# taz.de -- Opposition in Russland: Kampf um das Recht auf Existenz | |
> In Russland wird die Luft für kritische Stimmen dünner. Ein Journalist | |
> hat eine Liste der Repressalien vorgelegt – über 140 Eingriffe in einem | |
> Monat. | |
Bild: Proteste für Nawalny: Die Staatsmacht ist immer schon da, wie hier in Ch… | |
MOSKAU taz | Ilja Asar ist Abgeordneter eines Stadtteilparlaments in Moskau | |
und Journalist. Im April stellte er auf der Website Mediazona eine „Chronik | |
der Repressionen“ für den vergangenen Monat zusammen. Mehr als 140 | |
Eingriffe der Sicherheitsorgane sowie Drohungen und Einschüchterungen kamen | |
in ganz Russland zusammen. | |
Darunter findet sich etwa eine Durchsuchung der Redaktion der Zeitung | |
Waschnije istorii. Ein Radiosender, Radio Swoboda, muss 71 Millionen Rubel | |
Strafe entrichten. Und die „Allianz der Ärzte“ wurde zu 180.000 Rubel | |
verurteilt, weil einige ihrer Mitglieder vor dem Straflager in Pokrow vor | |
dem IK-2 Gefängnis demonstrierten, in dem [1][der Oppositionelle Alexei | |
Nawalny] einsitzt. | |
500.000 Rubel Strafe muss ein Arzt aus dem Ural für Kommentare in sozialen | |
Medien entrichten. Auch die Mitarbeiter der Studentenzeitschrift Doxa | |
wurden mit Ausgangsverbot und Hausarrest belegt. | |
Für zweieinhalb Jahre in eine Strafkolonie muss Andrej Borowikow. Der | |
Mitstreiter Nawalnys hatte ein Video der deutschen Band Rammstein | |
verbreitet. 2014 soll er einen Clip mit dem Lied Pussy im russischen | |
Netzwerk VKontakte gepostet haben. Das Video löste damals wegen des | |
pornografischen Inhalts einen Skandal aus. | |
## Ausflüge nach Moskau | |
Rammstein hat sich zu dem Prozess gegen Borowikow nicht geäußert und nicht | |
auf Anfragen aus dem Umfeld Borowikows reagiert. Rammstein-Frontmann Till | |
Lindemann genießt unterdessen seine Ausflüge nach Moskau, wo er gerade den | |
russischen Song Lieblingsstadt – „Ljubimij Gorod“ – veröffentlichte. | |
„Kunstfreiheit sei ein Grundrecht aller Menschen“, schrieb Gitarrist | |
Richard Kruspe. Rammsteins Nonkonformismus scheint aber nur Attitüde zu | |
sein. Der Oppositionelle Borowikow ist enttäuscht über die ausbleibende | |
Unterstützung. | |
Journalisten, [2][Künstler] und Schauspieler in Russland leben seit Langem | |
in unruhigen Zeiten. In Moskau hat die Polizei kürzlich eine Premiere des | |
Theaters Dok aufgelöst. Kurz nach Beginn der Aufführung mussten | |
Schauspieler und Besucher wegen einer vermeintlichen Bombendrohung das | |
Theater verlassen. | |
Thema waren die Ereignisse im Nachbarland Belarus, wo Präsident Alexander | |
Lukaschenko im vergangenen Sommer eine Wahl hatte fälschen lassen. Die | |
Systeme in Minsk und Moskau gleichen sich langsam an. | |
Trotz der permanenten Übergriffe und Rechtsverstöße hat die Festnahme des | |
Anwalts Iwan Pawlow vergangene Woche für einen Aufschrei gesorgt. Mehr als | |
80 Schriftsteller und Journalisten haben mit einem [3][offenen Brief] gegen | |
die Festsetzung protestiert. Iwan Pawlow darf weder Internet noch | |
Mobiltelefon nutzen. | |
## Vorwurf Hochverrat | |
Im Sommer hatte Pawlow die Verteidigung des Journalisten Iwan Safronow | |
übernommen. Der Militärspezialist arbeitete bei der Zeitung Kommersant, | |
wechselte dann jedoch zur Raumfahrtbehörde Roskosmos. Safronow, der vor | |
zehn Monaten festgenommen wurde, wird Hochverrat vorgeworfen. | |
Pawlow ist Chef des Rechtsschutzprojekts Komanda 29 und einer der | |
bekanntesten Bürgerrechtsanwälte. Er übernimmt auch heikle Fälle, in denen | |
der Geheimdienst mitmischt und es um „Staatsverrat“ geht. Am Freitag soll | |
er erstmals Safronow vor Gericht vertreten. | |
Doch Kollegen befürchten, dass ihm die Anwaltslizenz entzogen wird. Er hat | |
sich geweigert, dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB eine | |
Verschwiegenheitserklärung auszuhändigen. Die Aberkennung von Lizenzen wird | |
auch in Belarus praktiziert. Dort haben Anwälte nach der Verteidigung von | |
Demonstranten ihr Vertretungsrecht verloren. | |
Auch für das Internetmedium Meduza wird die Luft dünn. Seit Kurzem gilt es | |
als „ausländischer Agent“. Das Magazin hat seinen Sitz in Lettland, doch | |
etwa die Hälfte der 60 Mitarbeiter arbeiten von Russland aus. In dieser | |
Härte hätte er den Schlag nicht erwartet, meint Chefredakteur Iwan Kolpakow | |
gegenüber der taz. Werbekunden wendeten sich ab, weil niemand mit einem | |
„ausländischen Agenten“ zu tun haben wolle. | |
Die Opposition habe für den Kreml das „politische Recht auf Existenz“ | |
verloren, meint die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja von der | |
Carnegie-Stiftung. Neben Meduza sind weitere 18 Medien oder Personen als | |
ausländische Agenten gelistet. „Ein starkes und unabhängiges Medium ist | |
heute unmöglich in Russland“, sagt Chefredakteur Kolpakow. | |
5 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Opposition-in-Russland/!5768490 | |
[2] /LGBT-Aktivistin-in-Russland-in-Haft/!5765079 | |
[3] https://svobodnoeslovo.org/2021/05/02/nasha-podderzhka-pavlovu-i-komande-29/ | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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