| # taz.de -- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Demokratie vor Regierungslogik | |
| > Deutschland erwog 2015 Griechenland aus dem Euro zu drängen. Darüber | |
| > hätte der Bundestag vorab informiert werden müssen, so das | |
| > Verfassungsgericht. | |
| Bild: Die Bundesregierung muss den Bundestag über EU-Verhandlungen informieren | |
| Die Demokratie in Europa ist komplexer als die Demokratie in einem | |
| Nationalstaat. Denn in der EU machen 27 Demokratien miteinander gemeinsame | |
| Gesetze. Dabei ist das wichtigste Gremium der Entscheidungsfindung der | |
| EU-Ministerrat, in dem die Regierungen der 27 EU-Mitgliedsstaaten vertreten | |
| sind. | |
| Das gesetzgeberische Handeln der Regierungen bleibt aber demokratisch | |
| rückgekoppelt, weil die nationalen Parlamente auf die Minister:innen | |
| einwirken und ihnen Vorgaben machen können. | |
| In diesem Spannungsfeld hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am | |
| Mittwoch [1][eine wichtige Entscheidung veröffentlicht]. Danach muss die | |
| Bundesregierung den Bundestag über ihre Initiativen schon informieren, | |
| bevor sie darüber Vorgespräche mit anderen Regierungen aufnimmt. | |
| Wie brisant die Entscheidung ist, [2][zeigt der zugrunde liegende Fall.] Im | |
| Juli 2015 sollte ein EU-Gipfel über weitere Hilfen für das überschuldete | |
| EU-Mitglied Griechenland entscheiden. Der damalige Finanzminister Wolfgang | |
| Schäuble (CDU) wollte Hilfen nur zustimmen, wenn das damals links-regierte | |
| Griechenland zu tiefgreifenden Reformen bereit ist. Andernfalls solle | |
| Griechenland [3][vorübergehend den Euro-Währungsraum verlassen.] | |
| Über diese Initiative, mit der sich Schäuble nicht durchsetzen konnte, | |
| informierte er den Bundestag erst nach dem EU-Gipfel. Deshalb klagten die | |
| Grünen beim Bundesverfassungsgericht. Sie sahen die Informationsrechte des | |
| Bundestags verletzt und bekamen nun Recht. Schäuble hätte das Parlament | |
| informieren müssen, bevor er bei anderen Regierungen für seine Ideen wirbt. | |
| ## Brisante Frage, gutes Urteil | |
| Es geht bei diesem Beschluss um die Abläufe der europäischen Demokratie – | |
| jedenfalls im deutschen Teil davon. Erst muss der Bundestag erfahren, was | |
| die Regierung vorhat, dann können die EU-Partner informiert werden. | |
| Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Sie stellt sicher, dass die | |
| Beteiligung des Bundestags auch in hochbrisanten Fragen nicht nur auf dem | |
| Papier steht. Im Grundgesetz-Artikel 23 heißt es, dass der Bundestag in | |
| EU-Angelegenheiten „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu | |
| unterrichten ist. | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat sichergestellt, dass diese sehr | |
| parlamentsfreundliche Verfassungsnorm ernst zu nehmen ist. Denn wer nicht | |
| weiß, was passiert, kann auch keinen Einfluss nehmen. | |
| Bedenklich ist aber, dass die Richter:innen auch eine vertrauliche | |
| Information des Bundestags für möglich halten – wenn das frühzeitige | |
| Bekanntwerden der deutschen Verhandlungsposition das „Staatswohl“ gefährden | |
| würde. | |
| ## Für eine vitale Debatte | |
| Doch die Einschaltung des Bundestags ist kein Selbstzweck. Sie soll soll | |
| auch in komplexen europäischen Entscheidungsprozessen eine lebendige | |
| Demokratie sicherstellen. Die Unterrichtung der Abgeordneten in der | |
| Geheimschutzstelle des Parlaments ist das Gegenteil davon. Denn nur wenn | |
| die Opposition auch die Öffentlichkeit mobilisieren kann, sichert der | |
| Einbezug der Opposition eine vitale Debatte. | |
| Es mag im Einzelfall die Verhandlungsposition der Bundesregierung | |
| beeinflussen, wenn deutlich wird, dass ihre Initiative in der deutschen | |
| Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird. Aber so ist das in der | |
| Demokratie: Die Vorgänge sind öffentlich und alle Interessierten können | |
| sich zumindest diskursiv beteiligen. | |
| Wer eine lebendige europäische Demokratie will, muss öffentliche Debatten | |
| vor der Entscheidung ermöglichen und fördern. Europäische Gesetzgebung muss | |
| demokratische Gesetzgebung sein und kein Staatengeschacher hinter | |
| verschlossenen Türen. Das gilt erst recht, wenn dabei Regierungen | |
| verhandeln. | |
| 27 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nzz.ch/international/das-bundesverfassungsgericht-ruegt-die-man… | |
| [2] https://www.n-tv.de/politik/Karlsruhe-ruegt-spaete-Bundestags-Information-a… | |
| [3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-schaeuble-schlaegt-… | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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