| # taz.de -- Neue Abitur-Anforderungen in Hamburg: „Knallhart-Abi“ verschoben | |
| > Hamburgs Schulbehörde will das Abi schwerer machen. Elternräte und | |
| > Schulleiter hatten Kritik an den Plänen und forderten ein Moratorium – | |
| > mit Erfolg. | |
| Bild: Es gab schon schlechtere Sprüche auf Abi-Pullovern: Abi-Prüfung im Mai … | |
| Hamburg taz | Während sich Hamburgs Schulen auf das nächste Abitur unter | |
| Corona vorbereiten, sorgt unter Elternräten eine neue Abitur-Verordnung für | |
| Unruhe. „Wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir das lasen“, sagt Vater | |
| Thomas Neitzel. Die Verordnung wirke so, als ob in Hamburg der Wunsch nach | |
| einem besonders schwierigen Abitur bestehe, ergänzt Torsten Schütt, | |
| Sprecher der Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen. „Dadurch | |
| haben Bildungsferne noch weniger Möglichkeiten, das Abitur zu machen. Ich | |
| weiß nicht, was das soll.“ | |
| Es geht um den Entwurf einer neuen „Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum | |
| Erwerb der allgemeinen Hochschulreife“. Bisher müssen Schüler von den | |
| Kursen, die sie in der Oberstufe belegen, 32 Noten in die Abiturnote | |
| einbringen. Da sie oft 34, 36 oder 38 Kurse belegten, konnten sie schlechte | |
| Noten weglassen. Laut dem Entwurf sollen Oberstufler 42 Kurse belegen und | |
| 40 davon in die Abiturwertung einbringen. | |
| Die Schulbehörde begründet diesen Schritt mit einem Passus im sogenannten | |
| „[1][Schulfrieden]“, der kurz vor der letzten Bürgerschaftswahl | |
| [2][zwischen CDU, SPD, Grünen und FDP geschlossen] wurde, sowie mit neuen | |
| Vorgaben der Kultusminister. | |
| Torsten Schütt hat sich bundesweit umgesehen. Es gibt viele Länder, die | |
| einen Korridor von 32 bis 36 Kursen oder 34 bis 40 Kursen vorgeben. Auch | |
| die aktuelle Vereinbarung der Kultusministerkonferenz erlaubt einen | |
| Korridor von 32 bis 40 Kursen. „Ich verstehe nicht, warum Hamburg den | |
| Musterschüler geben muss und sich mit der Vorschrift, 40 Kurse | |
| einzubringen, an die Spitze stellt“, sagt Schütt. Das machten Bayern und | |
| Baden-Württemberg, das passe aber nicht zu einem Stadtstaat wie Hamburg. | |
| ## Engere Vorschriften bei der Wahl der Kurse | |
| Der neue Entwurf für die Prüfungsordnung der Hochschulreife schreibt | |
| zugleich enger vor, welche Kurse belegt werden müssen. Auch das passe nicht | |
| zu Hamburgs fächerübergreifendem Lernen in der Profiloberstufe und führe zu | |
| einem „Einheitsbrei“, sagt Schütt. So müssen neben den Hauptfächern zwei | |
| Naturwissenschaften oder eine Naturwissenschaft und eine zweite | |
| Fremdsprache oder eine Naturwissenschaft und Informatik belegt werden. | |
| Außerdem ist das Fach Politik vorgeschrieben. | |
| Zudem sollen die übrigen Fächer nur noch höchstens zwei- bis dreistündig | |
| pro Woche unterrichtet werden. „Damit fällt Zeit weg für die Anwendung des | |
| Stoffs und die Wiederholung“, sagt Thomas Neitzel, der sich im Vorstand der | |
| Vereinigung der Elternratsvorsitzenden der Gymnasien engagiert. Da zugleich | |
| die Bildungspläne nicht reduziert werden, führe auch dieses zur | |
| Benachteiligung bestimmter Schülergruppen. | |
| Schütt und Neitzel kristisieren auch den Ablauf, nach dem die neuen Regeln | |
| festgelegt werden sollen. Man habe den Eindruck, die Behörde gehe der | |
| Diskussion aus dem Weg. So liegt der Entwurf der Prüfungsordnung erst seit | |
| Ende März den schulischen Kammern zur Stellungnahme vor, nur bis 20. April | |
| haben sie dafür Zeit. Die Bitte der Elternräte um ein Gespräch hat die | |
| Behörde abgewiesen. | |
| „Ich habe die Sorge, dass hier ein Rollback unter der Wahrnehmungsschwelle | |
