# taz.de -- Demonstrationen zum Weltflüchtlingstag: „Wir müssen diese Recht… | |
> Der Brandenburger Verein „Wir packen's an“ beteiligt sich an der | |
> Seebrücken-Kampagne „Menschenrechte sind unverhandelbar“ für mehr | |
> Flüchtlingsrechte. | |
Bild: Viele BerlinerInnen engagieren sich für Flüchtlingsrechte: Demonstratio… | |
taz: Frau Tödter, viele Berliner*innen und Brandenburger*innen | |
spenden für Ihren Verein „Wir packen's an“, der regelmäßig Sach- und | |
Geldspenden in Flüchtlingslager in Griechenland bringt. Wie ist derzeit die | |
Lage dort? | |
Miriam Tödter: Die Lager auf den Inseln werden leerer, aus zwei Gründen. | |
Erstens weil dort seit letztem Jahr weniger Menschen ankommen, weil die | |
Seegrenzen eng bewacht und Menschen illegal zurückgedrängt werden in die | |
Türkei – die so genannten Pushbacks, die inzwischen ja gut dokumentiert | |
sind. Der andere Grund ist, dass die Asylverfahren beschleunigt worden | |
sind, das geht inzwischen in wenigen Monaten, und die Menschen dann nach | |
Athen gebracht werden. | |
Dass sie aus den Lagern rauskommen, klingt ja erstmal gut. | |
Ja, nicht? Das haben wir immer gefordert: evakuiert die Lager! Das Problem | |
ist, dass die Menschen überhaupt keine staatliche Unterstützung mehr | |
bekommen, sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind. Dennoch dauert es | |
Monate, bis sie ihre Papiere mit der Arbeitslaubnis bekommen – falls sie | |
dann Arbeit finden. In Athen leben tausende Familien auf der Straße, sie | |
haben keine finanzielle Unterstützung, keine Wohnung. Das führt sogar dazu, | |
dass Leute von Athen auf die Inseln zurückkehren, weil es das einzige ist, | |
das sie kennen. | |
Gibt es denn Hilfe auf den Inseln? | |
Nein, sie leben auch dort auf der Straße oder in den Dschungel-Camps am | |
Rand der offiziellen Flüchtlingslager. Sie bekommen nicht mal mehr das | |
schlechte Essen, das es in den Lagern gibt. Das ist eine wachsende | |
Katastrophe. | |
Ist das der Grund, warum Sie inzwischen auch Hilfen außerhalb der Lager | |
anbieten? | |
Genau, wir sind jetzt auch in Athen, Thessaloniki und Patras vor Ort. Wir | |
schicken vor allem Lebensmittel oder kaufen sie vor Ort. Allein in Athen | |
versorgen wir mit drei Organisationen an drei Orten ungefähr 1.000 | |
Menschen. | |
Sie sind auch auf dem Balkan aktiv, dort soll es auch illegale Pushbacks | |
geben von Kroatien nach Bosnien. Können Sie dazu etwas sagen? | |
Ich war selber im März in Bosnien, in der Grenzregion im Kanton Una-Sana. | |
Wir sind vor allem im Ort Velika Kladusa vertreten, weil es dort vorher | |
überhaupt keine Unterstützung von außerhalb gab. Ich habe dort | |
Waschmaschinen gekauft für eine neue bosnische NGO, die den Flüchtlingen | |
hilft, und ich habe Lebensmittel und Kleidung gekauft. Die Flüchtlinge | |
leben in verfallenen Häusern und im Wald, ich habe mit Leuten gesprochen, | |
die selber gepushbackt worden sind. Mehrere haben mir erzählt, dass sie | |
geschlagen worden sind, man ihnen die Kleidung weggenommen hat – damals war | |
es noch sehr kalt, die Temperaturen unter Null Grad. Ich habe Leute mit | |
Erfrierungen an den Füßen gesehen, weil sie nackt und ohne Schuhe im Fluss | |
ausgesetzt wurden. | |
Von kroatischen Soldaten? | |
Ob von Soldaten oder Grenzpolizisten, das konnten die Leute nicht | |
auseinander halten, aber auf jeden Fall von kroatischen Uniformierten. Das | |
Ganze ist natürlich komplett menschenrechtswidrig und illegal. Menschen, | |
die Schutz suchen, dürfen nach EU-Recht nicht einfach zurückgeschubst | |
werden. | |
Ihr Verein beteiligt sich am Samstag mit einer Kundgebung am Mariannenplatz | |
an einer bundesweiten Kampagne namens #unverhandelbar. Was meint das? | |
Menschenrechte sind unverhandelbar, müssen unverhandelbar sein. | |
[1][Sind sie aber nicht] – oder nur auf dem Papier. | |
Ja, aber eigentlich müssen sie für jeden Menschen jederzeit und an jedem | |
Ort gelten. Und wenn unsere europäische Union und unsere europäischen Werte | |
für irgendwas gut sind, dann doch wohl dafür: Dass Menschenrechte nicht nur | |
gelten für Menschen mit einem bestimmten Pass oder für jene, die das Glück | |
hatten, an einem bestimmten Ort geboren zu sein. | |
Welche Rechte meinen Sie? | |
