# taz.de -- Karlsruhe zu EZB-Anleihe-Ankauf: Niederlage für Euro-Kritiker | |
> Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Antrag der Kläger Gauweiler und | |
> Lucke ab – und beendet den langen Streit übers | |
> EZB-Anleihe-Ankaufprogramm. | |
Bild: Hat die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten? | |
Der dramatische Streit über die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank | |
(EZB) ist vorerst zu Ende. Das Bundesverfassungsgericht lehnte letzte | |
Anträge der Euro-Kritiker Bernd Lucke (Ex-AfD) und Peter Gauweiler (CSU) | |
ab. Damit wurde auch der Konflikt der Karlsruher Richter:innen mit der | |
EU vorläufig beendet. Um die Bedeutung der aktuellen Karlsruher | |
Entscheidung zu verstehen, ist ein Blick auf die lange Vorgeschichte des | |
Konflikts erforderlich. | |
Von März 2015 bis November 2019 kaufte das Eurosystem, zu dem die | |
Zentralbanken aller Euro-Staaten gehören, Staatsanleihen im Wert von über 2 | |
Billionen Euro auf. Mit dem sogenannten PSPP-Programm (Public Sector | |
Purchase Programme) verfolgte die EZB geldpolitische Ziele. Bei den Banken | |
sollte Liquidität freigesetzt und damit Kreditvergabe und Wirtschaft | |
angekurbelt werden. So sollte Deflation verhindert werden, die wiederum zu | |
Kaufzurückhaltung führen könne. | |
Dagegen hatten Euro-Kritiker wie Lucke und Gauweiler bereits 2015 beim | |
Bundesverfassungsgericht geklagt. Mit dem Programm betreibe die EZB | |
unerlaubte Staatsfinanzierung und Wirtschaftspolitik. Denn der Aufkauf von | |
Staatsanleihen ermögliche den stark verschuldeten EU-Staaten eine | |
zinsgünstige Refinanzierung. | |
Zunächst machten sich die Verfassungsrichter:innen diese Vorwürfe zu | |
eigen. 2017 sahen sie „gewichtige Anhaltspunkte“, dass die EZB ihr Mandat | |
überschritten hat. Sie legten deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) | |
die Frage vor, ob auch er die EU-Verträge verletzt sieht. Laut EuGH-Urteil | |
von 2018 verstieß das PSPP-Programm jedoch nicht gegen EU-Recht. | |
## Deutschland gegen die EU | |
Dennoch gab das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 den | |
Verfassungsbeschwerden von Lucke und Gauweiler statt. Die EZB habe weder | |
geprüft noch festgestellt, dass der Anleiheankauf verhältnismäßig ist, | |
obwohl das Ankaufprogramm große Auswirkungen auf Staatshaushalte, | |
Sparer:innen und Kreditnehmer:innen habe. Weil sie eine Abwägung mit | |
ihren geldpolitischen Zielen unterließ, habe die EZB ihr Mandat | |
überschritten, so die Verfassungsrichter:innen. | |
Zugleich rüffelten sie den EuGH, weil er in seiner Prüfung des | |
EZB-Programmes die wirtschaftlichen Auswirkungen des EZB-Programms „völlig | |
ausgeblendet“ habe. Das sei keine ordentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung, | |
sondern „schlechterdings nicht mehr vertretbar“. Das EuGH-Urteil müsse | |
deshalb in Deutschland ignoriert werden. | |
Immerhin folgte das Verfassungsgericht dem EuGH in einem anderen Punkt. Es | |
liege kein offensichtlicher Verstoß gegen das Verbot der Staatsfinanzierung | |
durch die EZB vor. | |
Das Karlsruher Urteil wurde als großer Affront der deutschen | |
Verfassungsrichter:innen gegenüber den EU-Institutionen wahrgenommen. | |
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, kündigte an, sie | |
werde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland prüfen. Die | |
Prüfung läuft noch. | |
## Rolle der EZB | |
Kritisiert wurde auch, dass das Karlsruher Urteil Staaten wie Ungarn und | |
Polen in die Hände spiele, weil es nationalen Gerichten die Möglichkeit | |
zubilligt zu entscheiden, wann der EuGH „willkürlich“ entschieden hat. Die | |
praktischen Folgen des Karlsruher Urteils blieben zunächst gering. Die | |
Verfassungsrichter:innen hatten der EZB eine Frist von drei Monaten | |
gesetzt, um die fehlende Verhältnismäßigkeitsprüfung nachzuholen oder zu | |
dokumentieren. | |
Die EZB wollte dies zwar zunächst ignorieren, weil nationale Gerichte der | |
EZB keine Vorschriften machen können. Der EZB-Rat diskutierte dann aber | |
doch Anfang Juni 2020 über die Verhältnismäßigkeit des PSPP-Programms und | |
bejahte sie. Über diesen Beschluss debattierte dann Anfang Juli der | |
Bundestag und stellte ebenfalls die Verhältnismäßigkeit des Programms fest. | |
Den Klägern Lucke und [1][Gauweiler genügte das natürlich nicht]. Sie | |
beantragten deshalb im August 2020 eine Vollstreckungsanordnung des | |
Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesbank müsse sich sofort aus dem | |
EZB-Programm zurückziehen. | |
Neun Monate später entschied Karlsruhe nun, dass der Antrag der | |
Euro-Kritiker unzulässig ist, weil es eine neue Sachlage gebe. Außerdem sei | |
der Antrag auch unbegründet, weil EZB, Bundesregierung und Bundestag nicht | |
untätig waren und die Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB für ausreichend | |
hielten. Bundesregierung und Bundestag hätten hier einen weiten | |
Einschätzungsspielraum, so die Richter:innen. | |
## Neues Programm, neues Unglück? | |
Doch damit ist das Thema EZB-Ankaufprogramme für Karlsruhe nicht völlig vom | |
Tisch. Denn die EZB hat im März 2020 mit Blick auf die von der Pandemie | |
verursachte geldpolitische Sonderlage [2][ein neues Ankaufprogramm | |
gestartet], das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP). Dabei wurde | |
bereits über 1 Billion Euro für Anleihen ausgegeben. Und in Karlsruhe liegt | |
unter anderem schon eine Organklage der AfD auf dem Tisch. Gauweiler will | |
diesmal aber nicht klagen. (Az.: 2 BvR 1651/15) | |
18 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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