# taz.de -- Nach dem Vulkanausbruch im Kongo: Weiterleben, irgendwie | |
> Im Kongo kehren viele Vulkanflüchtlinge nach Hause zurück. Denn jenseits | |
> der Stadt funktioniert nichts. Ein Ortsbericht aus Goma. | |
Bild: Diese Mutter aus Goma fand ihre Kinder erst sechs Tage nach der Massenflu… | |
GOMA taz | Stella Wasukundi erinnert sich genau. „Mitten in der Nacht haben | |
die Autoritäten uns aufgefordert, Goma zu verlassen. Sie hatten gesehen, | |
wie die Monusco (UN-Mission im Kongo) ihre Autos und ihre Weißen evakuiert. | |
Also sollten wir Schwarzen auch gehen. Zu Fuß. 23 Kilometer im Regen, bis | |
nach Sake. Als wir am frühen Morgen in Sake ankamen, waren die Preise schon | |
alle in die Höhe geschossen. Mit wie viel Geld sollten wir rechnen, wie | |
viele Tage sollten wir da bleiben? Wir mussten so schnell wie möglich nach | |
Hause, zumal wir aus Goma hörten, dass die berühmte Bande der ‚vierzig | |
Räuber‘ dabei war, in die leeren Häuser einzusteigen.“ | |
Inzwischen ist die Apothekenverkäuferin wieder zurück in Goma, mit ihrem | |
Mann und ihren drei Kindern. Das Leben als Vertriebene war nicht | |
auszuhalten, sagt sie. „Wir stehen am Anfang der Trockenzeit, da breiten | |
sich in der staubigen Hitze Seuchen aus. Alle diese spontanen Lager sind | |
Brutstätten für Krankheiten, zumal nichts vorbereitet wurde. Die | |
Autoritäten erpressen uns und sagen, wir sollen in den Lagern bleiben, | |
Hilfe sei unterwegs. Aber das Leben muss in Goma weitergehen!“ | |
Über 400.000 Menschen [1][flohen am Morgen des 27. Mai aus Goma], als die | |
Behörden die Evakuierung von 10 der 18 Stadtbezirke anordneten – aus Sorge | |
vor einem erneuten Vulkanausbruch, nachdem der Nyiragongo-Vulkan [2][am | |
Abend des 22. Mai Lava über Dörfer am nördlichen Stadtrand gespuckt] hatte | |
und [3][Erdbeben folgten]. Seit der Flucht ist der Vulkan ruhig geblieben, | |
und nun kehren die Menschen nach Goma zurück. Sie fühlen sich bestätigt | |
dadurch, dass am Samstag eine große Regierungsdelegation aus dem fernen | |
Kinshasa eintraf, wofür sogar der Flughafen von Goma wieder geöffnet wurde: | |
Wenn die dürfen, dürfen wir auch, finden die Leute. | |
„Ein Premierminister, zwölf Minister und ihre Experten, um die Lage | |
anzugucken!“, höhnt Maître Joseph Byenda. „Hätten sie nicht einfach ihre | |
Spesen für die humanitäre Hilfe spenden können?“ | |
## Die Marktfrauen sind wieder da | |
In Goma kehrt nun das Leben zurück. „Mihindii, birayii na manguooo ya | |
makukuuu!!!“ – die Rufe der Marktfrauen, die Mais, Kartoffeln und | |
Kleidungsstücke gegen Hühner tauschen, hallen durch die Straßen. „Ich habe | |
meinen Laden wieder aufgemacht und habe meine Familie auf dem Land | |
angerufen, damit sie Gemüse und Bohnen schickt“, sagt Riziki Nyarukanyi im | |
Stadtteil Ndosho. Nicht weit davon verkauft Furaha Kabumba „Saft“ aus | |
Wasser und löslichem Pulver für 100 kongolesische Franc (0,04 Euro) pro | |
halben Liter. Straßenkinder mit Beuteln über den Schultern halten Ausschau | |
nach Metallschrott, den sie an die Schrotthändler zum Export nach Uganda | |
und Ruanda verkaufen können. | |
Doch in der Vorstadt Mugunga macht sich Aline Musahada Sorgen, wie sie ihre | |
fünf Kinder durchbringen soll: „Unser Leben ist schwer. Vom Verkauf von | |
Müll und Plastik kann man nicht leben, wir haben keine Reserven.“ Die Lava, | |
die sich unter Goma angesammelt hat und die Angst vor einer neuen | |
gewaltigen Explosion nährte, mag sich verfestigt haben – ob das auch für | |
die Ausdauer der Menschen gilt, ist noch offen. | |
