen Teil der faktischen
und zdem die innere Wahrheit eines Menschen offenbarte. Sie beschloss –
auch aus Entsetzen über den Mord an Süleyman Taşköprü in der Nähe ihres
Hamburger Ateliers – 40 Ermittler zu malen, um Individuen und Verknüpfungen
des Ermittler-Netzwerks besser zu verstehen.
## Auslöser war der abgefackelte „Kunst-Imbiss“
Erfunden hatte sie diese Methode ein halbes Jahr vorher. Damals war der
„Kunst-Imbiss“ von Kohl und ihrem Künstlerkollegen DG Reiss, der den
Diskurs über Kunst zum Programm hat, nachts auf einem öffentlichen Platz in
Hamburg abgefackelt worden. Doch obwohl das Überwachungsvideo mehrere
verdächtige Personen zeigte, ermittelte die Polizei nicht.
Um dieser Passivität der Staatsorgane etwas entgegenzusetzen und vielleicht
doch etwas herauszufinden, malte Kohl die Gestalten auf dem
Überwachungsvideo. Ihr Fazit: „Nachdem ich den Flaschensammler auf dem
Video gemalt hatte, wusste ich: Er hat damit nichts zu tun. Bei den anderen
bin ich nicht sicher.“ Und auch wenn sie nicht die „Wahrheit“ fand: Das
Malen nahm ihr die Ohnmacht, half bei der Verarbeitung des persönlichen
Schocks.
Genau diese Hilflosigkeit, das Gefühl, vom Sicherheitsapparat im Stich
gelassen zu sein, erkannte sie dann wieder, als sie von den Pannen der
NSU-Ermittler erfuhr. Da dachte sie: „Ich versuche es mit dieser Methode,
weite den Blick ins Politische.“
## Manchmal wartet sie Tage auf die Neugier
Das macht man natürlich nicht mal eben. Da muss sie sich „weit machen,
durchlässig werden, einen inneren Raum bereitstellen, auch einen Zeitraum –
und warten, bis ich neugierig bin“, erzählt sie. „Manchmal schleiche ich
tagelang herum, bevor ich merke: Jetzt bin ich wirklich an diesem Menschen
interessiert.“
Besonders schwer ist ihr das bei Andreas Temme gefallen, jenem
Verfassungsschützer, der während Haliz Yozgats Ermordung im selben Kasseler
Internet-Café saß und nichts bemerkt haben will. „Da dachte ich plötzlich
während des Malens: ‚Ich kann das nicht machen, ich kann ihn nicht zeigen,
den armen Mann‘“‚ sagt Kohl. „Das war ganz eigenartig.“
Und dann vollzog sie sie – einem Profiler gleich –, jene innere
Entwicklung, die ihrer Ansicht nach eigentlich Temme durchleben müsste.
„Ich habe mir gesagt: ‚Ja, man kann mit der Lüge weiterleben, dann ist die
Karriere gesichert, sind Frau und Kind versorgt. Aber es ist trotzdem
besser, die Wahrheit zu sagen.‘“
Dabei weiß Kohl bis heute nicht, worin die Lüge konkret bestehen könnte.
„Aber es gibt bei Temme Ungereimtheiten und Dinge, die nicht auf den Tisch
gekommen sind“, sagt sie. „Nicht umsonst hat das Landesamt für
Verfassungsschutz in Hessen den Untersuchungsbericht zu genau diesem Fall
für 120 Jahre weggeschlossen.“
## Subtile Wahrnehmung
Andere Porträts hat die Künstlerin lange vor sich hergeschoben. Klaus
Dieter Fritsche etwa, Staatssekretär im Innenministerium und graue Eminenz
des Sicherheitsapparats, „kam mir wie ein farbloser Bürokrat vor, immer im
Hintergrund arbeitend“, sagt sie. „Als ich ihn endlich gemalt hatte, war
ich schockiert über den bedingungslosen Gehorsam, der mir da
entgegenblickte.“
Es ist, als ob sich bei ihr während des Malens winzige Antennen bildeten,
subtile Dinge wahrnehmend, die kein Foto zeigt. Entsprechend fein,
hauchzart, pastellen wirken die derzeit in der Hamburger Galerie Postel
gezeigten Porträts: einige forsch, provozierend, verschlagen, andere
abwesend, sich verflüchtigend – aus der Welt, der Verantwortung, aus dem
Bild.
„Als ich im Herbst erstmals alle 40 gleichzeitig im Atelier hängen hatte,
konnte ich da zwei Tage lang nicht hineingehen“, erzählt Kohl. „In dieser
Dichte konnte ich das anfangs nicht bewältigen. Denn ich sehe ja nicht nur
irgendwelche Köpfe. Sondern mich erreicht die ganze damit verbundene
Information.“
Vor ihrem Aquarell des BKA-Chefermittlers Christian Hoppe hat sie sich
sogar eine Zeitlang gefürchtet, „dabei schätzte ich ihn eigentlich als
intelligenten, nicht rassistischen Menschen“, sagt sie.
## Riesiges Puzzle
Wie hoch war eigentlich der Rassisten-Anteil bei den Behörden; war dies in
ihren Augen eine gesteuerte Ermittlung? „Nein“, sagt Kohl. „Natürlich
äußerten sich einige Schlüsselfiguren wie der einstige Staatssekretär
August Hanning klar rassistisch, als sie die NSU-Opfer pauschal als
,Gemüsehändler' diffamierten.“
Aber es habe auch andere gegeben – etwa den Profiler Alexander Horn, dessen
frühe Rechtsextremismus-These auch deshalb nicht öffentlich wurde, weil man
die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland nicht belasten wollte.
