# taz.de -- Linke fordert Vermögenssteuer: „Es geht ums Ganze“ | |
> Bremens Linken-Spitzenkandidatin Doris Achelwilm wundert sich über grüne | |
> Avancen in Richtung CDU. Sie will gegen die soziale Spaltung kämpfen. | |
Bild: Sichtbare Armut: Ein Obdachloser campiert in einer Unterführung | |
taz: Frau Achelwilm, wann war Ihnen klar, dass Sie erneut in den Bundestag | |
wollen? | |
Doris Achelwilm: Seit Längerem. Ich glaube, das geht den meisten so, dass | |
sie nach vier Jahren mit ihrer Arbeit noch nicht fertig sind. | |
Welche Projekte verfolgen Sie? | |
Auf Bundesebene waren die durch meine Sprecherinnenaufgaben bestimmt – in | |
erster Linie beschäftigt mich Gleichstellungspolitik. Die Ungleichheiten | |
sind nach wie vor, sogar stärker denn je zulasten von Frauen ausgeprägt. | |
Auch auf dem Feld der Queerpolitik war eine Menge los, nicht zuletzt, weil | |
Karlsruhe der Bundesregierung überfällige Vorgaben gemacht hat. Es sind | |
viele Gesetze bearbeitet worden – wenn auch nicht zu unserer vollen | |
Zufriedenheit. | |
Stichwort Transsexuellengesetz … | |
Genau. Das ist leider nach wie vor nicht abgeschafft. Von der | |
Psychopathologisierung per Gesetz will die Große Koalition nicht lassen, da | |
bleibt viel zu tun. Und auch mein Bereich Medienpolitik hat gerade unter | |
Coronabedingungen an Bedeutung gewonnen: Die Angriffe auf | |
Journalist*innen bei den Querdenker-Demos, so etwas hat es vor vier | |
Jahren nicht gegeben. Darauf müssen wir politisch reagieren. Inwiefern ich | |
meine thematisch sehr breite Aufstellung in der nächsten Legislatur | |
fortsetze oder den Fokus neu setze, lässt sich jetzt aber noch nicht sagen. | |
Ach nein? | |
Das wird die Zukunft zeigen. Jetzt geht es darum, klarzumachen, dass diese | |
unsoziale Krisenpolitik der Groko auf allen Ebenen beendet werden muss, und | |
ein gutes Ergebnis zu holen. Danach wissen wir, wie groß ist die Fraktion, | |
wer ist dabei und widmet sich welchen Aufgaben. Ich selbst verstehe mich da | |
nach wie vor als Generalistin, die Themen gerne verbindet. | |
Wenn ich Sarah Wagenknecht richtig verstehe, sind Leute, die | |
Minderheitenpolitik betreiben, wie Sie, diejenigen, die das Projekt des | |
Sozialismus begraben. | |
Diesen Vorwurf habe ich so direkt noch nie gehört. Um den Stellenwert von | |
Gleichstellungs- und Queerpolitik muss überall gekämpft werden. Es gibt | |
häufiger Vorbehalte, als dass gesagt wird, dass diese Querschnittsaufgabe | |
nach vorne und größer rauskommen muss. | |
Wie schade. | |
Gleichstellungsaktivismus ist wichtig – und ein Expertisefeld, das genauso | |
durchdrungen werden muss und Details, Dringlichkeiten, Hintergründe hat wie | |
Verkehrs- oder Finanzpolitik. Ich fühle mich mit den Aufgaben, die ich | |
wahrnehme, in meiner Partei aber gut unterstützt. Das hat zuletzt auch die | |
Zustimmung meines Landesverbandes bei der Nominierung gezeigt. In der | |
gemeinsamen Praxis und historisch ist es einfach so, dass Die Linke sich | |
diesen Aufgaben widmen muss und widmet. | |
Wagenknecht sieht das anders. | |
Wenn sie das taktisch momentan anders sieht, dann ändert das nichts an | |
meiner Überzeugung. Und auch nichts an der Programmatik unserer Partei, die | |
in dieser Frage sehr klar ist. | |
Bloß tritt halt der stärkste Landesverband mit einer Gegnerin der | |
Programmatik an der Spitze an … | |
Sahra hatte bei früheren Nominierungen schon bessere Ergebnisse. Sie stand | |
da gehörig unter Druck. | |
Wird dieser Richtungsstreit zwischen menschenrechtsorientiertem Sozialismus | |
und nationalistischem Sozialismus à la Wagenknecht Die Linke im Wahlkampf | |
belasten? | |
Wir haben unser Grundsatzprogramm, unser Wahlprogramm ist auf dem besten | |
Wege. Und auch wenn es die Berichterstattung immer sehr umtreibt, wenn sich | |
