| # taz.de -- Sowjetbürger*innen in Deutschland: Vom Alltag in der Sowjetzone | |
| > Elke Scherstjanoi hat sowjetische Besatzer:innen nach ihren | |
| > Erlebnissen im Nachkriegsdeutschland befragt. Deren Offenheit überraschte | |
| > sie. | |
| Bild: Ende des Zweiten Weltkriegs: Sowjetische Soldaten auf dem Brandenburger T… | |
| [1][Tag der Befreiung] oder Tag der Niederlage: Der immer noch andauernde | |
| Streit darüber, wie man den 8. Mai 1945 nennen will, verdeutlicht das | |
| schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. Als die Rote Armee | |
| vor über 75 Jahren Berlin erreichte, befreite sie im Osten Deutschlands das | |
| Land von dem NS-Regime. | |
| Die Verbrechen, die die Siegerarmee in der sowjetischen Besatzungszone | |
| beging, darunter die systematische Vergewaltigung von Frauen, dürften es | |
| jedoch erschwert haben, die auf die Kapitulation folgende Okkupation als | |
| Befreiung wahrzunehmen. | |
| Dabei ist über den Alltag der sowjetischen Besatzer:innen nicht viel | |
| bekannt. Das meint Elke Scherstjanoi, die ihr Buch „Sieger leben in | |
| Deutschland“ am Dienstag im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus online | |
| vorgestellt hat. Die Historikerin hat einen populärwissenschaftlichen | |
| Ansatz gewählt, viele Fotos neben [2][Zeitzeug:innen-Interviews] | |
| veröffentlicht. | |
| Die im Erzgebirge aufgewachsene Autorin hat in der Sowjetunion studiert und | |
| kennt das Land gut. In einem Uralstädtchen sprach sie mit einer Hebamme, | |
| die 1943 in die Rote Armee eintrat und nach Kriegsende in Leipzig in einem | |
| Krankenhaus arbeitete. Ihre Rolle passt nicht zum Bild des wütenden Russen. | |
| Mit knapp 20 Jahren reiste sie an freien Tagen durch Deutschland, | |
| verbrüderte sich mit Amerikaner:innen. Weitere Porträts liest die | |
| Historikerin leider nicht vor. Dabei hätte das dem Abend gutgetan. | |
| ## Legende von mongolischen Horden | |
| Dass das Gespräch zwischen Scherstjanoi und [3][dem Historiker Wolfgang | |
| Benz] nicht richtig in Gang kommt, liegt vor allem an letzterem. Benz | |
| beansprucht viel Redezeit für sich und lobt seine Kollegin dafür, dass sie | |
| Legenden zerstöre, wonach den „tüchtigen russischen Soldaten“ mongolische | |
| Horden gefolgt wären, die die Verbrechen gegen die Deutschen begangen | |
| hätten. | |
| Scherstjanoi weist dieses Verdienst von sich, diese „kruden Bilder“ | |
| ethnisch einheitlicher Truppen seien längst zerstört. 60 bis 80 Prozent der | |
| Soldaten in der Roten Armee seien Russen gewesen. 5 bis 10 Prozent waren | |
| Weißrussen und Ukrainer, auch Balten, Polen und andere Nationalitäten waren | |
| vertreten in gemischten Truppen. | |
| Überrascht hat Scherstjanoi die unter den sowjetischen Zeitzeug:innen | |
| weit verbreitete Annahme, dass in der Besatzungszone gar nicht mehr viele | |
| Nationalsozialist:innen lebten, „dass man die Hauptschuldigen | |
| verurteilt hätte“. Ihr sei mehrfach aufgefallen, dass die sowjetischen | |
| Zeitzeug:innen die deutschen Mitbürger:innen nicht nach ihrer | |
| NS-Vergangenheit gefragt hätten. | |
| Auf deutscher Seite sei man den Sowjetbürger:innen freilich nicht | |
| immer so vorurteilslos begegnet. War man in sowjetischer Uniform unterwegs, | |
| war es keine Seltenheit, angefeindet oder sogar mit heißem Wasser | |
| übergossen zu werden, erzählt Scherstjanoi. | |
| Das verwundert nicht. Die nationalsozialistische Propaganda saß tief. Wer | |
| jahrelang den [4][Hassreden gegen die Sowjetunion] gelauscht hatte, vergaß | |
| diese nicht über Nacht. Besonders die Verknüpfung zwischen Bolschewismus | |
| und Judentum hat dauerhaft Schaden angerichtet. Die Theorie von der | |
| „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ findet selbst heute noch | |
| Anhänger. | |
| 1 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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| 8. Mai 1945 | |
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