# taz.de -- Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Plötzlich „sicheres Dri… | |
> Athen will künftig keine Asylanträge mehr von Menschen aus Staaten wie | |
> Syrien akzeptieren. Grund sei die Einreise über die „sichere“ Türkei. | |
Bild: Geflüchtete im Lager Mavrovouni auf der griechischen Insel Lesbos | |
Istanbul taz | Mit dem Bau aufwendiger Grenzschutzanlagen an der | |
Landesgrenze zur Türkei und [1][illegalen Push-Back-Aktionen] gegen | |
Flüchtende auf dem Meer hat sich Griechenland im letzten Jahr mithilfe der | |
EU immer weiter abgeschottet. Jetzt hat die Regierung von Ministerpräsident | |
Kyrios Mitsotakis bekannt gegeben, dass sie Asylanträge der meisten | |
Flüchtlinge erst gar nicht mehr akzeptieren will. | |
In einer geradezu beiläufigen Erklärung gab der griechische | |
Migrationsminister Notis Mitarakis Anfang der Woche bekannt, dass | |
Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia | |
künftig dort keinen Asylantrag mehr stellen dürfen, wenn sie über die | |
Türkei gekommen sind. Dabei handelt es sich um jene fünf Staaten, aus denen | |
in den letzten Jahren die meisten Asylbewerber nach Griechenland gekommen | |
waren. | |
„Das ist ein wichtiger Schritt für die Bekämpfung der illegalen Migration | |
und der Bekämpfung der [2][verbrecherischen Schleuser]“, begründete | |
Mitarakis den Schritt. Hintergrund der Entscheidung ist, dass [3][die | |
Türkei] nach Einschätzung der griechischen Regierung für Menschen aus | |
diesen Staaten ein „sicheres Drittland“ sei. Damit schafft sich die | |
konservative Regierung jetzt eine juristische Grundlage, um Flüchtlinge aus | |
den Hauptfluchtländern von vornherein abzuweisen. | |
Griechenland war in den letzten Monaten in die Kritik geraten, weil die | |
Küstenwache immer brutaler gegen Flüchtlinge auf dem Meer zwischen der | |
türkischen Küste und [4][den griechischen Inseln] vorging. Schlauchboote | |
wurden in türkische Gewässer abgedrängt und der Motor zerstört; | |
Flüchtlinge, die es dennoch auf eine der Inseln geschafft hatten, wurden | |
festgenommen, geschlagen, beraubt und dann wieder zur türkischen Küste | |
zurückgebracht. | |
## 200 Kilometer Stahlzaun | |
Diese illegalen Push-Backs wurden nicht nur von der türkischen Küstenwache | |
beklagt, sondern auch von unabhängigen Beobachtern vielfach dokumentiert. | |
Auch auf dem Festland hat Griechenland kräftig in seine Grenzschutzanlagen | |
zur Türkei investiert. Neue Stahlzäune und digitale Überwachungsanlagen auf | |
über 200 Kilometern sowie sogenannte Geräuschkanonen, mit denen Flüchtende | |
schon in großer Entfernung mit der akustischen Stärke eines Jet-Motors | |
beschallt werden können, sollen einen Grenzübertritt verhindern. Drei | |
Milliarden Euro soll die EU dafür zur Verfügung gestellt haben. | |
All das hat Wirkung gezeigt. Nach Angaben des griechischen | |
Bürgerschutzministeriums werden aktuell nur noch 9.000 Flüchtlinge auf den | |
Inseln [5][Lesbos], Chios, Samos, Leros und Kos festgehalten statt noch | |
40.000 vor einem Jahr. Das liegt zum einen daran, dass die Regierung viele | |
Flüchtlinge in Lager auf das Festland überführt hat. Vor allem aber kommen | |
kaum noch welche nach. | |
Dass Griechenland nun keine Asylanträge aus den besagten Staaten annimmt, | |
soll dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Menschen aus Syrien, | |
Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia, die jetzt in der Türkei | |
leben, sollen wissen, dass sie „in Griechenland keine Chance mehr haben“, | |
sagte Mitarakis. | |
Die türkische Regierung hat sich zu der Entscheidung, ihr Land zum sicheren | |
Drittstaat zu erklären, offiziell nicht geäußert. Lediglich die | |
regierungsnahe Tageszeitung Sabah empörte sich über den „heuchlerischen | |
Beschluss“. Die griechische Regierung lasse sonst keine Gelegenheit aus, | |
„die Türkei als aggressiv und menschenrechtsfeindlich anzuprangern, und | |
jetzt sind wir plötzlich sicheres Drittland“. Die Angst vor den | |
Flüchtlingen trage offenbar zur Wiederannäherung von Griechenland an die | |
Türkei bei. | |
9 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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