# taz.de -- Seebrücke-Aktivistin über Grüne Politik: „Eher kosmetische Ver… | |
> Am Wochenende wollen die Grünen ihr Wahlprogramm verabschieden. Die | |
> Zuwanderungspolitik sei im Entwurf zu strikt, sagt die Aktivistin Maura | |
> Magni. | |
Bild: Frontex lieber abschaffen als reformieren, sagen Aktivist*innen | |
taz: Frau Magni, beim Parteitag am Wochenende wollen die Grünen ihr | |
Wahlprogramm verabschieden. Wie restriktiv würde die Zuwanderung nach | |
Deutschland damit werden? | |
Maura Magni: Von Bewegungsfreiheit, also einem Recht zu kommen und zu | |
bleiben, sind die Grünen weit entfernt. Auf den ersten Blick liest sich das | |
Wahlprogramm in Teilen nett, aber man sollte sich davon auf gar keinen Fall | |
täuschen lassen. Denn bei genauerem Hinschauen sieht man, dass eher | |
kosmetische Veränderungen vorgesehen sind, wo wir als Bündnis aus | |
Seebrücke, SeaWatch und #SyriaNotSafe eine strukturelle Neuausrichtung | |
fordern. | |
Wie zum Beispiel? | |
Die Grünen sehen in ihrem Wahlprogramm vor, Frontex zu reformieren. Die | |
EU-Grenzschutzagentur soll Seenotrettung explizit in ihr Aufgabenprofil | |
aufnehmen. Allerdings ist Frontex systematisch [1][an illegalen Push- und | |
Pullbacks beteiligt.] Es ist naives Wunschdenken, dass die Agentur damit | |
nicht weitermachen würde. | |
Eine zukünftige Bundesregierung darf deshalb keine | |
Bundespolizist*innen mehr für Frontex-Einsätze bereitstellen. Sie | |
muss die Agentur abschaffen und in systematische Seenotrettung investieren. | |
Stichwort sichere Fluchtrouten: Die Grünen planen ein Einwanderungsgesetz, | |
das auch Niedrig- und Geringqualifizierte adressiert. Ist das ein Schritt | |
hin zu mehr Bewegungsfreiheit? | |
Wenn die Grünen es wirklich so umsetzen, dann ja. Aber wir befürchten, dass | |
sie sich in ihrem Programm eigentlich auf ihre bisherigen Entwürfe für ein | |
Einwanderungsgesetz beziehen. Denen liegt die pure Logik der | |
kapitalistischen Verwertbarkeit zugrunde: Menschen, die auf dem deutschen | |
Arbeitsmarkt gebraucht werden, sind willkommen und dürfen bleiben ebenso | |
wie die, die im engeren Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention hier sind. | |
Alle anderen sind nicht willkommen. | |
Da gibt es also wieder eine Art menschenrechtliches Ranking. Ein Recht auf | |
ein Leben in Sicherheit und Würde muss aber für alle Menschen gleich | |
gelten. Wer sein Leben auf dem Weg nach Europa riskiert, tut das sicherlich | |
aus guten Gründen. Die Bedarfe des deutschen Arbeitsmarkt können da nicht | |
das entscheidende Kriterium sein. | |
Bisher können Asylsuchende verpflichtet werden, bis zu 18 Monate in einer | |
Erstaufnahmeeinrichtung zu leben. Die Grünen wollen diese Zeit auf 6 Monate | |
reduzieren. Wie realistisch ist das? | |
Es gibt 252 Kommunen und mit Bremen, Berlin und Thüringen sogar ganze | |
Bundesländer, die sich bereiterklärt haben, Menschen bei sich aufzunehmen. | |
Aber sie dürfen bisher nicht, weil der CSU-Innenminister sich querstellt. | |
Klar, die Bedingungen vor Ort sind nicht überall optimal. Um die | |
Unterbringung zu verbessern, braucht es Integrations- und | |
Unterstützungsfonds für die aufnahmebereiten Kommunen, ähnlich wie es die | |
Grünen in ihrem Wahlprogramm formulieren. Wenn es die gibt, wäre eine | |
dezentrale Unterbringung schon möglich – und das einzig menschenwürdige: | |
Wir fordern die Abschaffung aller Lager. | |
Auch für Geduldete soll sich die Situation, wenn es nach den Grünen geht, | |
verbessern … | |
Wir begrüßen, dass es für Geduldete mehr Bleibeperspektiven geben soll, und | |
dass die Menschen sich nicht mehr von Duldung zu Duldung hangeln müssen. Da | |
gehen die Schritte der Grünen auf jeden Fall in die richtige Richtung. Aber | |
lange nicht weit genug! Ankommenden Menschen in Deutschland müsste von | |
Beginn an die nötige Stabilität gegeben werden, um sich hier ein neues | |
Leben aufzubauen. | |
Jüngst wurde ein junger Mann aus Darmstadt von der schwarz-grünen | |
hessischen Landesregierung ins Krisenland Somalia abgeschoben – laut | |
Wahlprogramm der Grünen ein No-Go. Welche Vorhaben der Grünen werden am | |
schwierigsten im Koalitionsvertrag unterzubringen sein? | |
Die Union schränkt seit Jahren systematisch die Rechte von Migrant*innen | |
ein. Das fängt beim Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte | |
an und geht bis zur [2][Aufhebung des Abschiebestopps nach Syrien.] Was aus | |
unserer Sicht bedeutet, dass Menschenrechte in einer Koalition mit der | |
Union unweigerlich zum Verhandlungsgegenstand werden. Die Grünen dürfen | |
Menschenrechte und Klimaschutz aber nicht gegeneinander ausspielen. | |
Was können die Grünen sich von Linkspartei und SPD abschauen? | |
Vor allem die Linke hat punktuell weitgehendere Forderungen, zum Beispiel | |
will sie Frontex abschaffen. Allerdings behandeln alle progressiven | |
Parteien Antirassismus und Migration noch immer zweitrangig. Mit Blick auf | |
den Parteitag wünschen wir uns, dass die Grünen dem Thema endlich einen | |
höheren Stellenwert einräumen. Da haben sie bisher leider versagt, zum | |
Beispiel im Fall von Tareq Alaows, der als erster aus Syrien Geflüchteter | |
für die Grünen in den Bundestag einziehen wollte. | |
Sie fordern eine neue Personalpolitik? | |
Ja, auch. Alaows hat seine Kandidatur aufgrund eines massiven Shitstorms | |
und Bedrohungen zurückgezogen. Das ist so ein Beispiel, wo die Grünen die | |
Reihen schließen und sich hinter rassistisch diskriminierte | |
Kandidat*innen stellen müssten. | |
11 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vorwuerfe-gegen-EU-Grenzschutzagentur/!5720908 | |
[2] /Innenministerkonferenz-uneins/!5734337 | |
## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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