| # taz.de -- Das Ende des zweiten Weltkriegs: Entblößt das Haupt! | |
| > Berlins sowjetische Ehrenmale. Eine Besichtigungstour zum „Tag der | |
| > Befreiung“, dem 8. Mai zwischen Tiergarten und Pankow. | |
| Bild: Das Sowjetische Denkmal in Berlin Tiergarten | |
| Für meine Eltern war der 8. Mai tatsächlich ein Tag der Befreiung. Am 22. | |
| April 1945 hatten sie geheiratet. Kurz zuvor hatte meine Mutter ihr erstes | |
| Kind zur Welt gebracht. Erst das dritte Krankenhaus wollte die Frau in den | |
| Wehen mit jüdischem Namen aufnehmen. Meine Schwester hat die Geburt nicht | |
| überlebt. Mein Vater setzte sich von der Front ab, holte meine Mutter aus | |
| dem Krankenhaus und schleppte sie zum nächsten Standesamt in Děčín (damals | |
| Tetschen) an der Elbe. | |
| Zwei Trauzeugen wurden eilig auf der Straße aufgelesen, ein Stück Brot und | |
| Wurst waren der Lohn für diese Dienstleistung. Als der Standesbeamte den | |
| nicht zu erbringenden Ariernachweis verlangte, öffnete mein damals 24 Jahre | |
| alter Vater das Fenster. Von der anderen Seite des Flusses dröhnten die | |
| heranrückenden Panzerverbände der Roten Armee. „Vielleicht überlegen Sie es | |
| sich noch mal“, mahnte mein Vater in seiner Uniform. | |
| Für meine Eltern ging am 8. Mai ein Martyrium zu Ende, dass sie nicht ihr | |
| Leben, aber doch ihre Jungend gekostet hat. Nach der Befreiung arbeiteten | |
| beide für die Rote Armee. „Die Russen“ blieben die Befreier, auch wenn sich | |
| das Verhältnis zur Sowjetunion nach den Aufständen von 1953, 1956 und vor | |
| allem 1968 deutlich abkühlte. | |
| Vielleicht mag ich sie auch deshalb, die sowjetischen Ehrenmale Berlins. | |
| Sie gehören zu meiner und der DNA dieser Stadt. Und weil die Möglichkeit zu | |
| touristischen Ausflügen in diesen Tagen ohnehin begrenzt bleibt – und aus | |
| gegebenem zeitgeschichtlichem Anlass –, könnte man wieder einmal zu diesen | |
| begehbaren Denkmälern pilgern. „Denk mal!“ ist eines meiner | |
| Lieblingsbegriffe der deutschen Sprache! | |
| Das erste Mahnmal wurde schon kurz nach Kriegsende im damaligen britischen | |
| Sektor der Stadt, Tiergarten, am 11. November 1945 eingeweiht. Der auf | |
| einem hohen Sockel über einer der zentralen Ost-West Achsen der Stadt | |
| thronende Rotarmist, flankiert von zwei T34 Panzern, die die ersten waren, | |
| die in der Schlacht um Berlin vom 16. April bis zum 2. Mai die Stadtgrenze | |
| erreichten, sollte wohl nicht nur für die besiegten Deutschen, sondern auch | |
| für die nicht aktiv an der Befreiung der Stadt beteiligten Alliierten ein | |
| Zeichen setzen. | |
| Gefühlte tausendmal bin ich daran vorbeigeradelt, ohne zu wissen, dass sich | |
| hinter den sechs Säulen mit den Namen gefallener Soldaten ein Friedhof | |
| befindet. Links und rechts sieht man zwei derzeit zwecks Renovierung | |
| stillgelegte Brunnen, deren Wasser die Tränen der sowjetischen Bürger über | |
| die Verluste symbolisieren sollten. | |
| Die sowjetische Militärverwaltung legte Wert auf separate Ruhestätten für | |
| ihre Gefallenen. Unter einer Grünfläche hinter dem Ehrenmal ruhen über | |
| 2.500 aus Berliner Gräbern exhumierte Rotarmisten. In der hungernden Stadt | |
| musste der aufwendige Bau inmitten einer Trümmerwüste so manchem bitter | |
| aufgestoßen sein, besonders den geschätzt Hunderttausenden von | |
| Vergewaltigungen traumatisierten Frauen. Noch 2010 gab es vor dem 8. Mai | |
| Schmierereien am Ehrenmal, die auf dieses bittere Erbe verwiesen. | |
| Die Konzeption der beiden weiteren 1949 eingeweihten Ehrenmale nahm | |
| vielleicht auch deshalb eine andere Richtung. Bereits 1947 wurde dazu ein | |
| Architekturwettbewerb ausgerufen. Aus den beiden erstplatzierten Entwürfen | |
| entstanden die Monumente in Treptow und Pankow. Treptow war mit Bedacht | |
| gewählt worden. | |
| Der teils industrielle Bezirk besaß eine lange Tradition in der | |
| Arbeiterbewegung. Anders als beim martialisch anmutendem Monument in | |
| Tiergarten setzten die Architekten Belopolski und Wutschetitsch jetzt auf | |
| Gesten der Trauer und Versöhnung. | |
| Wer in Treptow durch einen der beiden Triumphbögen des vom brausenden | |
| Stadtverkehr abgeschirmten Ehrenmals tritt, liest auf Russisch und Deutsch: | |
| Ewiger Ruhm den Helden, die für die Freiheit und Unabhängigkeit der | |
| sozialistischen Heimat gefallen sind. | |
| ## Die Bedeutung des 8. Mai | |
| Dass diese Heimat mehr als die Sowjetunion sein könnte, dass die Helden | |
| auch deutsche Widerstandskämpfer sein könnten, bleibt offen. | |
