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# taz.de -- ADF-Rebellen im Kongo: Der Krieg, den keiner versteht
> Vor einem Monat verkündete Kongos Armee den Sieg über die ADF-Rebellen.
> Seitdem ist die Gewalt brutaler denn je, Hunderttausende fliehen.
Bild: Beni am 25. November 2019: Protestler zünden das Rathaus und das UN-Gel�…
Beni taz | Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit muss Jean-Edmond Nyonyi
Bwanakawa an seinem früheren Dienstsitz vorbei. Das Rathaus der
ostkongolesischen Großstadt Beni wurde am 25. November [1][von
Demonstranten angezündet], die gegen die ständigen Massaker und die
Untätigkeit der UN-Blauhelme protestierten. Benis Bürgermeister Nyonyi
musste in eine alte Residenz umziehen, wo sich jetzt seine Akten stapeln.
„Seit meiner Jugendzeit bin ich Politiker“, seufzt er und versinkt in
seinem Sessel, „ich war sogar Minister. Aber so einen Druck wie heute habe
ich noch nie verspürt. Wir sind eigentlich überfordert, aber wir versuchen
irgendwie durchzuhalten.“
Jede Woche werden im Umland von Beni Bauern getötet, zu Dutzenden. Als
Täter wird immer die einst ugandische Rebellenbewegung ADF (Allied
Democratic Forces) genannt, die seit vielen Jahren in den Bergen um Beni
aktiv ist. Im Jahr 2013 hatte Kongos Armee in einer [2][Großoffensive] die
ADF aus dem Semliki-Flusstal nahe der Grenze zu Uganda vertrieben, die
Rebellen verzogen sich in die Wälder. Mal blieb es ruhig – mal gab es neue
Überfälle.
Mal verdächtigte die lokale Bevölkerung die Armee, selbst hinter den
Massakern zu stecken – mal ging sie zur Unterstützung ihrer Soldaten auf
die Straße, vor allem im August 2019, als neue Armeekommandanten ernannt
und pompös eine „Endoffensive“ verkündet wurde. Aber danach wurde es nicht
besser, sondern schlimmer.
„Wir hatten Hoffnung, aber man hat uns verarscht“, sagt Jugendaktivist
Kambale Musubyo von der Protestgruppe „Veranda Mutsanga“ in Beni.
Ab Oktober warf die Armee alles in den Krieg gegen die ADF, was sie hatte.
Ein Generalstab wurde in Beni installiert, elf Generäle mit roten
Epauletten und großen Schutztruppen. In diesem Januar wurden gigantische
Siege verkündet, so die Einnahme des ADF-Hauptquartiers Medina. Die
Bevölkerung jubelte. Wenige Wochen später gingen die Massaker erneut los,
doppelt so heftig wie zuvor und auch in bisher friedlichen Gegenden.
„Will man uns für dumm verkaufen?“, ärgert sich Mulyata Kaghotse aus dem
Dorf Mayimoya, das fünfmal überfallen worden ist. „Erst wird der Sieg
verkündet, dann gibt es noch mehr Massaker. Früher wurde nie auf der
Westseite der großen Straße getötet. Aber jetzt ist es überall. Wie kann
das sein, wo doch 21.000 Soldaten als Verstärkung entsandt worden sein
sollen? Was machen die eigentlich?“
## Verwirrende offizielle Stellungnahmen
Die Armee schweigt. Ihr Sprecher Mike Hazukay wurde in die Hauptstadt
Kinshasa versetzt. Das Schweigen vergrößert die Unsicherheit. Die wenigen
Verlautbarungen sind widersprüchlich. Anfang vergangener Woche erklärte
Benis Bürgermeister, er befürchte eine Infiltration seiner Stadt durch die
Killer. Am nächsten Tag bezeichnete eine Presseerklärung der Armee die
Stellungnahme des Bürgermeisters als Lüge. Wenige Tage später wurde das
Dorf Pasisi angegriffen, nur fünf Kilometer nordwestlich der Stadt.
Auch die UN-Mission im Kongo (Monusco) verhält sich unklar. Anfang Februar
verkündete sie, über 40 ADF-Rebellen gefangengenommen und an Kongos Armee
übergeben zu haben. Als lokale Gruppen das anzweifelten, gestand die
UN-Mission, sich sowohl zur Anzahl als auch zur Identität der Gefangenen
geirrt zu haben.
Die Armee hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Als im November
Dutzende von Menschen in Benis Stadtvierteln Baykene und Masiani
massakriert wurden, jagten die Soldaten nicht die Rebellen, sondern die
Hinterbliebenen, um sie daran zu hindern, die Leichen selbst zu bergen.
„Wir dürfen nicht trauern“, empört sich die Kusine eines Toten, die anonym
bleiben möchte.
## Artillerie in den Wald
Die [3][Militärstrategie gegen die ADF] überzeugt niemanden. Erst beschoss
die Armee den Wald mit Artillerie. Dann stießen die Soldaten in den Wald
vor und verkündeten spektakuläre Siege, ohne Nachweis. Früher war das
anders, erinnert sich ein lokaler Journalist, der diesen Konflikt seit
Langem beobachtet: „General Lucien Bauma ging selbst an die Front, und bei
jedem Sieg lud er die Presse ein, um sich selbst zu überzeugen. Heute
werden einfach Siege behauptet, ohne Zeugen.“
Ein pensionierter Offizier bemängelt: Die Armee konzentriere sich auf das
Gebiet östlich der Fernstraße, die Ostkongo hier von Nord nach Süd
durchzieht, und habe übersehen, dass die Rebellen längst auf der Westseite
aktiv sein. „In einem Guerillakrieg muss man seinen Feind kennen. Wenn er
da zuschlägt, wo es am wenigsten erwartet wird, verliert man die Moral. Das
ist, was in Beni passiert. Die Soldaten konzentrieren sich auf den Wald
Mayangose und haben Rückzugskorridore Richtung Westen unbewacht gelassen.
