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# taz.de -- 40 Jahre Berliner Grüne: Der lange Marsch zur Macht
> 1981 saßen neun Mitglieder des Grünen-Vorläufers AL erstmals im
> Abgeordnetenhaus. 40 Jahre später gehört die Partei längst zum Berliner
> Establishment.
Bild: „Passt bloss auf“, die Alternative Liste zieht 1981 in das Landesparl…
Berlin taz | Es gab zwar Wolken und ein bisschen Regen an jenem 11. Juni
1981, aber politisch ging an diesem Tag die grüne Sonne über Berlin auf.
Unter den 133 Männern und Frauen, die sich an diesem Donnerstag zur
konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses im Rathaus Schöneberg
trafen, waren nämlich erstmals Mitglieder der später in den Grünen
aufgehenden Alternativen Liste, kurz AL. Und zwar gleich neun – zwei mehr
als die etablierte FDP. Der Tag war aber auch für die CDU eine Premiere:
Nie zuvor hatte sie in Berlin den Regierenden Bürgermeister gestellt, nun
wurde Richard von Weizsäcker gewählt – mutmaßlich mit Unterstützung der
FDP, mit der er offiziell erst ab 1983 koalierte.
Ein Foto von jenem Einzug ins Abgeordnetenhaus – das bis 1993 in Schöneberg
äußerlich wenig gewaltenteilerisch unter einem Dach mit der Landesregierung
untergebracht war – spiegelt die Botschaft, mit der die neun von der AL ins
Parlament kamen: „Passt bloss auf“, steht in gelben Buchstaben auf einem
grünem Banner, während daneben ein Langhaariger die Klampfe zupft. Nur drei
Jahre hatte es von der AL-Gründung bis zu ihrem Parlamentseinzug gedauert.
Die Fraktion war aus Sicht der Alternativen mehr oder weniger der
verlängerte Arm der außerparlamentarischen Opposition unterm Rathausdach.
Antje Kapek war damals noch nicht mal fünf und noch weit davon entfernt,
die Nachfahren dieser neun selbst viele Jahre als Fraktionschefin
anzuführen. Als Kind aber erlebte sie Parlamentssozialisation pur: Vater
Frank war tief drin bei der AL und kam 1987 für zwei Jahre ins
Abgeordnetenhaus – damals wechselten die späteren Grünen ihre
Parlamentarier zur Mitte der damals noch vierjährigen Wahlperiode aus.
Rotieren nannten sie das, was verfestigte Machtstrukturen verhindern
sollte.
Aus 9 von 133 sind inzwischen 27 von 160 Parlamentsmitgliedern geworden.
Bleibt es bei der [1][Abgeordnetenhauswahl am 26. September] bei den
aktuellen Umfragewerten, so wird die Grünen-Fraktion künftig weit über 40
Mitglieder stark sein. Dabei hätte diese Fraktion beinahe ein Schisma und
die Spaltung in zwei konkurrierende Grünen-Fraktionen erlebt: 2011 drohten
der heutige Justizsenator Dirk Behrendt und drei weitere Abgeordnete vom
linken Parteiflügel, Canan Bayram, Susanna Kahlefeld und Turgut Altug, bei
einer Pressekonferenz sinngemäß mit Abspaltung, nachdem die Vorstandswahl
knapp das bisherige Führungsduo aus Volker Ratzmann und Ramona Pop, beide
vom Realo-Flügel, bestätigt hatte.
## Krisen und Versöhnungen
Die Attacke richtete sich weniger gegen die heutige Wirtschaftssenatorin
als gegen Ratzmann. Der hatte die Parteilinke immer mal wieder gegen sich
aufgebracht. Etwa, als er zwei Jahre zuvor in einer Parlamentsrede
Menschen, die Brandanschläge auf Pkw verübten, als „selbsternannte
Wächterräte“ einstufte, und andere Aktivisten, die alles ablehnen würden,
was ihnen fremd sei, als „Kiez-Taliban“ bezeichnete.
Die Gruppe um Behrendt forderte eine realo-links-quotierte Spitze. Ratzmann
trat zurück, nicht ohne Abschiedsworte an seine Kritiker: „Ich sage klar
und deutlich, dass ich die vier Personen nicht für geeignet halte, in
irgendeiner Form in Landesverband oder Fraktion repräsentative Funktionen
zu übernehmen.“ Durchsetzen konnte er sich damit nicht: Behrendt wurde
später Senator, Canan Bayram übernahm Deutschlands bislang einziges grünes
Direktmandat, und Kahlefeld und Altug vertreten wichtige Themenfelder in
der Fraktion.
