# taz.de -- Neue Gewalt im Ostkongo: Kriegsrecht bringt erst mal Krieg | |
> Mindestens 65 Menschen sterben im Ostkongo beim einem blutigen Massaker. | |
> Die Provinz Ituri, wo Rebellen der ADF nun aktiv sind, versinkt in | |
> Gewalt. | |
Bild: Kongolesische Soldaten in der Provinz Nord-Kivu, einem der Gewalt-Brennpu… | |
BERLIN taz | Erst waren es drei Tote. „Die Suche dauert an, um weitere | |
Leichen im Busch zu finden“, berichtete am Montagmorgen Gili Gotabo, | |
Koordinator des zivilgesellschaftlichen Dachverbands des Distrikts Irumu in | |
der ostkongolesischen Provinz Ituri über den nächtlichen Überfall in der | |
Kleinstadt Boga, wo 26.000 Kriegsvertriebene schutzlos leben. Einen | |
weiteren Toten gebe es im Nachbarort Tchabi. | |
Einige Stunden später waren es schon 39 Tote. Dann 50. Dann 65. Es ist | |
damit die blutigste Nacht im Ostkongo dieses Jahr. Ituri und Nord-Kivu sind | |
seit dem Amtsantritt von Kongos Präsident Félix Tshisekedi 2019 die | |
wichtigsten Brennpunkte von Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo. | |
Von den laut UN 5,2 Millionen Binnenvertriebenen des Landes entfallen auf | |
diese beiden Provinzen 3,5 Millionen, rund ein Drittel ihrer | |
Gesamtbevölkerung. | |
Die mörderischste bewaffnete Gruppe ist die ursprünglich ugandische [1][ADF | |
(Allied Democratic Forces)] im Gebiet um Beni in Nord-Kivu. Sie hat ihre | |
Aktivitäten nach Ituri ausgeweitet – ihre Rückzugsgebiete sind die dichten | |
Wälder im Grenzgebiet der beiden Provinzen. Nach UN-Angaben hat die ADF in | |
Ituri im Jahr 2020 mindestens 849 Menschen getötet. Auch für das neue | |
Massaker wird sie verantwortlich gemacht. | |
## Wer kann, greift zu den Waffen | |
Angesichts hartnäckiger Verdächtigungen, dass Teile der Armee mit der ADF | |
unter einer Decke stecken, haben sich unzählige lokale Milizen zur | |
Selbstverteidigung gebildet. Sie rekrutieren auf ethnischer Grundlage und | |
lassen damit alte Feindschaften aus den Kongokriegen vor zwanzig Jahren | |
wieder aufleben. | |
Im April erreichten die Massaker der Miliz FPIC (Patriotische | |
Integrationistische Kräfte des Kongo) Außenviertel der Provinzhauptstadt | |
Bunia. Die FPIC rekrutiert sich aus der Lendu-Volksgruppe und macht Jagd | |
auf Hema – schon vor zwanzig Jahren war das die Hauptkonfrontationslinie in | |
Ituri. Im Süden Ituris um Boga wiederum lassen sich immer mehr Nande und | |
Hutu nieder, die zwei größten Volksgruppen der Nachbarprovinz Nord-Kivu, | |
deren Politiker dort miteinander verfeindet sind. | |
Während die ADF in Nord-Kivu als Miliz ugandischer Nande gilt, wird sie in | |
Ituri als Speerspitze einwandernder Hutu bewertet. Diese hält man pauschal | |
für Fremde aus Ruanda. Mehrere traditionelle Führer der Region um Boga und | |
Tchani wurden bereits getötet, weil sie Land an Hutu verkauft hatten. | |
Dieser Wirrwarr macht deutlich, wieso das [2][Kriegsrecht], das Kongos | |
Präsident Félix Tshisekedi am 30. April über Ituri und Nord-Kivu verhängte | |
und das seit 6. Mai gilt, noch nichts gebracht hat. Es wurden nicht nur | |
neue Militärgouverneure und Militärbürgermeister ernannt, auch die gesamte | |
Kommandoebene der Armee wurde umbesetzt. | |
Das bringt zunächst vor allem Unordnung – und ein Machtvakuum dort, wo die | |
Armee nicht präsent ist und wo die zivilen Autoritäten jetzt nicht wissen, | |
ob sie eigentlich noch im Amt sind. Jeder, der kann, greift nun zu den | |
Waffen. | |
In Nord-Kivu monopolisiert der [3][Ausbruch des Nyiragongo-Vulkans] am 22. | |
Mai alle Aufmerksamkeit. In Ituri will Militärgouverneur Johnny Luboya die | |
ADF gnadenlos bekämpfen, wie er sagt – aber aktuell schlägt nicht die Armee | |
zu, sondern die ADF. Derweil beklagen in Ituris Hauptstadt Bunia Zivilisten | |
Übergriffe von Soldaten im Namen des Kriegsrechts. Lonema Vadjeru, | |
Präsident des Honoriatorenverbands von Ituri, äußerte vor wenigen Tagen | |
Enttäuschung über Untätigkeit gegen Milizen und sagte: „Wir stellen fest, | |
dass das Banditenwesen in Bunia blüht und dass die Milizen ihre Aktivitäten | |
in Anwesenheit der Militärbehörden wieder aufgenommen haben.“ | |
1 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /ADF-Rebellen-im-Kongo/!5661450 | |
[2] /Kriegsrecht-im-Kongo/!5769440 | |
[3] /Humanitaere-Krise-im-Kongo/!5771556 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
Ostkongo | |
Ituri | |
Nord-Kivu | |
ADF | |
Kongo | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Den Haager Gerichtshof zu Uganda: Entschädigung für Kongo | |
Das UN-Gericht verurteilt Kampala aufgrund des Militäreinsatzes in der | |
Provinz Ituri zur Zahlung von rund 325 Millionen US-Dollar an Kongo. | |
Armeewillkür im Kongo: An der Straßensperre erschossen | |
In einem Dorf in der Demokratischen Republik Kongo erschießt ein Soldat | |
eine Schülerin an einer Straßensperre. Der Vorfall sorgt für Empörung. | |
Kriegsrecht im Kongo: Kein Frieden für die Friedlichen | |
Das Kriegsrecht im Osten Kongos folgt auf gewaltsames Vorgehen gegen | |
friedliche Proteste. Auch der Tod eines prominenten Imam wirft Fragen auf. | |
Gewalt und Protest im Kongo: Kriegsrecht soll Frieden bringen | |
Präsident Tshisekedi hat im Osten Kongos das Kriegsrecht ausgerufen. Dort | |
protestieren die Menschen seit Monaten gegen zunehmende Gewalt. | |
Proteste im Kongo: Aggression auf der Straße | |
Straßenkämpfe zwischen Ethnien, Morde, Plünderungen: Der Protest gegen die | |
Unsicherheit im Osten der DR Kongo schlägt in Gewalt um. |