Widersprüche zwischen Personen festmachen lassen, gehe ich davon aus, dass | |
wir einen offensiven und solidarischen Wahlkampf führen werden, der sich | |
von solchen Themen und Darstellungen emanzipiert. Und ich werde hier in | |
Bremen ganz sicher in diesem Sinne kämpfen. | |
Warum braucht Bremen eine Linke im Bundestag? | |
Weil wir am konsequentesten die Frage bearbeiten, wie soziale Spaltung zu | |
überwinden ist. | |
… das klingt jetzt nicht sehr spezifisch? | |
Ist es aber. In Bremen zeichnen sich die Verhältnisse, wie sie sind, so | |
deutlich ab wie in einer Petrischale. Die soziale Spaltung ist hier groß. | |
Das zeigt sich auch aus der Perspektive von Gleichstellungs- und | |
Geschlechterpolitik. Wir haben eine Alleinerziehendenquote, die sehr | |
ausgeprägt und mit einem hohen Armutsrisiko verbunden ist. All diese | |
Fragestellungen müssen wesentlich auf Bundesebene gelöst werden. Die | |
Weichen dafür hätten längst gestellt werden müssen – das wurde verschlafen | |
oder verhindert. Bremen braucht eine Vermögenssteuer im Bund, das ganze | |
Land braucht einen Kurswechsel. Wir haben eine unglaubliche | |
Verteilungskrise. Und sie erfordert linke Antworten. | |
Laut den Umfragen ist die Nachfrage nach denen mau. Wie ändern Sie das? | |
Dass wir laut Umfragen bundesweit noch ein Stück von unserem Ziel, | |
zweistellig zu werden, entfernt sind, wissen wir. Mich spornt das eher an, | |
alles zu geben und komplett in die politische Offensive zu gehen – mit dem | |
Programm, mit dem, was unsere gesellschaftliche Funktion ist und was wir in | |
der kommenden Legislaturperiode verstärkt umsetzen wollen. | |
Bloß mit wem, oder täuscht der Eindruck, dass die Grünen sich mit Annalena | |
Baerbock auf die Union als Partnerin eingrooven? | |
Den Eindruck teile ich. Das nehmen im Bundestag alle wahr, nicht erst, seit | |
die Grünen ihre Spitzenkandidatin nominiert haben. Ich sehe da ehrlich | |
gesagt einen Widerspruch, der in seiner Unwidersprochenheit überrascht. | |
Warum? | |
Die Grünen müssen sich schon auch fragen, mit wem sie ihr Programm | |
realisieren können. Wenn sie beim Klimaschutz ernst machen, den Kampf gegen | |
rechts führen und Hartz IV ablösen wollen – dann sehe ich da mit der CDU | |
keine Chance. Selbst Einzelmaßnahmen wie ein Tempolimit auf der Autobahn | |
werden von der Union blockiert … | |
… seit Jahrzehnten …! | |
… und da zeichnet sich mit Personalien wie dem Kanzlerkandidaten wie auch | |
mit Merz und Maaßen keine Verbesserung ab. Im Gegenteil. Das wird keine | |
fortschrittlichere Union sein. Ob die Grünen-Basis das mittragen würde, | |
wenn es andere Optionen gibt? | |
Wirken sich solche machtpolitischen Überlegungen auf den lokalen Wahlkampf | |
aus, wo Grüne und Sozialdemokraten mit linken Kandidatinnen antreten und | |
die Christdemokraten mit einem rechten Sprüchemacher? | |
Direkt trete ich in Wahlkreis 55 an, dazu gehört Bremerhaven und | |
Bremen-Nord: Ich will da ein Zeichen setzen und bin selbst ja auch | |
Wallerin. Jenseits davon – kämpfen alle um ihren Platz. Es ist eine sehr | |
volatile Situation. Es geht nach dieser Krise für alle ums Ganze, und die | |
Unterschiede werden deutlich sein. | |
Ein Wahlkampf ohne Freunde? | |
Freund*innen haben wir immer. Und man versteht sich ja trotzdem. | |
Und was ist Ihr persönliches Ziel? | |
Das letzte Mal lag unser Ergebnis in Bremen gut vier Prozent überm | |
Bundesschnitt. Ich bin optimistisch, dass wir das wieder schaffen, auch | |
dank Rückenwind durch die gute Arbeit in der Regierungsbeteiligung. Also | |
rund 5 Prozent über einem guten Bundesdurchschnitt – das ist ein | |
persönliches Ziel. | |
24 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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