Es geht darum, fliehen zu dürfen, Schutz suchen zu können, aber auch | |
menschenwürdige Lebensumstände, Zugang zu Gesundheitsversorgung, das Recht | |
auf Bildung, gerade auch für Kinder. All das wird nicht nur an den Grenzen, | |
sondern auch in Lagern in der EU permanent verletzt. | |
Dennoch werden Politiker, die das zu verantworten haben, immer wieder | |
gewählt. Ist das nicht ein Zeichen, dass dieses Thema die [2][Mehrheit der | |
Menschen in Europa nicht interessiert]? | |
Bei der Kundgebung am Samstag wollen wir auch darüber mit AktivistInnen aus | |
Griechenland und Bosnien sprechen. Unsere Hoffnung ist schon, dass sich | |
nach den Wahlen etwas ändern wird. Zudem möchte ich betonen: Das ist | |
internationales Recht, was an unseren Grenzen verletzt wird, wir sind | |
verpflichtet dazu, diese Rechte zu gewähren, wir haben das unterschrieben | |
als Regierung, als Staat, als europäische Union. Das Absurde ist, dass wir | |
als Zivilgesellschaft von unserer eigenen Regierung fordern müssen, dass | |
sie unsere Gesetze einhält! | |
Was kann man tun als Zivilgesellschaft, wenn die Politik nicht will? | |
Fordern! Wählen! Mein Wahlrecht wahrnehmen mit dieser Forderung im Kopf. | |
Und selber aktiv werden: hier auf die Straße gehen, dort vor Ort | |
Initiativen und Organisationen unterstützen. Zum Beispiel das [3][Border | |
Violence Monitoring Network], das sich die Grenzen in der Balkan-Region | |
anguckt. Oder [4][Mare Liberum], die Menschenrechtsverletzungen in der | |
Ägäis dokumentieren. Die kann ich unterstützen, über | |
Menschenrechtsverletzungen informieren – und immer wieder thematisieren, | |
dass hier herrschendes Recht verletzt wird. | |
Was könnte der Senat tun? | |
Er könnte viel tun! Er könnte zum Beispiel Tempo machen, was ein | |
Landesaufnahmeprogramm angeht. Er könnte dafür sorgen, dass Leute aus | |
Lagern, wo Menschenrechte verletzt werden, nach Deutschland geholt werden. | |
Er könnte eine Initiative starten und sagen, wir nehmen Menschen aus den | |
Balkanstaaten, die Nicht-EU sind, hier auf aus humanitären Gründen. Wir | |
könnten sie unterbringen in den leer stehenden Flüchtlingsunterkünften. | |
Hat er aber alles nicht gemacht, trotz wohlfeiler Worte. Und es ist kaum zu | |
erwarten, dass er das noch macht vor den Abgeordnetenhauswahlen im | |
September, oder? | |
Es ist nicht zu erwarten. Aber wenn wir nur von dem ausgehen, was zu | |
erwarten ist, hätten wir wohl schon vor Jahren aufgegeben, etwas zu tun. | |
Wir können nicht mehr machen als immer wieder fordern, immer wieder in die | |
Öffentlichkeit gehen. Und vor den Wahlen dazu aufrufen, Leute, wenn euch | |
das Thema wichtig ist – und ich denke, in Berlin gibt es eine Mehrheit von | |
Menschen, denen das wichtig ist – dann wählt dementsprechend. | |
Aber wen soll man denn wählen? Wir haben in Berlin eine Regierung aus | |
„linken“ Parteien, von denen zumindest zwei sagen, dass ihnen das Thema | |
sehr wichtig sei. | |
Ja, das ist eine gute Frage. Wahlempfehlungen kann ich natürlich nicht | |
geben. | |
18 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Pro-Asyl-zum-Weltfluechtlingstag/!5779946 | |
[2] /Meinungsumfrage-zu-Migrationspolitik/!5779674 | |
[3] https://www.borderviolence.eu/ | |
[4] https://mare-liberum.org/de/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Menschenrechtsverein gibt auf: Mare Liberum hat sich aufgelöst | |
Seit 2018 hatte der Verein die Menschenrechtslage von Geflüchteten im | |
Mittelmeer beobachtet. Er beklagt Repression – und stellt seine Arbeit nun | |
ein. | |
Brand im griechischen Lager Moria: Lange Haft für vier Geflüchtete | |
Ein Gericht verurteilt vier Männer wegen Brandstiftung im Flüchtlingslager | |
Moria. Im Schnellverfahren und aufgrund einer einzigen Zeugenaussage. | |
Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Plötzlich „sicheres Drittland“ | |
Athen will künftig keine Asylanträge mehr von Menschen aus Staaten wie | |
Syrien akzeptieren. Grund sei die Einreise über die „sichere“ Türkei. | |
Geplante Asylzentren in Afrika: Ein menschenverachtendes Manöver | |
Dänemark will Asylzentren in afrikanischen Ländern etablieren. Allerdings | |
gibt es bislang kein Land, das zu diesem fragwürdigen Deal bereit ist. |