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# taz.de -- Ein Augenzeugenbericht aus Kongo: Als der Himmel Feuer fing
> Wie Kongos Millionenstadt Goma den Ausbruch des Nyiragongo-Vulkans erlebt
> hat – und wie es jetzt weitergeht. Ein Augenzeuge berichtet.
Bild: Manche haben Glück – andere nicht: am Rande der Lavamassen des Nyirago…
Goma taz | Der Abendhimmel scheint zu brennen, er hat eine leuchtend rote
Farbe angenommen. Es ist der frühe Samstagabend in Goma, der Millionenstadt
im Osten der Demokratischen Republik Kongo, Hauptstadt der Provinz
Nord-Kivu. Ganz Goma richtet die Augen auf den Nyiragongo-Vulkan, der 20
Kilometer entfernt über der Stadt thront. Das Gerücht verbreitet sich wie
eine Staubwolke: [1][Der Vulkan ist ausgebrochen].
Soziale Netzwerke steigern die Angst: Es werden Bilder von Lavaströmen
verbreitet, von denen behauptet wird, dass sie vom Nyiragongo stammen und
in Richtung der Stadt unterwegs seien, wie im Jahr 2002, als Teile Gomas
zerstört wurden.
In Ermangelung jedweder offiziellen Kommunikation verwandeln sich
Bürgeraktivisten in Journalisten. Alle möglichen „Wahrheiten“ und
„Flash“-Meldungen kursieren, Widersprüche ebenso wie Tatsachen.
Es stellt sich heraus: Ja, es gibt einen Vulkanausbruch, und zwar
tatsächlich der Nyiragongo und nicht sein Nachbarvulkan Nyamulagira. Es ist
ein „weicher“ Ausbruch, nicht aus dem Krater, sondern aus einer Bergflanke
an der nördlichen und östlichen Seite, die von Goma abgewandte. Ein
Lavastrom ist unterwegs über Kibumba in Richtung ruandische Grenze. Die
Stromlinie aus dem Wasserkraftwerk Matebe, betrieben vom
Virunga-Nationalpark, ist unterbrochen, was große Teile Gomas in Dunkelheit
gestürzt hat, und die Hauptstraße, die aus Goma Richtung Norden führt, ist
komplett abgeschnitten. Die UN-Mission im Kongo ist mit Hubschraubern
unterwegs, um den Lavastrom aus der Luft zu beobachten.
## Stundenlang sagen die Behörden nichts
Erst nach 21 Uhr gibt es die erste Ansage der Behörden an die Bevölkerung:
Goma wird evakuiert, gemäß den Anweisungen des Zivilschutzes. Dieser
verlangt als Erstes, Kranke in zwei Kliniken zu bringen, und ruft die
Menschen in Goma dazu auf, die Stadt in Richtung Westen zu verlassen, zu
Fuß.
Unverzüglich machen sich Tausende auf den Weg – Richtung Osten, zur Grenze
mit Ruanda. Die ist aber schon geschlossen zu dieser späten Stunde. Viel
später erst werden einige Tausend durchgelassen. Diejenigen, die Richtung
Westen ziehen, verstopfen schnell die Hauptstraße und produzieren Staus und
Unfälle, einer davon tödlich, als ein Lastwagen umkippt. Die Menschen
verbringen schließlich die Nacht auf der Straße.
Nach Mitternacht erst ergreift im Staatsrundfunk ein Vulkanologe das Wort.
Kasereka Mahinda Célestin, wissenschaftlicher Leiter des
Vulkanobservatoriums von Goma (OVG), erklärt: Der Lavastrom hat sich in
zwei Ströme gespalten. Einer, ziemlich flüssig und schnell, aus einer
Spalte im Vulkan zwischen den Anhöhen Shaheru und Kilimanyoka, fließt über
den „Friedhof der Weißen“ in Kibati Richtung Ruanda, mit rund fünf
Stundenkilometern.
Der andere, eher zäh und langsam, aus einer Spalte zwischen Shaheru und dem
Dorf Muraho, bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von rund einem Kilometer
pro Stunde in Richtung der nördlichen Vorstädte von Goma, Kihisi und
Buhene, wo sie zum Stillstand kommt.
