# taz.de -- SPD-Abgeordnete über Koalitionsdisziplin: „Obwohl's wehtut, das … | |
> Sarah Ryglewski glaubt, dass das linke Lager noch keine Mehrheit hat. Die | |
> Direktkandidatin der Bremer SPD für den Bundestag über Realpolitik. | |
Bild: Eingekeilt zwischen den Mächtigen: Sarah Ryglewski auf der Regierungsban… | |
Frau Ryglewski, spinnen wir mal ein bisschen rum. Was machen Sie, wenn Olaf | |
Scholz Bundeskanzler werden sollte? Sie sind ja Staatssekretärin beim | |
Finanzminister, Ihre Vorgängerin ist [1][heute Familien- und | |
Justizministerin.] | |
Die Frage ehrt mich. Ich arbeite sehr gerne mit Olaf Scholz zusammen. Aber | |
meiner Erfahrung nach ist eine politische Karriere nicht planbar. Erst mal | |
muss ich wiedergewählt werden, darauf konzentriere ich mich jetzt. | |
Die Chancen auf ein Direktmandat sind so schlecht wie noch nie. | |
Es ist historisch einmalig, dass es drei Parteien gibt, die Chancen hätten, | |
einen Kanzler oder eine Kanzlerin zu stellen. Das wirkt sich natürlich | |
[2][auch auf die Wahlkreise aus]. Ich rechne mir recht gute Chancen aus, | |
aber man sollte politisch nie Dinge als gegeben ansehen. | |
Wird in Bremen denn gesehen, was Sie da im Finanzministerium machen? | |
Natürlich bin ich fürs ganze Land da, aber ich versuche immer auch, die | |
Bremer Perspektive einzubringen. [3][Der ÖPNV-Rettungsschirm in der | |
Pandemie] zum Beispiel kommt mittelbar Bremen zugute – unabhängig davon, | |
dass ich den auch sonst für sinnvoll halte. Und die Debatte um | |
Kommunalfinanzen ist mir auch aus Bremer Sicht wichtig: Bremen hat hohe | |
Schuldenstände, das mindert unsere politische Handlungsfähigkeit. Das muss | |
geändert werden. | |
In der Pandemie scheint dieser Spielraum gerade etwas größer. Aber schon ab | |
2023 soll die Schuldenbremse wieder greifen. So will das Ihr Chef, Olaf | |
Scholz. | |
Erst einmal will das so das Grundgesetz. Aber ja, ich bin der Meinung, dass | |
wir eine [4][Diskussion über die Reform der Schuldenbremse] brauchen. Die | |
Investitionen, die wir heute nicht treffen, das sind die wahren Schulden, | |
die den Menschen später auf die Füße fallen. | |
Diese Diskussion könnten Sie jeden Tag führen! | |
Die Diskussion ist ja schon da. Aber mein Verweis aufs Grundgesetz war | |
keine politische Ausflucht: Um die Schuldenbremse abzuschaffen, brauchen | |
wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wenn ich mir die aktuellen Umfragewerte | |
anschaue, sehe ich das derzeit nicht. Olaf Scholz ist Finanzminister und | |
kann nur mit Bedingungen rechnen, für die es plausibel eine Mehrheit gibt. | |
Alles andere wäre unseriös. | |
Um die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen, bekam man die | |
Zwei-Drittel-Mehrheit 2011 zusammen. Auch mit den Stimmen der SPD. War das | |
ein Fehler? | |
Wir hatten damals eine überbordende Neuverschuldung. Staatsschulden können | |
zum Problem werden, wenn sie nicht für Investitionen, sondern zur Deckung | |
laufender Ausgaben genutzt werden. Das war damals der Fall. Und es ist ja | |
nicht so, als ob die SPD allein die Schuldenbremse eingeführt hätte – wenn | |
es ein Fehler war, dann haben wir den alle gemacht. Die [5][Schuldenbremse | |
in Bremen ist die härteste] der Republik, hier dürfen sich nicht mal die | |
Kommunen verschulden. Und warum? Weil das 2011 eine der Bedingungen der | |
Grünen für den Bremer Koalitionsvertrag war. Das war dem Zeitgeist | |
geschuldet, es konnte damals gar nicht hart genug sein. | |
Und jetzt werden wir den Zeitgeist von 2011 nicht mehr los? | |
Eine vollständige Abschaffung halte ich gar nicht für zielführend. Aber | |
eine Reform. Die Schuldenbremse muss so modifiziert werden, dass zumindest | |
Investitionen möglich sind und sie nicht zur Zukunftsbremse wird. | |
Manches geht auch ohne Geld. Im Bundestag gab es gerade einen | |
Gesetzesentwurf der Grünen, der [6][Transsexuellen die Anerkennung ihrer | |
Geschlechtsidentität erleichtern] sollte. Sie haben wie Ihre Fraktion | |
dagegen gestimmt. Warum? | |
Ich hätte mir sehr gewünscht, mit Ja stimmen zu können. Hinter dem jetzigen | |