Der Feind ist sehr mobil, er zieht sich aus dem Osten des Gebiets zurück
und schlägt nach Belieben im Westen zu.“
## „Beni ist von Killern umringt“
Auf diese Weise sind seit Mitte Januar über 200 Menschen Massakern zum
Opfer gefallen. Wer die Täter genau sind, ist Objekt von
Verschwörungstheorien. Soldaten aus Ruanda hätten Kongos Armee infiltriert
und seien entweder Komplizen der ADF oder würden selbst als ADF auftreten,
lautet eine Theorie – antiruandische Ressentiments sind in diesem
Landesteil tief verankert. Sogar der katholische Kardinal von Kinshasa
denunzierte „eine Politik der Landnahme durch Ausländer im Hinblick auf
eine Balkanisierung dieses Landesteils“.
Die Parlamentsabgeordnete Jeannette Kavira Mapeta sagt: „Solange unsere
Armee infiltriert ist, bleibt es schwer, diesen Krieg zu gewinnen.“ Ihr
Amtskollege Kasereka Kizerbo behauptete jetzt in lokalen Medien: „Die Stadt
Beni ist von Killern umringt, die bald in großem Maßstab zur Tat schreiten
werden.“
Der Kommandeur der Armeeoperation gegen die ADF, General Jacques Nduru, hat
am Wochenende verkündet: „All jene, die sich mit der Waffe gegen die
Republik erhoben haben, werden in den kommenden Tagen vernichtet.“
Verkompliziert wird die Lage aber dadurch, dass es neben Armee und ADF noch
mehr bewaffnete Akteure gibt. Lokale Selbstschutzmilizen, die unter dem
Sammelbegriff „Mai-Mai“ bekannt sind, greifen jetzt ebenfalls die Armee an,
weil sie wütend über deren Ineffizienz sind. „Wir müssen diese jungen Leute
daran erinnern, dass ihre Pflicht wäre, der Armee zu helfen statt sie
anzugreifen“, ärgert sich der Wahlkreisabgeordnete von Beni, Jean-Paul
Ngahangondi.
Auch bei den Mai-Mai ist zuweilen unklar, wer genau sie sind. „Manchmal
greifen sie die Soldaten an, manchmal die ADF, aber man kennt weder ihre
Führer noch ihre Motivation“, erklärt der lokale Journalist Patriote Taypa,
der diesen Krieg seit Jahren beobachtet.
Dazu kommt, dass Beni noch immer unter der [4][Ebola-Epidemie] leidet, die
über 2.250 Tote gefordert hat. Und zu Tausenden drängen jetzt verängstigte
Dorfbewohner in die Stadt, die in Beni auf Sicherheit hoffen, aber keine
Hilfe bekommen. Tagsüber hängen sie herum, nachts schlafen sie mit Angst im
Bauch.
## „Als habe die Welt uns vergessen“
Der Dachverband der Zivilgesellschaft der Stadt spricht von über 200.000
Vertriebenen in Gastfamilien ohne jede Unterstützung. „Es ist, als habe die
Welt uns vergessen“, sagt Kizito Bin Hangi, Präsident des Dachverbandes.
In Oicha, 30 Kilometer nördlich von Beni, wechseln sich Schüler und
Kriegsflüchtlinge auf den Bänken der Schulen ab: Tagsüber werden Kinder
unterrichtet, bei Sonnenuntergang verwandeln sich die Klassenzimmer in
Schlafräume bis zum Morgengrauen. „Es sind unerträgliche Bedingungen“,
empört sich Noella Muliwavyo von der lokalen Zivilgesellschaft. „Wo sind
UNHCR und die anderen Hilfsorganisationen? Wo ist der kongolesische Stadt?“
Die internationale Gemeinschaft ist auf den Kampf gegen Ebola fixiert – die
Vertriebenen müssen warten. Zu Wochenbeginn ist Kongos
Parlamentspräsidentin Jeanine Mabunda nach Beni gereist. Sie hat ein wenig
Hilfe für die Vertriebenen von Oicha mitgebracht – aber „ein paar Kartons
mit Sardinen und ein paar Flaschen Speiseöl bringen keinen Frieden“, findet
Muliwavyo. „Der Staatspräsident ist gekommen, der Generalstabschef – aber
die Lage wird immer schlimmer.“
Noch während Mabunda in der Region weilte, überfielen die Killer in der
Nacht zum Dienstag das Dorf Halungupa 15 Kilometer außerhalb von Beni und
töteten zehn Bauern. Ein Ende der Tragödie ist nicht in Sicht.
19 Feb 2020
## LINKS
[1] /Proteste-im-Kongo/!5644269/
[2] /!5050146/
[3] /Kongos-Krieg-gegen-den-Terror/!5654162/
[4] /Ein-Jahr-Ebola-Virus-im-Kongo/!5610235/
## AUTOREN
Kennedy Muhindo
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