In Gomas zentralem Marktviertel Birere erklärt die Verkäuferin Sifa | |
Clarisse, dass ihr Mikrokreditsystem zusammenbrechen könnte: „Jeden Morgen | |
breiten wir in der Sonne unsere Ware aus. Abends zahlen wir aus dem Erlös | |
den Tageskredit bei unserer ‚Groupe de Solidarité Économique‘ zurück. Ab… | |
wenn wir zu wenig verkaufen, braucht jedes Mitglied seinen kompletten | |
Erlös, um zu überleben. Dabei brauchen wir den gemeinsamen Spartopf, aus | |
dem Geld verliehen wird.“ | |
## „Wir haben alles zurückgelassen“ | |
Außerhalb der Stadt ist es noch schwerer. „Wir haben unsere Häuser und all | |
unseren Besitz in Goma zurückgelassen, wir sind jetzt hier und haben | |
nichts“, sagt eine Mutter von sieben Kindern in der Kleinstadt Sake gut 20 | |
Kilometer westlich von Goma, „keine Toiletten, kein Wasser, kein Essen, | |
keine Unterkunft.“ | |
Aus Kiwanja, gut 70 Kilometer nördlich von Goma, berichtet am Telefon Marie | |
Rose Kasonia, Mutter von neun Kindern: „Das ist kein Leben hier. Was soll | |
aus meinen Kindern werden?“ Immerhin kam sie bei ihren Eltern unter. „Wir | |
haben Bons bekommen, mit denen wir Hilfe erhalten sollen. Es gibt hier noch | |
keine Ernte. Normalerweise lebe ich in Goma von meinem Verkaufsstand für | |
frische Lebensmittel auf dem kleinen Markt Mabanga. Meine Vorräte werden | |
jetzt zu Hause verfaulen. Ich habe nichts mitgenommen. Wir müssen nach | |
Hause, hier gibt es keine Zukunft. Aber es wird nicht leicht, wieder bei | |
null anzufangen.“ | |
Die Angst vor dem Vulkan scheint vorerst gebannt, jetzt entwickelt sich ein | |
unorganisiertes Hin und Her zwischen Goma und dem Umland, wo die geflohenen | |
Menschen sich niederließen. Denn von dort kommt normalerweise die | |
Frischware für Gomas Märkte. „Bei unseren Lieferanten in Kibumba oder | |
Masisi sitzen jetzt Vulkanflüchtlinge, wir haben ein großes | |
Nachschubproblem“, sagt eine Verkäuferin im Supermarkt Yesu ni Jibu in | |
Goma: „Unsere Käse- und Gemüsevorräte sind alle. Wir müssen schließen, w… | |
das so weitergeht.“ | |
Auf den Staat oder die UN-Hilfswerke warten die Leute nicht. Im lokalen | |
Radiosender Simba FM hat ein Moderator eine Hilfsaktion initiiert. Man kann | |
anrufen und seine Telefonnummer angeben, um entweder selbst zu spenden oder | |
Hilfsgüter zu bekommen. Teams fahren durch die zerstörte Siedlung Buhene | |
und das benachbarte Turunga, um Listen der Bedürftigen zu erstellen. | |
In den Masisi-Bergen westlich von Goma, an deren Fuß Sake liegt, hat der | |
lokale traditionelle König Mwami Primo Bauma zur Selbsthilfe aufgerufen: | |
„Das WFP (UN-Welternährungsprogramm) hat Probleme, alle zu erreichen. Die | |
Kirchen und Schulen müssen wieder arbeiten, wir müssen Unterkünfte bauen.“ | |
Kongos Regierung hat den 12. Juni zum „Nationalen Tag der Solidarität mit | |
Goma“ ausgerufen, aber der katholische Pater Jacques von der Gemeinde Notre | |
Dame du Mont Carmel schäumt vor Wut: „Diese Herren aus Kinshasa sammeln | |
Geld, um sich Spesen und Luxushotels in Goma zu leisten. Sie werden mit | |
Kameras kommen, um sich beim Verteilen von ein paar Säcken Reis filmen zu | |
lassen. Gott hat den Lavastrom gestoppt! Vertrauen wir ihm!“ | |
Unzählige Propheten und Prophetinnen verbreiten derweil bei den | |
Vertriebenen „göttliche“ Botschaften über die Sünden der Menschen und | |
Gottes Zorn. In Minova sagte eine Prophetin sogar das Datum des nächsten | |
Vulkanausbruchs voraus und sammelte Geld für Fürbitten. Dann verging das | |
