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# taz.de -- Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Zugang zum Asylsystem gesc…
> Eine Studie zeigt: immer mehr Schutzsuchende werden an den türkischen
> Grenzen abgewiesen oder zurückgeschoben. Das sei mit dem EU-Recht
> unvereinbar.
Bild: Gerettete Migranten auf Lesbos am 28.08.2023. Sie können in die Türkei …
Berlin taz | Rund 3,7 Millionen Menschen hat die Türkei aufgenommen – mehr
als jedes andere Land der Welt. Doch wer heute dort Schutz sucht, kann
nicht auf Sicherheit und Versorgung hoffen. Das zeigt eine neue Studie der
Anwält*innen-Organisationen ÖHD und ÇHD aus der Türkei und der ELDH aus
Europa unter Leitung der Schweizer Juristin Annina Mulis im Auftrag der NGO
medico. „Der Zugang zum Flüchtlingsschutz in der Türkei hat sich in den
vergangenen Jahren immer weiter verengt“, sagt Mulis.
Ihre 2021 begonnene Untersuchung zeigt: Viele Schutzsuchende werden heute
direkt an den Grenzen der Türkei abgewiesen oder zurückgeschoben. Und wer
ins Land kommt kann oder darf sich oft gar nicht als Flüchtling
registrieren. Registrierunsbüros sind geschlossen, Menschen werden dort
abgewiesen, viele rechtliche Beschränkungen machen Anträge oft unmöglich.
„Die Türkei hat den Zugang zu ihrem Asylsystem faktisch geschlossen“, sagt
Mulis. Für jene, die es trotzdem ins Land schaffen sei die Folge
„Lebensbedingungen, die für das Leben nicht reichen“. Denn wer nicht
registriert ist, darf nicht arbeiten und bekommt keine Sozialleistungen und
muss ständig mit der Abschiebung rechnen. Das gelte auch für Menschen aus
Kriegsregionen wie Syrien oder Afghanistan, so Mulis.
Und es betrifft auch Menschen, die sich nach Europa flüchten. Denn seit der
so genannten [1][EU-Türkei-Erklärung 2016] gilt die Türkei als „sicherer
Drittstaat“ – wer von dort etwa nach Griechenland flüchtet, hat es schwer,
Asyl zu bekommen. 2021 verschärfte sich dies noch: Da beschloss die
griechische Regierung eine so genannte Unzulässigkeitklausel: Wer aus
Syrien, Afghanistan, Bangladesh, Pakistan oder Somalia stammt, dessen
Asylantrag wird gar nicht erst angenommen, falls die Person über die Türkei
eingereist ist. Ihnen droht die Abschiebung in die Türkei. „Aber dort sind
sie eben nicht sicher“, sagt Mulis.
## Sichere Drittsaaten – ein problematisches Konzept
Ihre Untersuchung zeigt, wie problematisch das Konzept der „sicheren
Drittstaaten“ ist – Transitstaaten also, auf die die EU die Verantwortung
für den Flüchtlingsschutz abwälzen will. Das ist einer der Kernpunkte ihres
neuen [2][Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)]: Wer über einen
„sicheren Drittstaat“ eingereist ist, soll künftig ohne Asylverfahren
dorthin abgeschoben werden können.
Die EU hat der Türkei dazu mehrere Milliarden Euro gezahlt – auch, um die
Aufnahmebedingungen vor Ort zu verbessern. Bei den Menschen kommt davon
wenig an: Syrer:innen, die aus EU-Mitteln finanzierte Sozialleistungen
erhalten, bekommen umgerechnet nur 14 Euro pro Monat – sofern sie überhaupt
Zugang zu dem entsprechenden Programm bekommen.
Zudem häufen sich Berichte über illegale, gewaltsame Zurückweisungen an den
Grenzen. Türkische Soldaten hätten Migranten dort „brutal misshandelt“,
hieß es in einer Mitteilung der Organisation [3][Human Rights Watch]. Teils
seien ihnen Knochen gebrochen, teils ihr Hab und Gut abgenommen worden,
bevor sie sie zurück über die Grenze gebracht hätten. Ausweisungen ohne
vorige Prüfung etwa einer Bitte um Asyl, sogenannte Pushbacks, sind nach
internationalem Recht illegal.
## Eine Kettenabschiebung, die nicht EU-rechtskonform ist
Italien, Griechenland und andere Länder hatten sich bei den
[4][GEAS-Verhandlungen im Mai] mit der Forderung durchgesetzt, Migranten in
sogenannte sichere Drittstaaten abschieben zu können. Dies soll auch dann
möglich sein, wenn ein Geflüchteter lediglich durch den betreffenden
Drittstaat durchgereist ist und sonst keine Verbindung zu ihm hat.
Der Fokus bei der Ankunft in der EU liegt dann nicht auf der Prüfung der
individuellen Fluchtgründe einer Person, die beispielsweise aus Afghanistan
vor den Taliban geflohen ist, sondern auf der Fragen, ob sie aus einem
sicheren Drittstaat eingereist ist, etwa der Türkei, und ob sie dorthin
zurückgeschickt werden kann.
Im Fall der Türkei ist dies rechtswidrig, glaubt Mulis. Wenn die
Abschiebung in einen Drittstaat etwa eine Kettenabschiebung zur Folge hat,
sei diese mit dem EU-Recht unvereinbar.
29 Aug 2023
## LINKS
[1] /5-Jahre-EU-Tuerkei-Abkommen/!5754907
[2] /Verschaerfung-des-EU-Asylrechts/!5939224
[3] https://www.hrw.org/world-report/2023/country-chapters/turkey#81aaa4
[4] /EU-Abgeordneter-ueber-Asylrecht/!5941545
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Türkei
Flüchtlinge
Migration
Abschiebung
Asyl
Türkei
Schwerpunkt Flucht
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