„Das ist ein Riesenpuzzle, dessen Einzelteile ich zusammenzulegen
versuche“, sagt Kohl. Und natürlich fände sie es schön, irgendwann die
Wahrheit zu kennen. Aber für einfache Antworten sei die Sache zu komplex.
„Diese Erkenntnis macht die Morde nicht weniger furchtbar“, sagt die
Künstlerin. „Und manchmal während der letzten sechs Jahre dachte ich, ich
könnte das Projekt nicht weiterführen.“ Auch Freunde rieten ihr, positivere
Themen zu suchen.
## Ermittler ein letztes Mal präsent
Aber sie wollte nicht. „Für mich ist es positiv, so viel wie möglich über
diese Zusammenhänge zu erfahren“, sagt sie. „Wenn man versucht zu
verstehen, muss man die Realität nicht mehr abwehren und verdrängen.“
Und jetzt sind sie also fertig und erstmals ausgestellt, die 40 Porträts –
alles Männer, weil das den Frauenanteil des Systems abbildet. Allerdings
hängen sie nicht nebeneinander; das wäre auch für die Besucher eine
Überforderung. Sondern in herausziehbaren Schubern, die einen fast privaten
Dialog mit den Bildern erlauben.
Und wenn es zu viel wird, kann man sie wieder wegschieben, diese Menschen,
die meist im Verborgenen arbeiten und ihre Fotos oft längst aus dem
Internet gelöscht haben. Hier sind die gescheiterten NSU-Ermittler noch
einmal präsent, bevor man sie ganz vergisst.
## Ergründen, wie Erinnerung funktioniert
Sie selbst haben mit dem Vergessen übrigens längst begonnen; etliche haben
sich in den Untersuchungsausschüssen auf Erinnerungslücken berufen. Einige
dieser Protokolle hat Kohl an die Galeriewände gehängt. Der Text ist
geschwärzt, nur Sätze wie „Das ist mir nicht erinnerlich“ oder „Dass es…
nicht erinnerlich ist, deutet in die Richtung, dass es auch nicht
stattgefunden hat“ sind leserlich.
Das ist eine kluge Umkehr der gängigen Praxis, Geheimes zu schwärzen –
verknüpft mit einem Hauch von Ironie. „Ich wollte ein bisschen Leichtigkeit
in diese ernste Arbeit bringen“, sagt die Künstlerin. Lächerlich machen
will sie die Zitierten – einige, aber nicht alle identisch mit den
Porträtierten – übrigens nicht. Auch unterstellt sie nicht, dass alle
lügen. „Aber natürlich zeigt das, wie leicht man Verantwortung abwehren
kann, wenn man behauptet, man erinnere sich nicht“, sagt sie.
Vor allem aber interessierte sie, wie Erinnern funktioniert. „Jeder
erinnert sich selektiv“, sagt Katharina Kohl. „Außerdem verändert sich
Erinnerung jedes Mal, wenn sie abgerufen wird. Wie weit kann sie da
überhaupt stichhaltig sein?“
2 Mar 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Politische Morde
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Ermittler
Schwerpunkt Rechter Terror
NSU-Prozess
Moderne Kunst
NSU-Prozess
Sicherheitsbehörden
Lesestück Recherche und Reportage
Filmpreis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Künstlerin über NSU-Aufarbeitung: „Männer mit schlechtem Gedächtnis“
In der Hamburger Ausstellung „Rechtsradikale Realitäten“ zeigt Katharina
Kohl Porträts von Menschen, die an den NSU-Ermittlungen beteiligt waren.
Osman Taşköprü über die Morde des NSU: „Die Nazis waren es nicht alleine�…
Osman Taşköprüs Bruder Süleyman wurde vom NSU ermordet. Bis heute fordert
er Antworten – und einen Untersuchungsausschuss.
Feministische Ausstellung in Hannover: Die Kunst, sich schlecht zu benehmen
Die Guerrilla Girls kritisieren seit mehreren Jahrzehnten die
Marginalisierung von Frauen und „artists of color“ im Kunstbetrieb.
NSU-Berichterstattung und Vereinfachung: Zschäpe im Sommerlook
Zwei Uni-Projekte beleuchten die Berichterstattung zum NSU. Bis heute
bleiben einige Medien am Thema dran. Andere neigen zu Vereinfachungen.
Kolumne Der rechte Rand: Linke fordert Untersuchungsausschuss
Bereits der Vorgänger des vom NSU ermordeten Imbissverkäufers Mehmet Turgut
war Ziel von Angriffen. Diese Information gaben zwei Behörden nicht weiter.
Plädoyer der Nebenklage im NSU-Prozess: Die Überlebenden
Der NSU-Prozess neigt sich dem Ende zu. Nun sprechen die Angehörigen der
Opfer und ihre Anwälte. Es ist die bittere Bilanz eines Mammutverfahrens.
Filmpreise in Los Angeles: Golden Globe für „Aus dem Nichts“
Fatih Akins NSU-Thriller ist der „beste fremdsprachige Film“. Den Golden
Globe für das beste Drama gab's für „Three Billboards outside Ebbing,
Missouri“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.