Datum ohne Vulkanausbruch. Zum Glück ist sie schon auf der Flucht. | |
## Hilfe nach politischen Kriterien | |
Am schwierigsten ist die Lage für die Bewohner der Orte, die vom | |
Vulkanausbruch verschluckt wurden. „Die Obdachlosen aus Buhene sind bei | |
Gastfamilien in Turunga und anderswo untergekommen“, erklärte im UN-Sender | |
Radio Okapi der Stadtteilchef von Mugunga, Mutete Mwenyemali. „Sie haben | |
nichts mehr und werden so schnell nicht nach Hause können. Das gilt auch | |
für die aus anderen Stadtteilen, deren Häuser Risse bekommen haben, und | |
diejenigen, die auf der Flucht draußen auf der Straße viel verloren haben. | |
Hilfe muss in die Stadt Goma fließen, nicht nur in die Umgebung.“ | |
In Goma gab es bereits zwei große Hilfsverteilaktionen, aber die Hilfe wird | |
selektiv verteilt – an Mitglieder gewisser politischer Parteien, bekannte | |
Unterstützer der Regierungsmehrheit oder auch Verwandte derjenigen, die die | |
Listen der Bezugsberechtigten erstellen. Zuletzt wurde berichtet, dass 80 | |
Tonnen Hilfsgüter der Stiftung der Präsidentengattin Denise Nyakeru | |
verschwunden sind; es gibt erste Festnahmen. | |
Um vieles kümmert sich niemand. Die tagelangen Erdbeben ruinierten die | |
Hühnerzüchter, da die Eier kaputtgingen und verfaulten. Es kommt im Zuge | |
der Vulkankrise zu einer Häufung an Fehlgeburten, Schlaganfällen, | |
Angstzuständen. Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit oder auch Schüsse in | |
die Luft – zwei Plagen des Alltags in Goma – sind in dieser Situation | |
besonders nervig. Zu erwarten sind auch neue Konflikte um Grundbesitz, | |
Desinformation blüht in sozialen Netzwerken. | |
## Nicht warten, bis alles stabil ist | |
Derweil fragen sich alle, die in Goma ausharren oder dorthin zurückkehren: | |
Wie soll man weiter mit dem Vulkan leben, und wie entwickelt man eine | |
vernünftige gemeinschaftliche Politik dazu? Man kann nicht warten, bis alle | |
Risiken gebannt sind. Schon Gomas Bauboom in den vergangenen Jahren nach | |
Jahrzehnten des Verfalls wäre nie eingetreten, wenn die Unternehmer der | |
Stadt abgewartet hätten, dass Kongo sich stabilisiert. Behörden, | |
Unternehmerverband, Jugendverband, Kirchen, Schulverbände und | |
zivilgesellschaftliche Gruppen zogen an einem Strang, und darauf ist man in | |
Goma stolz. Es könnte ein Vorbild für die Zukunft sein. | |
Musole Maharaza, einer der vom Vulkan Vertriebenen aus der Vorstadt Buhene | |
am Nordrand von Goma, weist derweil darauf hin, dass der Lavastrom nur | |
Gomas ländliches Umland in Mitleidenschaft zog, das zum traditionellen | |
Königreich Bukumu gehört, nicht die Stadt selbst. | |
„Wissen Sie“, sagt er, „die alten Bakumu hatten noch Verbindungen zu ihren | |
Ahnen, um sich mit dem Vulkan zu arrangieren. Er fließt in die Felder, | |
nicht auf die Häuser. Und nach Ruanda, bevor er zu uns abbiegt. Heute ist | |
alles zerstört. Ich habe nichts mehr. Nicht einmal mehr einen Teller. Aber | |
ich werde zurückgehen. Ich kann nicht woanders leben. Kurz vor dem Ausbruch | |
gingen in Buhene die Jugendlichen mit Eisenstangen aufeinander los, um sich | |
mit Gewalt um Grundbesitz zu streiten. Als der Vulkan ausbrach, dachten die | |
Alteingesessenen, die Lava werde sicherlich nur die Zugezogenen treffen. | |
Eine größere Gewalt als die menschliche machte uns schließlich alle gleich. | |
Jeder wünschte seinem Nachbarn Unglück. So kam das Unglück über alle.“ | |
6 Jun 2021 | |
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Prosper Hamuli | |
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