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# taz.de -- Proteste gegen UN-Mission Monusco: Schnauze voll im Kongo
> Im Osten der Demokratischen Republik Kongo breiten sich Streiks und
> Proteste aus. Der Staat reagiert mit neuer Gewalt.
Bild: „Wir demonstrieren ohne Waffen und ohne Gewalt“: Demonstration im kon…
Butembo taz | Es fing eigentlich ganz friedlich an. Junge Leute
versammelten sich auf den zentralen Plätzen und verbrachten die Nacht unter
dem Sternenhimmel. Am „Rond Point Nyamwisi“ in Beni und am historischen
Monument in Butembo zündeten sie Feuer an und hissten die kongolesische
Flagge, sie sangen Friedenslieder und ließen sich von Freunden mit
Getränken und Nahrung versorgen. Es war ein gewaltfreier Protest gegen die
ständig zunehmende Gewalt, die das Leben in der Provinz Nord-Kivu im Osten
der Demokratischen Republik Kongo immer schwerer macht. Begleitet wurden
die Nachtwachen von Aufrufen zum Generalstreik, zur „toten Stadt“ ab dem 5.
April, um der Forderung nach effektiverem staatlichem Handeln gegen die
Gewaltakteure Nachdruck zu verleihen.
Doch dann kam die Polizei und räumte die Protestgruppen. An den
strategischen Plätzen von Beni, Butembo und auch der Provinzhauptstadt Goma
ließ sich die Polizei von schwerbewaffneten Militäreinheiten verstärken,
die auftraten wie an der Front in einem richtigen Krieg. Zu Dutzenden
wurden die jungen Protestler festgenommen und abgeführt. Es kam zu
Auseinandersetzungen. In Butembo wurde ein Demonstrant erschossen, in Goma
zwei, in Butembo drei. Proteste, die teils gewaltsam niedergeschlagen
wurden, gab es auch in kleineren Städten der Provinz: Oicha, Lubero,
Rutshuru. Am Wochenende gab es Solidaritätskundgebungen in Kongos ferner
Hauptstadt Kinshasa und in der zweitgrößten Stadt Lubumbashi.
„Wir demonstrieren ohne Waffen und ohne Gewalt“, beteuert Tsongo Léo, einer
der Leiter des „Straßenparlaments“ im Viertel Furu der Stadt Butembo. „Es
ist nicht normal, dass die Soldaten, für die wir auf die Straße gehen, auf
uns schießen.“
Die Wut der Protestgruppen richtet sich vor allem gegen die UN-Mission im
Kongo (Monusco), die in jeder ostkongolesischen Stadt hochgerüstete
Kampftruppen in gut geschützten Militärbasen stationiert hat, aber der man
vorwirft, tatenlos zuzuschauen, wenn draußen auf dem Land oder auch in den
Außenvierteln der Städte Menschen abgeschlachtet werden. „Sie müssen
abziehen, sofort!“, erregt sich Anelka Mwanya, Wortführer der
Bürgerrechtsorganisation Lucha in Butembo. „Es ist, als würden sie hier
Urlaub machen. Wir halten sie nicht länger aus. Sie sollen am besten gleich
morgen gehen – das ist, was das Volk will!“
Polizei und Armee halten die Demonstranten mit allen Mitteln von den
UN-Basen fern. „Wir wurden festgenommen und ausgepeitscht, und dann wurden
wir Männer und Frauen über Nacht in eine gemeinsame Zelle gesteckt“,
erzählt Jean de Dieu Luseke von der Protestgruppe „Anti Gang“ in Butembo.
Es wird auch scharf geschossen, wie die Toten beweisen, obwohl Butembos
Polizeichef Polo Ngoma eine Verantwortung abstreitet: „Die
Sicherheitskräfte halten sich an die Anweisung, nicht auf Menschen zu
schießen. Es gab nur ein paar Schüsse zur Abschreckung, als
undisziplinierte Demonstranten die Polizei mit Steinwürfen belästigten.“
Protestführer Tsongo Léo sagt hingegen: „Die Soldaten sind in unser Viertel
eingedrungen und haben geklaut. Sieben Personen wurden festgenommen, sie
werden im Militärlager Rughenda festgehalten. Wir werden nicht aufhören,
wir fordern Gerechtigkeit.“
## Mehrere hundert Massakertote in diesem Jahr
In den vergangenen zwei Wochen hat Gewalt gegen Zivilisten in der ohnehin
seit Jahrzehnten von Konflikten geplagten Nord-Kivu stark zugenommen:
Massaker an einfachen Bürgern, Überfälle und Brandschatzungen auf der
wichtigen Handelsstraße von Beni nach Uganda. In der Region um Beni, wo die
ursprünglich ugandische Rebellengruppe ADF (Allied Democratic Forces) aktiv
ist, zählen lokale Gruppen seit Jahresanfang über 400 Massakertote.
