| # taz.de -- Pressefreiheit in Deutschland: Gewalt gegen Vierte Gewalt | |
| > Tätliche Angriffe auf Medienschaffende sind 2020 massiv gestiegen, vor | |
| > allem auf Demos gegen Coronamaßnahmen. Gewalt gab es auch auf linken | |
| > Demos. | |
| Bild: Frankfurt im April 2021, Demonstration der Initiative „Querdenken“ mi… | |
| Reporter ohne Grenzen (RSF) hat Deutschland in seiner diesjährigen | |
| „Rangliste der Pressefreiheit“ von Platz 11 auf 13 herabgestuft. Wie die | |
| internationale Nichtregierungsorganisation am Dienstag bekanntgab, erhält | |
| Deutschland nicht mehr das Prädikat „gut“, sondern nur noch | |
| „zufriedenstellend“. | |
| Als wichtigen Grund gibt RSF die massiv gestiegene Zahl von tätlichen | |
| Angriffen auf Medienschaffende an – 65 bestätigte Fälle zählte die | |
| Organisation für 2020, die Mehrheit im Umfeld von Protesten gegen die | |
| Coronamaßnahmen. Im Jahr 2019 zählte RSF noch 13 bestätigte tätliche | |
| Angriffe auf Medienschaffende, 2018 waren es 22, unter anderem im | |
| Zusammenhang mit den gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz. Es wird von | |
| einer jeweils höheren Dunkelziffer ausgegangen. | |
| Im Umfeld der sogenannten Querdenker-Demos kam es zuletzt regelmäßig zu | |
| [1][extrem pressefeindlicher Stimmung mit Buhrufen, verbalen Angriffen, | |
| teils bis hin zu körperlicher Gewalt]. RSF-Geschäftsführer Christian Mihr | |
| sieht Polizei und Innenministerium in der Pflicht, sich des Schutzes der | |
| Pressefreiheit endlich bewusst zu werden. „Es ist begrüßenswert, dass die | |
| Innenministerkonferenz den Verhaltenskodex anpassen will“, sagte er der | |
| taz. Medienunternehmen trügen ebenfalls eine Verantwortung: „Gerade was | |
| freie Mitarbeitende betrifft, sie sind das schwächste Glied in der Kette.“ | |
| Die Zahlen über gewaltsame Angriffe, die RSF zugrundelegt, sind | |
| konservativer gerechnet als andere Statistiken. Das Bundesinnenministerium | |
| etwa zählte 2020 insgesamt 252 Straftaten „gegen Medien“, wie es Ende | |
| Januar auf Anfrage der Grünen-Fraktion bekanntgab. Das beinhaltete neben 22 | |
| Körperverletzungen, 33 Sachbeschädigungen noch Brandstiftung sowie Fälle | |
| von Bedrohung, Nötigung, Volksverhetzung, Erpressung und Propagandadelikte. | |
| ## Coronaleugner*innen besonders gewalttätig | |
| RSF hingegen beschränkt sich bei seiner Zahl von 65 Vorfällen auf | |
| körperliche Angriffe: gegen Medienvertreter*innen, gegen Fahrzeuge von | |
| Medien oder Redaktionsgebäude. Alle Fälle werden von der Organisation | |
| nachrecherchiert. RSF vermutet 2020 eine besonders hohe Dunkelziffer, wegen | |
| der vielen Proteste gegen Coronamaßnahmen. | |
| Von den 65 Vorfällen fanden mindestens 36 auf oder am Rande von Protesten | |
| gegen Coronamaßnahmen statt. Es gab auch Angriffe bei linken | |
| Demonstrationen: Zwei Angriffe bei [2][Protesten in Leipzig im Januar gegen | |
| das Verbot der Plattform linksunten.indymedia], zwei beim 1. Mai in Berlin, | |
| wobei die politische Ausrichtung der Angreifenden hier nicht festgestellt | |
| werden konnte. Je zwei Fälle gab es bei der Räumung des besetzten Hauses | |
| Liebig34 und der Szenekneipe Syndikat in Berlin, da allerdings ging die | |
| Gewalt laut RSF nicht nur von Demonstrierenden aus, sondern auch von der | |
| Polizei. | |
| Reporters sans frontières existiert als internationale Organisation seit | |
| 1985. Im Jahr 1994 gründete sich der deutsche Ableger Reporter ohne | |
| Grenzen. Die „Rangliste der Pressefreiheit“ gibt RSF seit 2002 jährlich | |
| heraus. Dazu sammelt sie weltweit Einschätzungen von Partnerorganisationen | |
| sowie Expert*innen aus Journalismus, Wissenschaft und Recht zu | |
| Repression, Überwachung und Zensur. | |
| Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, | |
| forderte die Politik auf, die RSF-Rangliste als „Weckruf“ zu begreifen. | |
| „Wenn das wichtige Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit immer weiter | |
| eingeschränkt wird, haben wir in Deutschland ein massives Problem.“ | |
| ## Deutschland rutscht ab | |
| Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und | |
| Journalisten-Union (dju), Monique Hofmann, forderte „Konzepte, wie | |
| Medienschaffende künftig besser geschützt werden können“. | |
| Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bezeichnete die Übergriffe vor | |
| allem bei Protesten von Coronaleugnern als „Angriffe auf die | |
| Pressefreiheit, die wir als demokratische Gesellschaft keinesfalls | |
| hinnehmen dürfen“. Wer „Lügenpresse“ brülle oder von „Systemmedien“ | |
| fabuliere, bereite einem Klima der Gewalt den Boden. Die Polizei müsse „bei | |
| Straftaten gegen Journalistinnen und Journalisten entschieden und | |
| unmittelbar einschreiten“, sagte Lambrecht. | |
| Zur internationalen Lage der Pressefreiheit erklärte Reporter ohne Grenzen, | |
| in 73 von 180 erfassten Ländern bestehe eine „schwierige“ oder „sehr ern… | |
| Lage“. Dazu gehören in Europa Belarus, Bulgarien, Russland und die Türkei. | |
| „Die Pandemie hat repressive Tendenzen weltweit verstärkt“, sagt | |
| Geschäftsführer Christian Mihr. „Corona wurde in autoritären Staaten oder | |
| Diktaturen als Vorwand genutzt, Pressefreiheit einzuschränken.“ | |
| In 59 Ländern weltweit sieht die Organisation „erkennbare Probleme“, | |
| darunter Polen, Ungarn und Griechenland. Deutschland verlässt mit seiner | |
| Herabstufung den Club der skandinavischen Länder, Niederlande, Irland und | |
| Portugal und gesellt sich in der Gruppe „Zufriedenstellend“ zu | |
| Großbritannien, den USA und Frankreich. Am schlechtesten steht es um die | |
| Pressefreiheit in Eritrea, Nordkorea, Turkmenistan und China. | |
| 20 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pressefreiheit-in-Gefahr/!5758599 | |
| [2] /Linksradikale-Gewalt-in-Leipzig/!5659322 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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