# taz.de -- Pressefreiheit in Russland: Agentenlabel für Journalismus | |
> Das Nachrichtenportal „Meduza“ berichtet anders, als der Kreml es sich | |
> wünscht. Nun wurde das Onlinemedium zum „ausländischen Agenten“ erklär… | |
Bild: Ein Hilfeschrei: Demonstration für Pressefreiheit in Sankt Petersburg im… | |
MOSKAU taz | Eigentlich sei er stets gegen alle Schwierigkeiten in seinem | |
Arbeitsleben gewappnet gewesen, sagt Iwan Kolpakow. Es ist ein Satz, den er | |
oft gebraucht in diesen Tagen. Einer, den auch Galina Timtschenko ähnlich | |
äußert, um gleich hinzuzufügen: „Jetzt wissen wir aber wirklich nicht | |
weiter.“ Sie wirken ratlos dabei. Und nicht nur sie. | |
Seit das russische Justizministerium Ende April das russischsprachige | |
Onlinemagazin Meduza ohne Vorwarnung zum „ausländischen Agenten“ erklärt | |
hat, konferieren Kolpakow und Timtschenko unentwegt mit ihrem Team. Der | |
37-jährige Kolpakow ist Chefredakteur von Meduza, Timtschenko, 58, ist | |
die Gründerin und Geschäftsführerin des Portals, das in Lettland | |
registriert ist, jedoch für russisches Publikum arbeitet. Sie suchen nach | |
Lösungen für eine Zukunft mit dem diffamierenden Agentenlabel, das ihnen | |
jede Grundlage zum Überleben nimmt. Der [1][Kreml gibt sich zynisch]. Der | |
heutige Informationsmarkt sei so eingerichtet, dass das Verschwinden eines | |
Mediums nicht zu stark zu spüren sein werde, sagte der Kremlsprecher Dmitri | |
Peskow. | |
In Russlands unabhängiger Journalist*innenszene ist seit dem | |
unerwarteten Schlag gegen Meduza vor allem eines zu spüren: Unsicherheit | |
und das Gefühl „Wir könnten die nächsten sein“. Als „ausländische Age… | |
können in Russland Organisationen und Personen eingestuft werden, die | |
politisch tätig sind und finanziell aus dem Ausland unterstützt werden. Es | |
ist ein Stigma, das Assoziationen an die dunklen Kapitel des Landes weckt. | |
Meduza muss nun alle Veröffentlichungen mit dem Hinweis markieren: „Diese | |
Nachricht wurde von einem ausländischen Massenmedium erstellt und (oder) | |
verbreitet, das die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt“ – doppe… | |
so groß wie die Schrift der eigentlichen Nachricht. Meduzas Werbekunden | |
müssen diesen Hinweis ebenfalls bringen, wie auch alle, die auf Nachrichten | |
von Meduza verweisen, das Portal als „ausländischen Agenten“ bezeichnen | |
müssen. Sonst drohen Geldstrafen bis hin zu Strafverfahren. Das schreckt | |
Werbekunden und viele Gesprächspartner*innen ab, gerade aus der | |
politischen Elite. | |
## Nicht mehr als Papierkram | |
Russland hat [2][einige unabhängige Medienprojekte] wie The Bell, Projekt, | |
Bumaga, 7x7 oder Waschnyje Istorii. Meduza ist dabei das wohl vielfältigste | |
und umfassendste Projekt, das der russischsprachige Markt derzeit bietet. | |
Sie alle entziehen sich der völligen Kontrolle des Kremls, der die Aufgabe | |
von Journalist*innen darin sieht, über die Arbeit der Regierung und die | |
staatlichen Organe zu berichten. Gegen alles, was nicht der offiziellen | |
Sicht der Regierung entspricht, gehen die Behörden derzeit immer vehementer | |
vor. | |
Die Kennzeichnung von Meduza ist für die Behörden dementsprechend nicht | |
mehr als Papierkram. Für die kleine unabhängige Medienszene und letztlich | |
auch für die Leserschaft ist das Vorgehen dagegen eine dramatische Wende. | |
Seit der Entscheidung hat Meduza, das sein Geld selbst verdient und mit | |
Firmen wie Museen kooperiert, alle Werbekunden verloren. Das Führungsteam | |
hat die Büros in Riga und Moskau geschlossen, die Gehälter der festen | |
Mitarbeiter*innen zum Teil um die Hälfte gekürzt, es beschäftigt keine | |
freien Mitarbeiter*innen mehr. | |
Viele unabhängige Journalist*innen sehen Meduza dadurch langsam | |
ersticken. „Erst attackiert man die Aktiven im Land, dann die, die über | |
diese Aktiven berichten“, schreibt Tichon Dsjadko, der Chefredakteur des | |
unabhängigen Fernsehsenders TV Doschd. Für Meduza sind die Spenden ihres | |
Publikums deshalb gerade die einzige Hoffnung: „Sie haben Meduza gelesen. | |
Haben Meduza gehört. Geschaut. Es ist Zeit, Meduza zu helfen“, heißt es auf | |
der Homepage meduza.io. Es ist ein verzweifelter Hilfeschrei. | |
5 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Opposition-in-Russland/!5765421 | |
[2] /OWD-Info-ueber-russische-Proteste/!5617583 | |
## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Russland | |
Journalismus | |
Kreml | |
Russland | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Russland | |
Medien | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Russisches Onlineportal „newsru.com“: Freie Presse verschwindet | |
In Russland wird das nächste unabhängige Medium eingestellt. Diesmal trifft | |
es das Onlineportal „newsru.com“. | |
Missstände und Kommunikation: Plädoyer für die Wahrheit | |
Der internationale Tag der Pressefreiheit hätte ein Anlass sein müssen, | |
Missstände beim Namen zu nennen. Es braucht eine kommunikative Währung. | |
Opposition in Russland: Kampf um das Recht auf Existenz | |
In Russland wird die Luft für kritische Stimmen dünner. Ein Journalist hat | |
eine Liste der Repressalien vorgelegt – über 140 Eingriffe in einem Monat. | |
Pressefreiheit in Russland: Es gibt keine Sicherheit | |
Repressionen gegen Journalist*innen sind in Russland Normalität. Auf der | |
Medienkonferenz der OSZE will das aber niemand hören. | |
OWD-Info über russische Proteste: Mediendienst für schlechte Zeiten | |
Aus der russischen Menschenrechtsszene ist die kleine Medienorganisation | |
OWD-Info nicht wegzudenken. Im Zuge der Proteste informiert und hilft sie. |