| Die Bäume, in der zentralen Achse dominiert von Trauerbirken, rahmen ein | |
| säkular-sakrales Narrativ, welches den Besucher von der trauernden | |
| Mutter-Heimat über die in Demut unter roten Granitfahnen knienden beiden | |
| Soldaten zum Grabhügel mit Rotarmist leitet. Er trägt ein kleines Mädchen | |
| in den Armen. Beide schauen ruhig ins Ungewisse. | |
| Das gesenkte Schwert deutet auf ein unter seinen Stiefeln zerbrochenes | |
| Hakenkreuz. Im Sockel befindet sich ein Glasmosaik, das zahlreiche | |
| Nationalitäten der Sowjetunion und ihre Berufe darstellt. Unweigerlich | |
| fühlt man sich an Raffaels Sixtinische Madonna erinnert, wären da nicht die | |
| 16 Sarkophage (einer für jede der damaligen Sowjetrepubliken) mit | |
| Kriegsszenen und Stalinzitaten. Dahinter die nicht markierten Gräber von | |
| 7.000 Soldaten. | |
| Für viele Ostberliner hat sich die Bedeutung des am 8. Mai 1949 – also noch | |
| vor der Gründung der DDR – eingeweihten Mahnmals über die Jahrzehnte | |
| verändert. War es lange propagandistischer Rahmen für Aufmärsche, auch | |
| solche, die mit dem 8. Mai wenig zu tun hatten – wie Weltjungendfestspiele | |
| oder Staatsbesuche –, so wurde es nach der Wende zu einem Wahrzeichen | |
| Ostberliner Identität. Und es konnte fernab des Zentrums die Zeiten | |
| unbeschadet überdauern. | |
| Als es 1990 von Unbekannten verwüstet wurde, demonstrierten eine viertel | |
| Million Menschen an Ort und Stelle. Als Ostberliner konnte man so | |
| einerseits kundtun, schon immer zu einem imaginiertem antifaschistischen | |
| Widerstand gehört zu haben und sich darin vom Westen zu unterscheiden. | |
| ## Die Denkmäler wurden renoviert | |
| Gleichzeitig ist das Ehrenmal einer der wenigen Orte Ostberlins, der nicht | |
| vom rasanten Wandel erfasst wurde. Und trotz seines militärischen | |
| Ursprungs trägt es mit dem ein Kind in eine vage Zukunft rettenden Soldaten | |
| ausgesprochen feminine Züge. Dass es solche Rettungsaktionen gab, ist | |
| bekannt, dass der Architekt eine konkrete in seiner Statue verewigt hat, | |
| gehört hingegen zur Mythenbildung dieses Ortes. | |
| Was die wenigsten wissen: Es ist Teil eines Triptychons, das gewissermaßen | |
| vom Ende her entstanden und dessen zentrales Symbol das Schwert ist. Der | |
| erste Teil steht in Magnitogorsk im Ural, wo Stahlarbeiter hinter der Front | |
| die Schwerter schmiedeten. Es wurde 1985 als letztes der drei Denkmale | |
| fertiggestellt. Das zentrale Element steht mit der die Söhne zum Kampf | |
| rufenden Mutter Heimat in Wolgograd, dem einstigen Stalingrad, und ist mit | |
| 87 Metern Gesamthöhe nur unwesentlich kleiner als die Freiheitsstatue in | |
| New York. Es wurde 1967 eingeweiht. | |
| Der Treptower „Befreier“ war nach dem bereits im August 1945 eingeweihten | |
| Wiener Heldendenkmal für die Rote Armee eines der ersten Kriegsdenkmäler | |
| der Sowjetunion nach 1945 überhaupt. Im Zwei-Plus-Vier Vertrag (in einem | |
| Zusatzabkommen von 1992) hat Deutschland sich verpflichtet, die | |
| sowjetischen Ehrenmale auf deutschem Boden im Rahmen der | |
| Kriegsgräberfürsorge zu erhalten. | |
| In den letzten Jahren wurden so alle sowjetischen Kriegsdenkmäler in Berlin | |
| renoviert, auch das in Pankow-Schönholz, das ein reiner Soldatenfriedhof | |
| ist. Hier ruhen die sterblichen Überreste von 13.000 Soldaten, viele mit | |
| Namen und Dienstrang. | |
| Insgesamt sind 80.000 Soldaten der Roten Armee in der Schlacht um Berlin | |
| gefallen. Ein Vater mit Sohn im Teenageralter rollte letztes Wochenende mit | |
| dem Rad über den Friedhof und fragte den Junior, ob er wisse, was das sei. | |
| Irgendwas Militärisches, antwortete der Junior. Ich schaute dabei auf ein | |
| kleines orthodoxes Holzkreuz, das an einem der vielen Gräber lehnt und las | |
| die Schrift am Eingang: „Entblößt das Haupt!“ – Das hatte an diesem kal… | |
| Apriltag kaum einer der männlichen Besucher gemacht. | |
| Das schönste Denkmal fand ich übrigens an anderer Stelle. Auf dem jüdischen | |
| Friedhof in Potsdam zeigte mir der aus Russland stammende | |
| Friedhofsverwalter eine kleine Tafel mit vielleicht zehn oder zwölf Namen. | |
| Es sind jüdische Soldaten aus den alliierten Armeen, die in Berlin umkamen. | |
| Fern von jedem Nationalismus sind sie hier auf dem kleinen Friedhof | |
| unterhalb des Pfingstbergschlosses vereint. | |
| 8 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine Berking | |
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