Ratzmanns Nachfolgerin wurde Kapek. Eine schwierige Situation für die
Grünen und die Fraktion sei das gewesen, sagte die zu Beginn dieser Woche
in einem Pressegespräch. 2011 war das Jahr, in dem die Grünen mit Renate
Künast als Spitzenkandidatin und Umfragewerten um die 30 Prozent ähnlich
wie 2021 auf das Rote Rathaus hoffen, nach der Wahl aber in der Opposition
landeten. Kapek erinnerte daran, dass damals eine bei der Versöhnung
geholfen habe, die die Grünen in diesem Jahr ganz nach oben führen soll:
Die [2][aktuelle Spitzenkandidatin] Bettina Jarasch war damals gerade ein
halbes Jahr Landesvorsitzende. Und Ratzmann? Den habe man für die digitale
Geburtstagsfeier am Donnerstag um ein Grußwort gebeten. Laut Jarasch hilft
er, nach Jahren als baden-württembergischer Staatsskretär inzwischen
Lobbyist für die Deutsche Post, ihr im Wahlkampf in Fragen des
Wirtschaftsverkehrs.
## Grüne sind geschlossen
Vier der neun ersten AL-Abgeordneten sind nach Fraktionsangaben gestorben,
viele andere aus vergangenen Jahrzehnten aber sollen bei der Digital-Party
am Donnerstag dabei sein, am Vorabend des Geburtstags. Dazu gehört auch
Hilde Schramm, inzwischen 85 – sie war 1989 die erste grüne Vizepräsidentin
des Parlaments. Rein technisch, so hat Kapek am Montag versichert, könnte
ein Drittel aller Berliner im Netz – unter
[3][gruene-fraktion.berlin/40Jahre] – mitfeiern, die technischen
Voraussetzungen dazu seien da.
Knapp zehn Jahre nach dem Beinahe-Schisma ist die Fraktion laut Kapek so
geschlossen, dass diese Geschlossenheit aus ihrer Sicht das größte Pfund
ist – „da gucken andere Fraktionen mit Neid auf uns“. Dass die im Frühja…
boomenden Grünen am Sonntag in Sachsen-Anhalt einen Rückschlag erlitten und
gegenüber den Umfragen deutlich zurückblieben, soll keine Aussagekraft für
Berlin haben. In Sachsen-Anhalt, so Jaraschs Analyse, hätten auch Grüne die
CDU gewählt, um einen Wahlsieg der AfD zu verhindert. „In Berlin ist das
eine völlig andere Situation, hier führen wir“, sagte Jarasch. Vieles hat
sich für die Spitzenkandidatin zwar gegenüber 1981 geändert – wie eben,
dass der damaligen Anti-Parteien-Partei nun das Anführen zugetraut werde.
Anderes aber ist geblieben, wie die Forderung nach einer autofreien Stadt:
Die wollte die AL schon 1985 binnen zehn Jahren erreichen. Heute drängen
Fraktion und Partei auf eine zumindest verbrennungsmotorfreie Innenstadt
bis 2030. Und so wie man heute den Kohleausstieg propagiere, habe man schon
in den 80ern dem damaligen Wirtschaftssenator eine Kohleladung vor die Tür
gekippt. Und die AL war es auch, die 1987 mit Sevim Celebi erstmals
jemanden mit Migrationshintergrund in ein deutsches Landesparlament
brachte. „Es zeigt, dass wir schon immer am Puls der Zeit waren“, sagte
Kapek am Montag. Das brauche man auch: „Denn unser Anspruch war immer: die
Welt retten.“
Für den 40.Geburtstag der Fraktion am Freitag ist weit besseres Wetter
angesagt als beim ersten Einzug ins Parlament 1981. Ein Grußwort soll bei
der Feier auch von einem kommen, der damals 39-jährig dabei war, aber eben
nicht bei den Grünen, sondern ganz bei der CDU: [4][Eberhard Diepgen], der
Fraktionschef der Christdemokraten war und 1984 Weizsäcker als
Regierungschef ablöste. Ein Jahr nach dem AL-Einzug sagt er damals der
Zeit: „Das Parlament ist stark genug, mit der neuen Situation fertig zu
werden.“
10 Jun 2021
## LINKS
[1] /Abgeordnetenhauswahl-2021/!5694249
[2] /Parteitag-der-Berliner-Gruenen/!5762635
[3] https://gruene-fraktion.berlin/kampagne/40jahre/
[4] /Diepgen-und-Wowereit-uebers-Regieren/!5723421
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
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