Seit die US-Regierung im März die ADF als Terrororganisation und als Teil
des „Islamischen Staates“ gelistet hat, nimmt die Gewalt noch mehr zu.
Weiter südlich, in ländlichen Gebieten nahe der Provinzhauptstadt Goma,
sind lokale Milizen, darunter kongolesische sowie ruandische Hutu-Kämpfer,
gemeinsam auf dem Vormarsch und haben die Armee aus mehreren Dörfern und
Kleinstädten verjagt.
Die Wut der Bevölkerung darüber richtet sich nicht nur gegen die UN-Mission
Monusco, sondern gegen internationale Organisationen und Hilfswerke
insgesamt, die seit Jahrzehnten zahlreich in Nord-Kivu vertreten sind. „Sie
stecken alle unter einer Decke und sollten alle zusammen mit der Monusco
gehen“, tönt Shafi Musitu von der radikalen Oppositionsgruppe „Veranda
Mutsanga“.
Nicht alle sind seiner Meinung: „Das Problem ist, dass jetzt jeder mit
seinen Lieblingsforderungen ankommt“, bedauert Edgard Mateso, Vizepräsident
des Dachverbandes der zivilgesellschaftlichen Gruppen von Nord-Kivu. „Die
ursprüngliche Idee war gut, auch wenn wir wissen, dass Generalstreiks und
Demonstrationen die Monusco nicht zum Abzug bewegen werden. Wir mussten
zeigen, dass wir die Schnauze voll haben.“ Doch jetzt würden sich lokale
Politiker zum eigenen Vorteil an die Spitze der Proteste setzen. In manchen
Stadtvierteln werden Jugendliche in Banden organisiert, blockieren die
Straßen und bestehlen jeden, der ihrer Meinung nach den Protestaufruf
bricht. Man muss dann ein paar Geldscheine an der Straßensperre lassen, um
weiterzukommen.
## „Die Leute sind erschöpft“
Am Wochenende hat sich in Butembo die Lage leicht entspannt. Einige
Motorradtaxis sind unterwegs, einige Tankstellen haben wieder geöffnet.
Doch Polizisten und Soldaten bleiben weiter stationiert und wachsam.
Parfait Muhini, Sprecher des Verbandes von 42 Organisationen, die den
ursprünglichen Protestaufruf unterzeichnet hatten, meinte am Samstag, jetzt
sei es genug und man könne zur Normalität zurückkehren: „Die Streiks sind
ausgesetzt und wir werden neue Strategien anwenden, mit denen wir nicht uns
selbst schaden.“ Doch die Bürgerrechtsgruppe Lucha sieht das anders und
will bis kommenden Mittwoch weiter streiken und demonstrieren, also
insgesamt zehn Tage lang.
Universitätsprofessor Mughanda Muhindo fragt sich, wo das hinführen soll:
„Die Leute sind nach einer Woche Lähmung erschöpft. Sicher mussten wir der
internationalen Gemeinschaft zeigen, dass das Volk im Stich gelassen wird,
dass die Massaker zu lange andauern und die Grenze des Erträglichen
überschritten haben. Aber wir müssen die Strategie ändern. Der wahre
Verantwortliche für die Situation ist nicht die Monusco, sondern der
kongolesische Staat.“
Denn die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen
erschweren das Leben ohnehin. Die Sicherheitslage sei nicht das einzige
Problem, sagt Polycarpe Ndivito, Präsident der Handelskammer von Butembo:
„Der Handel und die Wirtschaft liegen am Boden. Die Lage ist unhaltbar. Wir
müssen klären, wer unsere Probleme lösen kann.“
Ähnlich sehen das die Marktfrauen auf dem Zentralmarkt von Butembo, die
eilten, ihre Stände wieder zu öffnen, als es am Samstag hieß, der
Streikaufruf sei ausgesetzt. „Wir haben Kinder, die zur Schule gehen
müssen. Gerade erst waren die Schulen wegen Covid-19 geschlossen, jetzt
noch zehn Tage extra, das schaffen wir nicht“, sagt eine Verkäuferin am
Samstag. „Wir leben von der Hand in den Mund, von Tag zu Tag.“
12 Apr 2021
## AUTOREN
Kennedy Muhindo
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