Transsexuellen-Gesetz steckt ja die grundfalsche Vorstellung, dass | |
Transsexualität etwas Therapiebedürftiges ist. Wir haben lange versucht, | |
mit dem Koalitionspartner zu einer Lösung zu kommen. Das hat sich aber | |
nicht abgezeichnet. | |
Was zu erwarten war. Was wäre passiert, wenn Sie hier Ihrem Gewissen | |
gefolgt wären? | |
Es ist für die Außendarstellung eine Herausforderung, dass man in | |
Koalitionen nicht gegen den Koalitionspartner abstimmt. Aber obwohl es | |
wehtut: Das ist sinnvoll. Würde die Koalition von unserer Seite aus nicht | |
gehalten, gäbe es sicher auch einige bei der Union, die in manchen Fragen | |
abweichen würden. Es gibt innerhalb der Union eine Annäherung an die AfD | |
und es gibt in diesem Bundestag teilweise auch Mehrheiten rechts der Mitte. | |
Der Koalitionsvertrag bindet beide Seiten. | |
Es ist ein schwieriges Konzept, weil es schon so lange keine linken | |
Mehrheiten mehr gab. | |
Das ist das Dilemma. Aber politische Mehrheiten wachsen nur aus | |
gesellschaftlichen Mehrheiten. Viele linke progressive Menschen, die ich | |
kenne, denken, wir wären schon in der Mehrheit. Ich fürchte, das stimmt so | |
nicht: Das linke Lager insgesamt ist nicht deutlich gewachsen. Auch das | |
Wachstum der Grünen ist nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass Leute aus | |
dem konservativen Lager jetzt ihre grüne Seele entdecken. Es ist eher so, | |
dass sich das progressive Lager neu sortiert. Wenn wir Veränderung wollen, | |
müssen wir ein Grundproblem lösen: Wir müssen unsere spezifischen | |
Kompetenzen so ausdifferenzieren, dass wir eine gesellschaftliche Mehrheit | |
bekommen. | |
Was wäre da genau die Aufgabe der SPD? | |
Zu gucken, wie man für das progressive Lager die Leute erreicht, die | |
vielleicht noch nicht wissen, dass sie darin spielen. Die SPD muss ein | |
Angebot machen für Menschen, die versuchen, vieles richtig zu machen: Die | |
jeden Tag arbeiten gehen, oder gerne Arbeit hätten, die sich um ihre Kinder | |
kümmern und die sagen: Ich versuche nach den Regeln zu spielen, aber ich | |
muss mich wahnsinnig anstrengen, um über die Runden zu kommen. Und ich bin | |
müde deswegen. | |
Und jetzt kommen die Progressiven noch mit dem Klimawandel! | |
Ja. Und die Digitalisierung gefährdet vielleicht meinen Job. Eigentlich | |
soll Politik mir das Leben leichter machen. Genau das müssen wir | |
adressieren und sagen: Wir sorgen dafür, dass aus der Bekämpfung des | |
Klimawandels eine Chance auf Arbeit entsteht, mit einer Industriepolitik, | |
die dem Klimawandel über technologischen Wandel begegnet. Damit sehen auch | |
die Leute bei Airbus und Mercedes eine Chance für sich. Diese Aufgabe kann | |
die SPD leisten, unsere Anknüpfungspunkte sind da gesellschaftlich und | |
personell größer als etwa bei den Grünen. | |
Sie sagen den Leuten: Jeder Job lässt sich retten? | |
Nein, das ist dann der härtere Stoff: Natürlich haben wir Jobs, die es in | |
zehn, 20 Jahren nicht mehr geben wird. Aber wir müssen den Menschen klar | |
machen: Das führt nicht dazu, dass du abgehängt wirst. Du bekommst die | |
Möglichkeit, noch mal neu was zu erlernen. | |
Das will nicht jeder … | |
Stimmt. Wer noch mal eine Umschulung macht, der ist finanziell sehr | |
schlecht gestellt. Für Menschen mit Familie ist das kaum zu leisten. Wir | |
sagen: Es gibt auch ein Recht auf Zweit- oder Drittausbildung, wenn der | |
eigene Job nicht mehr so stark nachgefragt wird. Und das zu Bedingungen, | |
die es einem ermöglichen, den Lebensstandard zu halten. | |
Was machen Sie, wenn es für Sie nicht klappt mit dem Mandat? | |
Abgeordnete ist ein Amt auf Zeit, man muss immer damit rechnen, vielleicht | |
nicht wiedergewählt zu werden. Konkrete Pläne habe ich nicht, aber ich habe | |
ein abgeschlossenes Studium, etwas Berufserfahrung und in den letzten sechs | |
Jahren auch noch einige Kompetenzen dazugewonnen. Ich bin wahnsinnig gerne | |
Abgeordnete. Aber es ist auch ein anstrengender Job. Plan B hätte sicher | |
auch seinen Charme. | |
23 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
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