# taz.de -- Gewalt im Ostkongo: „Das ist kein Leben hier“ | |
> In der Provinz Ituri ist fast ein Drittel der Bevölkerung auf der Flucht. | |
> Eine Reise durch Vertriebenenlager, in die kaum noch Hilfe kommt. | |
Bild: Noch eines der besseren Camps, denn die Stadt ist nicht weit: Das Vertrie… | |
ITURI taz | Wie verlorene Städte tauchen sie aus der endlosen Savanne auf, | |
durch die sich die einzige befahrbare Straße schlängelt: die großen | |
Vertriebenenlager aus Plastikplanen, in denen mittlerweile ein Großteil der | |
ländlichen Bevölkerung des Distrikts Djugu im Herzen der | |
nordostkongolesischen Provinz Ituri lebt. „In den drei großen Lagern Linji, | |
Jina und Magkwo allein haben wir über 50.000 Vertriebene“, erklärt Lonema | |
Dramani vom Hilfswerk Caritas aus der Provinzhauptstadt Bunia. „Wir | |
versuchen, so gut es geht, sie mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, aber | |
sie leben im totalen Elend.“ | |
Ituri ist seit Jahrzehnten Kriegsgebiet. Im südlichen Teil, dem Distrikt | |
Irumu, begehen die ursprünglich ugandischen, als Islamisten bezeichneten | |
[1][Rebellen der ADF] (Allied Democratic Forces) Massaker; sie sind vor | |
allem in der benachbarten Provinz Nord-Kivu aktiv. | |
Im zentralen Distrikt Djugu, wo Ituris Hauptstadt Bunia liegt, bekämpft die | |
Miliz [2][Codeco (Coopérative pour le développement économique au Congo)], | |
die sich hauptsächlich aus der Ethnie der Lendu rekrutiert, die Armee und | |
vertreibt Angehöriger anderer Ethnien. Nach lokalen Schätzungen sind fast | |
zwei Millionen der 5,7 Millionen Einwohner Ituris mittlerweile Vertriebene, | |
über vier Millionen leiden nach UN-Angaben Hunger. | |
Im Lager Jina außerhalb der Stadt Fataki mit über 10.000 Menschen kratzen | |
die Vertriebenen Gräser und Äste zusammen und verkaufen sie, um etwas zu | |
Essen zu bekommen. „Es geht nicht mehr“, sagt Kolidri Byaruhanga, der | |
irgendwie seine Frau und acht Kinder am Leben halten muss. „Ich würde so | |
gerne nach Hause gehen. Diese Milizen, die unsere Dörfer besetzt haben, | |
müssen endlich rausgeworfen werden. Der Staat muss sie verjagen.“ | |
Manche sind schon zum dritten Mal auf der Flucht, weil ihre erste | |
Fluchtorte von den Kämpfen überrollt wurden – und jedes Mal rücken sie | |
näher an die Stadt Bunia heran. „Vor drei Jahren habe ich Kpandroma | |
verlassen“, erzählt Gertrude Lipoli im Lager Kigoze nahe Bunia. „Ich war in | |
Jina, aber als die Straße nach Fataki umkämpft war, musste ich mit meiner | |
Familie nach Linji ziehen, und jetzt bin ich wieder geflohen und | |
hierhergekommen.“ | |
## „Wir sind wie Gefangene“ | |
Die ländliche Region ist weitgehend menschenleer, aber die Lager sind | |
überfüllt. Privatsphäre gibt es nicht, auch keine Schulen für die Kinder | |
und Jugendlichen, die hier teils schon mehrere Jahre verbracht haben. „Das | |
sind Gulags“, lästert der geflohene Lehrer Jean Dedieu Arama. „Niemand wird | |
hier zur Arbeit gezwungen, aber seien wir ehrlich: Das ist kein Leben hier. | |
Wir sind wie Gefangene. Wenn man rausgeht, ist die Gefahr groß, dass die | |
Milizionäre der Codeco einen unter Beschuss nehmen.“ | |
Nationale und internationale Hilfswerke bemühen sich um die Versorgung der | |
Vertriebenen, aber nur wenig über die Lage in Ituri dringt nach außen. | |
[3][Große Massaker] machen zuweilen Schlagzeilen, die alltägliche Gewalt | |
nicht. Auf der großen Straße fahren die Helfer von Ärzte ohne Grenzen, vom | |
Norwegischen Flüchtlingsrat, von Save the Children und Caritas herum, aber | |
schon das ist riskant, denn die Milizen sind nicht weit und fast jeden Tag | |
finden irgendwo Kämpfe statt. Ausgebrannte Wracks von Autos und schweren | |
Lastwagen zeugen davon. Und praktisch jeden Kilometer gibt es einen | |
Checkpoint der Armee, wo Soldaten Geld verlangen. | |
„Das ist wie eine Selbstverständlichkeit geworden“, erzählt Fahrer Kambale | |
Sondirya über die Erpressung durch die Soldaten. „Wenn du nicht zahlst, | |
kannst du deine Haut lassen, einfach so, für nichts. Sie sind sehr nervös, | |
besonders seit [4][Verhängung des Kriegsrechts]. Wir machen mit, ohne uns | |
zu sträuben.“ | |
## Langes Warten auf den Frieden | |
Zu Jahresbeginn kontrollierte nicht die Armee, sondern die Miliz Codeco | |
diese Straße. Sie hatten Basen eingerichtet und an Checkpoints töteten sie | |
friedliche Bürger, ohne mit der Wimper zu zucken. „Die Codeco sind echte | |
Barbaren“, berichtet ein Lastwagenfahrer, der oft hier unterwegs ist und | |
seinen Namen lieber nicht nennen will. „Dein Leben ist ihnen egal, | |
besonders wenn du zur Ethnie der Hema gehörst. Dann darf man nicht | |
weiterfahren als Ngote, wo die Straße sich teilt. Und oft sind die | |
Codeco-Rebellen Kinder. Jemanden zu erschießen ist für sie ein | |
Kinderspiel.“ | |
Seit der Verhängung des Kriegsrechts ist die Codeco an einigen Stellen | |
zurückgewichen, aber die Kämpfe haben sich intensiviert und viele Straßen | |
in Ituri sind überhaupt nicht mehr passierbar. „Das Kriegsrecht hilft uns | |
nicht“, sagt Paul Manabule, ein weiterer Vertriebener im Lager Kigoze. „Wir | |
dachten, es würde jetzt alles sehr schnell gehen und die Milizen würden | |
unsere Dörfer verlassen, aber wir warten immer noch. Wie lange noch?“ | |
28 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /ADF-Rebellen-im-Kongo/!5661450 | |
[2] https://grip.org/la-codeco-au-coeur-de-linsecurite-en-ituri/ | |
[3] /Neue-Gewalt-im-Ostkongo/!5775755 | |
[4] /Gewalt-und-Protest-im-Kongo/!5765066 | |
## AUTOREN | |
Leon Simba | |
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