| passiert, weil alle mit der Pandemie beschäftigt sind“, sagt auch Mathias | |
| Morgenroth-Marwedel von der Vereinigung der Schulleitungen der | |
| Stadtteilschulen. Die Schulleitungen seinen nicht mal zu der Sache gehört | |
| worden. Auch sie fordern, es müsse weiterhin einen Korridor von 34 bis 40 | |
| einzubringenden Kursen geben. Mit der Vorgabe von 40 Kursen verschenke | |
| Hamburg unnötig Handlungsspielraum, „vielleicht mit dem politischen Ziel, | |
| ein,Knallhart-Abi' zu haben“. | |
| ## Schuld ist der Schulfrieden | |
| Morgenroth-Marwedel fordert ein Moratorium für die Vereinbarungen aus dem | |
| Schulfrieden. Man müsste sie im Licht der Pandemie neu bewerten. | |
| Behördensprecher Peter Albrecht verweist bei den geplanten Änderungen | |
| ebenfalls auf den Schulfrieden. Es handele sich nur um „wenige Eingriffe“, | |
| die das System nicht tiefgreifend änderten. Weil es zum Schulfrieden einen | |
| Bürgerschaftsbeschluss gebe, sei die Sache nicht Gegenstand der „sonst | |
| üblichen ausführlichen Gremienverfahren“. | |
| Nach taz-Informationen kündigte Senator Rabe am Freitag Vormittag auf der | |
| Schulleiter-Dienstbesprechung an, dass die geplanten Veränderung der | |
| Abitur-Verordnung so nicht umgesetzt und vertagt werden soll. Bezüglich der | |
| Anzahl der einzubringenden Kurse werde man jetzt noch einmal den Vergleich | |
| zu Oberstufen in anderen Bundesländern anschauen. Eingeführt werde nur die | |
| ebenfalls geplante die fünfte Mathestunde im Jahrgang 11 der | |
| Stadtteilschule und die Zeit für die sogenannte Präsentationsprüfung. | |
| „Wir begrüßen das sehr“, sagt Torsten Schütt. „Die Zeit sollte jetzt | |
| genutzt werden, um mit allen Beteiligten eine für Hamburg angemessene | |
| Lösung zu finden.“ | |
| Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aktualisiert. In einer früheren | |
| Version war die Rede davon, dass die Schulbehörde eine Verschiebung der | |
| neuen Abitur-Verordnung lediglich in Aussicht stellt. Diese Verschiebung | |
| wurde mittlerweile bestätigt. | |
| 16 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204 | |
| [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74855/stellungnahme_des_se… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Abitur | |
| Ties Rabe | |
| Gymnasien | |
| Stadtteilschule | |
| Bildung | |
| Bremen | |
| Hamburg | |
| Rot-Grün Hamburg | |
| Schulbehörde Hamburg | |
| Turbo-Abi | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit um Bildungspläne in Hamburg: „Unterricht wie vor 100 Jahren“ | |
| Die Vereinigung der Stadtteilschulleiter fordert, die neuen Bildungspläne | |
| zu stoppen. Die Entwürfe enthielten zu viel vergängliches Faktenwissen. | |
| Forscher:innen fordern Abitur-Reform: Alle Sprachen sollen zählen | |
| Eine Forschungsgruppe der Universität Bremen fordert, dass in der | |
| Abiturprüfung als zweite Fremdsprache alle Sprachen zugelassen werden. | |
| Abitur-Verschärfungen in Hamburg: Schwaches Abitur, na und? | |
| Die Idee, dass ein Abitur mit niedrigeren Hürden schädlich sein könnte, ist | |
| ein Mythos – gepflegt von Bürgern, die Abgrenzung nötig haben. | |
| Hamburger Vorwahlkampf: Schulfrieden mit rechts | |
| Schulpolitik diskret: Rot-Grün verhandelt mit FDP und CDU, aber nicht mit | |
| der Linken. Heraus kommen könnte eine Stärkung des Gymnasiums. | |
| Verhandlungen über Schulfrieden: Verlängerung anvisiert | |
| Die CDU bietet der SPD und den Grünen eine Verlängerung des Vertrags über | |
| das Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschulen und Gymnasien an. | |
| Stadtteilschule unter Druck: Schulfrieden in der Krise | |
| Immer mehr Eltern schicken ihr Kind aufs Gymnasium. Das Beispiel München | |
| zeigt: Auch Zugangshürden ändern nichts. |