Der Experte hat gleich eine originelle Empfehlung zum Umgang mit diesem
Lavastrom parat: „Wenn er die Straße erreicht, werden wir die Jugendlichen
mobilisieren, um ihn mit Steinen aufzuhalten. Wir werden Steine anhäufen,
um ihm den Weg zu versperren, denn er ist solide und die Temperatur ist
niedrig genug, um die Steine zu verschmelzen, die wir schon gesammelt
haben.“
## Eine Nacht unter freiem Himmel
Die Bevölkerung ist schockiert. Sie erfährt, dass das Vulkanobservatorium
seit Monaten nicht mehr arbeiten kann, weil die Weltbank ihre Finanzierung
wegen Unregelmäßigkeiten gestrichen hat. Es gibt einen Zivilschutz, aber er
verfügt über keinerlei Mittel. Die Militärbehörden an der Spitze der
Provinz, ernannt nach der Verhängung des Kriegsrechts vor wenigen Wochen,
haben eine Reaktivität, die eher zu den Problemen beiträgt als zu ihrer
Lösung. „Unsere Autoritäten sollten lernen, sich sicher über das zu sein,
was sie mitteilen, und es klar mitteilen“, schreibt einer auf Facebook.
Die Bevölkerung verbringt die Nacht unter freiem Himmel. Es regnet. Sobald
es Tag wird, gehen die Leute nachschauen, ohne zu warten, dass die Lava
erkaltet ist, und ohne Hilfe. Die Menschen stellen an diesem Sonntagmorgen
fest: Die Lava hat vor den Toren von Goma Halt gemacht. Es ist
Pfingstsonntag, einige Kirchen haben geöffnet. Die Erde bebt immer wieder,
aber das Leben in Goma ist sowieso immer eine Art Glaubensakt.
Die Nacht zum Montag ist unruhig. Die Erde bewegt sich hin und her und
grollt, einige Beben erreichen 5,3 auf der Richterskala. In Häusern
entstehen Risse, Mauern fallen zusammen. Das OVG versucht, die Menschen zu
beruhigen: Die Magma tief im Vulkan sei dabei, ein neues Gleichgewicht zu
finden.
## Weder Hilfsangebote noch Steuerung
Am Vorabend hat der Militärgouverneur von Nord-Kivu, flankiert von seinem
Stellvertreter aus der Polizei, im Anschluss an eine „Krisensitzung“ die
Bevölkerung kritisiert: Sie sei nach Hause gegangen, ohne auf eine
Anweisung der Behörden zu warten. Das erklärt sich allerdings dadurch, dass
die Evakuierungsanordnung vom Samstag von keinerlei Logistik der Behörden
begleitet war. Es gab weder Hilfsangebote noch polizeiliche Steuerung,
stattdessen Diebstähle und Plünderungen.
Die amtliche Bilanz vom Sonntagabend: Die Lavaströme haben 17 Dörfer
getroffen, 15 Menschen sind gestorben, darunter neun bei dem schweren
Verkehrsunfall vom Samstagabend. Vier Häftlinge brachen aus dem
Zentralgefängnis von Goma aus und wurden von der Polizei erschossen, zwei
Menschen sind in der Lava verbrannt. 4.000 Kongolesen haben sich aus Goma
nach Ruanda in Sicherheit begeben und alle sind mittlerweile wieder
zurückgekehrt, bis auf 40, die noch abwarten wollen.
Die Behörden haben jetzt alle Schulen und Hochschulen bis auf Weiteres
geschlossen. Die Erde bebt weiter und es werden weitere Tote vermeldet,
Opfer der Gase, die aus der Lava austreten. Und man darf sich auf neue
Konflikte vorbereiten. [2][In Buhene], wo der Lavastrom zum Stillstand kam,
gingen erst im April Jugendliche mit Macheten aufeinander los, in einem
Streit um Grundbesitz zwischen ethnischen Gemeinschaften, die sich
feindselig gegenüberstehen und gegenseitig ausschließen wollen. Für solche
Konflikte ist das Kriegsrecht nicht gemacht. Und der umstrittene Boden ist
nun unter Lavasteinen verschwunden.
Der Autor ist ausgebildeter Radiojournalist und zivilgesellschaftlicher
Aktivist im Ostkongo. Aus dem Französischen von Dominic Johnson.
24 May 2021
## LINKS
[1] /Vulkanausbruch-im-Kongo/!5774009
[2] /Proteste-im-Kongo/!5764925
## AUTOREN
prosper hamuli
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